Als Gesamtpaket hatte die Ampel-Koalition längst ausgedient. Nach drei Jahren waren die Deutschen des ewigen Gezänks und der Missgunst zwischen SPD, Grünen und FDP überdrüssig. Doch seit der Blitzscheidung der politischen Zweckehe vor rund zwei Wochen tut sich Erstaunliches: Alle drei Parteien verbuchen steigende Mitgliederzahlen. Woher kommt dieser Boom?
Hoffnung auf pure Positionen von SPD, Grünen und FDP
Ursula Münch hat dafür mehrere Erklärungen. „Das Auseinanderfallen der Ampel weckt bei all jenen neue Hoffnung, die besonders unter den Kompromissen gelitten haben, die man in einer solchen Koalition eingehen muss“, sagt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. „Viele Menschen mögen zwar den Glauben daran verloren haben, dass dieses Bündnis noch etwas erreichen kann, aber sie glauben weiterhin an die puren Positionen von SPD, Grünen oder FDP“, fügt die Politologin im Gespräch mit unserer Redaktion hinzu.
Rund 13.000 neue Mitglieder bei den Grünen
Den stärksten Rückenwind bekommen die Grünen, die ihre Mitgliederzahl im November um rund zehn Prozent steigern konnten. Mehr als 13.000 neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter haben sich ihnen innerhalb weniger Tage angeschlossen. „Diese Zahlen sprechen für die Dynamik, die wir gerade erleben“, sagt der frisch gewählte Parteivorsitzende Felix Banaszak. Anderes als SPD und FDP haben die Grünen Konsequenzen aus dem dramatisch gesunkenen Rückhalt in der Bevölkerung gezogen. Banaszak und Co-Chefin Franziska Brantner stehen auch personell für einen Neustart. Für die Politologin Münch ist das aber nicht allein ausschlaggebend für den Mitgliederboom. „Viele Menschen wollen gerade jetzt Farbe bekennen, da spielt vielleicht auch ein bisschen Trotz mit, weil sie das Gefühl haben, die eine oder andere Partei sei zu Unrecht in Misskredit geraten.“
Während sich FDP und SPD in der Endphase der Ampel gegenseitig bis aufs Blut provoziert hatten, erlebten die Grünen das Aus der Koalition beinahe in der Zuschauerrolle. Negativschlagzeilen schrieben vor allem Olaf Scholz, der für manchen irritierend abfällig über den bisherigen Koalitionspartner FDP redete, und Christian Lindner, der entgegen aller öffentlichen Beteuerungen wohl seit Wochen gezielt auf den großen Knall hingearbeitet hatte.
Gerade die Polarisierung und Unversöhnlichkeit der vergangenen Tage scheint kurioserweise aber auch Sozialdemokraten und Liberalen zu helfen. „Wenn ich es zum Beispiel richtig finde, wie der Kanzler mit Lindner abgerechnet hat, dann kann ich jetzt ein Zeichen setzen, wenn ich SPD-Mitglied werde“, erklärt Münch diesen Effekt. Umgekehrt hatten sich viele potenzielle FDP-Anhänger zuletzt von ihrer Partei abgewandt, weil sie diese in einem linken Bündnis mit SPD und Grünen für deplatziert hielten. Und das ist ja nun Geschichte.
„Seit dem Ampel-Aus haben wir bereits rund 2.000 neue Mitgliedsanträge vorliegen, bei wenigen Austritten“, sagt ein FDP-Sprecher auf Nachfrage. Dass zu den „wenigen Austritten“ mit Volker Wissing ausgerechnet ein Bundesminister gehört, sagt er nicht. Auch die SPD profitiert vom Ampel-Beben. „Wir haben allein online über 2.000 Parteieintritte zu verzeichnen. Wie viele darüber hinaus analog eingetreten sind, kann ich gegenwärtig nicht sagen“, teilt ein Sprecher mit.
Früher Termin der Bundestagswahl hilft bei der Mobilisierung
Dass die Neuwahl nun schon im Februar stattfinden soll, hilft ebenfalls bei der Mobilisierung potenzieller Sympathisanten. „Im Wahlkampf wird viel mehr als sonst über Positionen, Personen und Profile gesprochen, damit kann man die Leute eher motivieren als mit Streitereien und Kompromissen“, sagt Expertin Münch. In Zeiten des Wahlkampfes gibt es zudem besonders viele Möglichkeiten, sich zu engagieren, etwa beim Plakatekleben oder dem Verteilen von Infozetteln. Von einer langfristigen Trendwende bei den Mitgliederzahlen geht die Politikwissenschaftlerin allerdings nicht aus. „Es kann für manche sogar ein böses Erwachen geben, wenn sich die Partei, der sie sich jetzt anschließen, in ein paar Monaten doch wieder mit politischen Konkurrenten in einer Koalition arrangieren muss.“ Auch die am Ende heillos zerstrittene Ampel hatte schließlich einst den Zauber eines neuen Anfangs verströmt.
Hinzu kommt: Das Theater der vergangenen Tage könnte die Politikverdrossenheit unter Wählerinnen und Wählern sogar noch verstärkt haben. „Die Chance auf einen Neustart kann durchaus etwas bewegen. Manche Leute werden aber durch die Art und Weise, wie diese Regierung nun auseinandergebrochen ist, oder durch den öffentlich ausgetragenen Streit um den Wahltermin erst recht frustriert sein - und den Glauben daran verloren haben, dass Politik etwas zum Besseren verändern kann“, fürchtet Münch.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden