Das Weiße Haus dementiert, Präsident Joe Biden versucht seine Partei hinter sich zu versammeln und beruft Krisengespräche ein, doch die Debatte kommt nicht zur Ruhe: Steigt Biden aus US-Wahlkampf aus? Und wenn ja, wer könnte ihm nachfolgen, um gegen den republikanischen Herausforderer Donald Trump ins Rennen zu gehen? Tatsächlich ist die Liste potenzieller Alternativ-Kandidaten gar nicht so kurz. Der Nachteil, der sie alle eint: Sie stehen alle für einen kleinen Teil der Wählerschaft – für Frauen, für die Linken, für die Zuwanderer. Bidens großer Trumpf war, dass er ein Konsenskandidat war, auf den sich viele einigen konnten.
Kamala Harris: Sie war als Hoffnungsträgerin gestartet und wurde zur großen politischen Enttäuschung für alle, die gehofft hatten, dass endlich einmal eine Frau, noch dazu eine mit einer Einwanderergeschichte, ins Weiße Haus einziehen könnte. Harris war den großen Erwartungen, die auf ihr lasteten, kaum gewachsen und blieb konturlos im Amt. Durch Bidens verpatzten Auftritt rückt sie dennoch in den Fokus – als Vizepräsidentin gilt sie vielen als so etwas wie die natürliche Nachfolgerin. Und tatsächlich scheint die Schwäche Bidens zu ihrer Stärke zu werden. Das zeigt zumindest eine aktuelle Umfrage: Biden kommt im Moment auf 43 Prozent Wählerzustimmung, Donald Trump auf 49 – Harris auf immerhin 45. Vor allem bei den unentschlossenen Wählern liegt Harris vorn, sie könnte sich also durchaus noch als Trumpf erweisen. Harris steht als Staatsanwältin im krassen Gegensatz zu Trump, sie könnte sich als Vertreterin des Rechtsstaates vom juristisch unter Druck stehenden Republikaner maximal abgrenzen. Und: Würde Harris die Kandidatur übernehmen, hätte das auch praktische Vorteile: Sie könnte unter anderem die Spendengelder, die für den Wahlkampf so wichtig sind, übernehmen.
Gretchen Whitmer: In einem Post auf der Plattform X sicherte die Gouverneurin aus Michigan Biden noch am Mittwoch ihre uneingeschränkte Unterstützung zu: „Joe Biden ist unser Kandidat. Er will gewinnen, und ich unterstütze ihn.“ – Die Partei versucht alles, nicht auch noch den Eindruck zu erwecken, es gäbe innerparteiliche Machtkämpfe. Doch sollte sich die Frage nach einer Alternativ-Kandidatin doch stellen, wäre Whitmer sicher eine der Favoritinnen. Die 52-Jährige steht für viele Positionen, die den Anhängern der Demokraten wichtig sind. Sie hat in ihrem Bundesstaat die Abtreibungsrechte gestärkt, sie hat das Waffengesetz verschärft. Und sie hat es geschafft, die Wählerschaft hinter sich zu versammeln und Wahlen souverän gewonnen. 2020 versuchten Rechtsextreme die fünffache Mutter zu entführen, Whitmer macht unter anderem die Rhetorik von Trump dafür verantwortlich.
Gavin Newsom: Der 56 Jahre alte Gouverneur des liberalen US-Bundesstaats Kalifornien hat politische Ambitionen, daraus macht er auch keinen Hehl. Newsom hat längst erwogen, für die Wahl 2028 zu kandidieren. Kommt er nun doch früher ans Ziel? Zumindest wird sein Name immer wieder genannt. Der Gouverneur gilt als gut vernetzt, er ist landesweit bekannt – was in einem Wahlkampf, in dem er nur noch fünf Monate Zeit hat, die Menschen für sich zu gewinnen, von großer Bedeutung ist. Die New York Times macht darauf aufmerksam, dass der kurze Wahlkampf noch einen anderen Vorteil für Newsom mit sich brächte: Seine Gegner hätten weniger Zeit, seine potenziellen Defizite zu untersuchen und hervorzuheben. Denn dem Demokraten wird noch heute vorgehalten, im Jahr 2021 an einem Geburtstagsessen mit Lobbyisten in einem teuren Edelrestaurant teilgenommen zu haben. Zudem machte er mit Alkoholproblemen öffentlich Schlagzeilen. In den Umfragen liegt Newsom hinter Trump.
Michelle Obama: Sie ist die Einzige, die Trump in den Umfragen aktuell überholt. Die ehemalige First Lady ist die Traumkandidatin vieler Menschen – doch das dürfte auch so bleiben. Die Chancen, dass sich Obama einen Last-Minute-Wahlkampf antut, sind äußerst gering. Das heißt nicht, dass das für immer so bleibt. Zwar hat die 60-Jährige immer wieder betont, dass sie nicht in die aktive Politik einsteigen will, doch das kann sich ändern. Zumindest für sie als Person wäre es ein immenses Risiko. Aktuell gilt Obama als eine Art Lichtgestalt, sie steht für politischen Anstand und Herzenswärme – doch das war bei ihrem Mann auch so. Die Zwänge des Amtes haben ihn entzaubert. Bei Michelle Obama könnte das aufgrund ihrer fehlenden politischen Erfahrungen sogar noch schneller gehen.
Lange in sich gehen können die Demokraten nicht. Der Parteitag, an dem der Präsidentschaftskandidat offiziell gekürt werden soll, ist auf den 19. August angesetzt. Sollte Biden tatsächlich als Kandidat zurücktreten, müssten die tausenden Delegierten den Nachfolger oder die Nachfolgerin bestimmen. Entscheidend für Biden werden die kommenden Tage sein. Will er die Debatte in den Griff bekommen, braucht er überzeugende Auftritte. Am Freitag steht er für ein Fernsehinterview vor der Kamera, es folgen Wahlkampfauftritte in Wisconsin und Pennsylvania. Die große Bühne bietet sich ihm beim Nato-Gipfel, der in der kommenden Woche in Washington abgehalten wird. Nancy Pelosi, die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses und enge Verbündete Bidens, sagte, es sei eine „berechtigte Frage“, ob Bidens Versagen bei der TV-Debatte, „nur eine Episode oder ein Zustand“ sei. Die muss der Präsident beantworten.
Deutlich einfacheren Zeiten blickt im Vergleich dazu Donald Trump entgegen. Er wird am 15. Juli beim Nominierungsparteitag seiner Republikaner in Florida offiziell zum Kandidaten ernannt.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden