Tagelang hat sich die Ampelkoalition gestritten, ob die deutschen Atomkraftwerke wegen drohender Energieknappheit weiterlaufen sollen oder nicht. Dem setzte Bundeskanzler Olaf Scholz nun ein Ende. Die drei Atomkraftwerke Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim in Baden-Württemberg und im Emsland in Niedersachsen sollen bis spätestens 15. April 2023 weiterlaufen. Er machte von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch. Aber was heißt das eigentlich?
Das ist die Richtlinienkompetenz
Die Richtlinienkompetenz ist in Artikel 65 des Grundgesetzes verankert. Demnach bestimmt der Kanzler „die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“. Dort heißt es auch: „Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung.“
Trotz des im Grundgesetz festgeschriebenen Kabinettscharakters der Regierung ist die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler seinen Ministerinnen und Ministern nicht gleichgestellt. Sie oder er bildet das Zentrum des parlamentarischen Regierungssystems. Als solches ist der Kanzler mit besonderen Funktionen ausgestattet. Die Richtlinienkompetenz ist eine davon. Für die Richtliniensetzung gibt es keine formalen Vorgaben. Sie kann mündlich, schriftlich oder im Rahmen einer Regierungserklärung erfolgen.
Die Richtlinienkompetenz gilt allerdings nur gegenüber der Bundesregierung. Ob auch der Bundestag, der für die Gesetzgebung zuständig ist, zustimmt, ist eine andere Frage.
Wie weit die Kompetenz des Kanzlers wirklich reicht, ist rechtlich nicht eindeutig bestimmt. Vielmehr hängt sie von verschiedenen Bedingungen ab. Dazu zählt die Lage in der Koalition und auch das Verhältnis des Kanzlers zu Kabinett, Fraktion, Partei und Öffentlichkeit.
Richtlinienkompetenz: Wann wird davon Gebrauch gemacht?
Nur in besonderen Fällen machen Bundeskanzler von der Richtlinienkompetenz Gebrauch. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte etwa im Jahr 2016 in der Frage, ob eine strafrechtliche Ermittlung gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zugelassen werde, per Richtlinienkompetenz entschieden. Auf Basis dieser Entscheidung waren Ermittlungen gegen den deutschen Satiriker möglich.