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Wehrbericht: Baustelle Bundeswehr: Es fehlt an allem

Wehrbericht

Baustelle Bundeswehr: Es fehlt an allem

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    Ihr Übungsbecken ist seit Jahren marode: Kampfschwimmer des Kommandos Spezialkräfte der Marine aus Eckernförde.
    Ihr Übungsbecken ist seit Jahren marode: Kampfschwimmer des Kommandos Spezialkräfte der Marine aus Eckernförde. Foto: Carsten Rehder

    Von der Zeitenwende, die Kanzler Olaf Scholz (SPD) unter dem Schock des Ukraine-Kriegs angekündigt hatte, ist ein gutes Jahr später bei der Bundeswehr kaum etwas zu spüren. Im Gegenteil. Die Lücken bei Waffen und Ausrüstung sind sogar noch deutlich größer geworden. Und vom Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das der Bundestag zur Ertüchtigung der Truppe bereitgestellt hat, ist in deren Stützpunkten bislang kein Cent angekommen. Das geht aus dem Bericht von Eva Högl hervor, der Wehrbeauftragten des Bundestags. „Die Bundeswehr hat von allem zu wenig“, so brachte es die SPD-Politikerin bei der Vorstellung des Papiers am Dienstag in Berlin auf den Punkt. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei es sogar noch weniger geworden. Denn Material wie schwere Panzerhaubitzen, die an die Ukraine geliefert wurden, ist Högl zufolge nicht nachbestellt worden. Auch die Munitionsdepots haben sich demnach bedenklich geleert, ohne dass Ersatz geordert worden sei. 

    Ein Rekrut robbt durchs Gelände. Der neue Wehrbericht deckt wieder zahlreiche Mängel bei der Truppe auf.
    Ein Rekrut robbt durchs Gelände. Der neue Wehrbericht deckt wieder zahlreiche Mängel bei der Truppe auf. Foto: dpa

    Die Bundeswehr: Wo es zehn Jahre dauert, einen Helm zu beschaffen

    Die Kritik der Wehrbeauftragten, die einerseits für die parlamentarische Kontrolle der Armee zuständig ist, andererseits aber als eine Art Anwältin der Soldatinnen und Soldaten fungiert, könnte kaum deutlicher ausfallen. Nach wie vor sei das Beschaffungswesen viel zu behäbig, insgesamt dauerten Prozesse bei der Bundeswehr viel zu oft viel zu lange. In ihrem Bericht listet sie zahlreiche Beispiele auf. So warten die Kampfschwimmer der Marine in Eckernförde seit zwölf Jahren vergeblich darauf, dass ihr marodes Übungsbecken endlich fertig saniert wird. Die Beschaffung eines bestimmten Fliegerhelms stockt seit zehn Jahren, obwohl das fragliche Modell bei der US Air Force im Einsatz und auf dem Markt verfügbar ist. Schon seit 2016 dauern die Planungen für ein Biologie-Labor an einer ABC-Abwehrschule. Erst 32 von 200 Geräten sind beschafft, dabei geht es um handelsübliche Ware. 

    Bedenkliches schildert der Bericht auch zum Zustand der Kasernen. Von maroden Unterkünften mit gammeligen Duschen ist die Rede, von Sporthallen, die so baufällig sind, dass sie nicht benutzbar sind. Einer ihrer rund 70 Truppenbesuche der vergangenen zwölf Monate führte Högl in die Artilleriekasernen von Idar-Oberstein. Dort sah sie „nicht nutzbare Sanitärbereiche, Unterkünfte in inakzeptablem Zustand“ und eine Küche, die wegen Hygienemängeln jederzeit geschlossen werden könnte.

    50 Milliarden Euro fehlen der Bundeswehr allein im baulichen Bereich

    Allein im baulichen Bereich wird der Finanzbedarf auf rund 50 Milliarden Euro veranschlagt. Doch die Bundeswehrverwaltung könne jährlich nur Maßnahmen im Volumen von rund einer Milliarde Euro bewältigen. Ändere sich an den Strukturen nichts, werde es also ein halbes Jahrhundert dauern, bis alle Gebäude und Anlagen der Armee saniert sind. Nötig sei auch hier ein neues „Deutschland-Tempo“, wie es beim Bau der Flüssiggasterminals erreicht worden sei.

    Marode Bundeswehrkasernen sollen zügig saniert werden. Doch in der Praxis hakt es.
    Marode Bundeswehrkasernen sollen zügig saniert werden. Doch in der Praxis hakt es. Foto:  Armin Weigel/Archiv (dpa)

    Große Sorgen gibt es im personellen Sektor. Die Zahl der Bewerbungen gehe insgesamt zurück, heißt es. Von den neue Rekruten, die ihren Dienst antreten, brechen viele innerhalb der ersten sechs Monate wieder ab. Der Frauenanteil in der Truppe liege mit gut 13 Prozent weiter deutlich zu niedrig. „Hier gibt es enormen Nachholbedarf, aber das bedeutet auch ein enormes Potenzial“, sagte Högl. Gerade in Führungspositionen fehlten weibliche Kräfte. Viele tausend Stellen bei der Bundeswehr seien unbesetzt. Das Ziel, die Truppenstärke von derzeit gut 183.000 bis zum Jahr 2031 auf 203.000 zu erhöhen, werde sich nur in einem Kraftakt erreichen lassen. In diesem Zusammenhang begrüßte die 54-Jährige ausdrücklich die Debatte über eine mögliche Wiedereinführung der ausgesetzten Wehrpflicht.

    Es gibt auch gute Nachrichten von der Bundeswehr

    Es gibt auch einige gute Nachrichten im Bericht. So hat ein Sonderprogramm zur Beschaffung persönlicher Ausrüstungsgegenstände offenbar gewirkt. Noch vor rund einem Jahr hatte Högl gegenüber unserer Redaktion berichtet, dass den Soldatinnen und Soldaten etwa warme Unterwäsche für winterliche Einsätze fehlt. „Diese Dinge kommen jetzt in der Truppe an“, sagte sie. Beim schweren Gerät werde es länger dauern, doch es sei wichtig, dass im vergangenen Jahr etwa die Entscheidung zur Anschaffung von F-35-Kampfjets, von schweren Transporthubschraubern oder zur Bewaffnung von Drohnen gefallen seien.

    Ein wichtiges Signal an die Soldatinnen und Soldaten sei auch der Beschluss, den Einsatz im westafrikanischen Mali im Mai 2024 zu beenden. Überhaupt berichtet sie von einer verbesserten Stimmung in den Kasernen, die freilich einen ernsten Hintergrund habe. War in vergangenen Wehrberichten oft die Rede davon, dass sich der Truppe der Zweck von Einsätzen wie in Afghanistan oder Mali nicht erschließe, habe der Krieg in der Ukraine, so entsetzlich er sei, die Sinnfrage eindeutig beantwortet. Wofür die Bundeswehr gebraucht werde, daran gebe es nun keinen Zweifel mehr. Und sie hoffe, so Eva Högl, dass dies auch in der gesamten Gesellschaft so sei. Denn die Armee brauche deren Interesse und Wertschätzung. 

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