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Warum die Rückkehr syrischer Flüchtlinge wenig wahrscheinlich ist

Interview

Was lässt sich aus der Rückkehr der Balkanflüchtlinge für Syrien lernen?

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    Syrische Familien warten an der südtürkischen Grenze aus der türkei nach Syrien zurückzukehren.
    Syrische Familien warten an der südtürkischen Grenze aus der türkei nach Syrien zurückzukehren. Foto: Metin Yoksu, dpa

    Herr Professor Oltmer, Sie haben die Rückkehr von Bürgerkriegsflüchtlingen aus der Zeit der Ex-Jugoslawienkriege erforscht. Erwarten Sie eine Rückkehrwelle syrischer Flüchtlinge nach dem Sturz des Assad-Regimes?

    Jochen Oltmer: Nein. Eine größere Rückkehrwelle syrischer Menschen aus Deutschland in ihre Heimat ist unwahrscheinlich. Es wird sicher einige Rückkehrwillige geben, wenn sich die Lage in Syrien stabilisieren sollte. Aber diese Zahl sollte man nicht überschätzen. Alle Erfahrungen zeigen, dass geflüchtete Menschen sehr viele Bindungen in der Ankunftsgesellschaft entwickeln. Wir sprechen über sehr viele Betroffene, die als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in die Bundesrepublik gekommen sind, hier zur Schule gegangen sind, ihre Ausbildung gemacht haben oder die Zukunft ihrer Kinder in Deutschland sehen.

    Nach dem Balkankrieg in den Neunzigern sind Hunderttausende in ihre Heimat zurückgekehrt. Ist die Situation vergleichbar?

    Oltmer: Nein, in vielerlei Hinsicht ist sie das nicht. Der Unterschied beginnt schon bei den Zahlen: Während Deutschland in den 1990er Jahren etwa 350.000 Geflüchtete aus Bosnien und Herzegowina aufgenommen hat, sprechen wir heute von rund 970.000 Menschen aus Syrien. Auch der Aufenthaltsstatus unterscheidet sich gravierend. Damals hatten die Menschen aus Bosnien und Herzegowina lediglich eine Duldung, die alle drei Monate überprüft wurde. Es gab damals keinen subsidiären Schutz wie heute, der seit 2013 greift. Diese Unsicherheit prägte die Menschen damals erheblich, ihre Lebenssituation war prekär. Heute ist die Situation syrischer Schutzsuchender stabiler; viele sind seit einem Jahrzehnt hier und haben rechtlich und sozial festere Grundlagen.

    Damals beendete das Dayton-Abkommen 1995 nach dreieinhalb Jahren den Bürgerkrieg in Bosnien. Gab es damals viele freiwillige Rückkehrer?

    Oltmer: Freiwilligkeit ist in dieser Hinsicht nicht unbedingt der richtige Begriff. Ohne einen festen Aufenthaltsstatus in Deutschland blieb den Menschen damals oft keine andere Wahl, als zurückzukehren. Überhaupt war die Rückkehrneigung gering. Bis 1999 kehrten von den 350.000 Schutzsuchenden lediglich 17.000 an ihre ursprünglichen Wohnorte zurück. Das lag an der unsicheren Lage in Bosnien, zerstörten Netzwerken und fehlender Infrastruktur. Viele entschieden sich trotz prekärer Bedingungen in Deutschland zu bleiben, weil die Perspektiven in Bosnien noch schlechter waren.

    Rückkehrprogramme sollten damals helfen, eine neue Existenz in ihrer Heimat aufzubauen. Waren diese Programme erfolgreich?

    Oltmer: Es gab diese Programme, aber von Erfolg kann man nicht sprechen. Die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in Bosnien waren so stark zerstört, dass eine erfolgreiche Reintegration nur in Ausnahmefällen gelang. Viele der Rückkehrer standen vor dem Nichts, ohne familiäre oder gesellschaftliche Netzwerke oder wirtschaftliche Perspektiven. Noch heute berichten Rückkehrer, wie schwer es war, wieder Fuß zu fassen. Rückkehrprogramme wirken auf den ersten Blick sinnvoll, sind aber häufig nicht geeignet, die komplexen Herausforderungen langfristig zu lösen.

    Fällt besonders Familien mit Kindern eine Rückkehr schwer?

    Oltmer: Absolut. In den neunziger Jahren riss eine Rückkehr Kinder aus ihren sozialen und schulischen Netzwerken. Das führte zu großem Protest, gerade von Mitschülern und Lehrern. Heute ist die Situation vergleichbar: Allein in deutschen Schulen sind rund 250.000 Schülerinnen und Schüler mit syrischem Hintergrund. Diese Zahl entspricht mehr als einem Viertel der rund 970.000 in Deutschland lebenden aufgenommenen Syrern. Diese jungen Menschen haben enge Bindungen an Deutschland, genauso wie ihre Eltern, die für ihre Kinder eine stabile Zukunft suchen. Rückkehrprogramme übersehen oft diese Verwurzelung in der neuen Gesellschaft.

    Was können wir aus den Erfahrungen der neunziger Jahre für die heutige Situation lernen?

    Oltmer: Die wichtigste Lektion ist, dass die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge, die über Jahre in Deutschland gelebt haben, nicht zurückkehren werden. Bindungen an die Aufnahmegesellschaft entwickeln sich mit der Zeit - durch Bildung, Arbeit und soziale Netzwerke. Das sehen wir auch an den steigenden Zahlen: 2023 machten Syrer fast 40 Prozent der Einbürgerungen aus. Diese Menschen sehen Deutschland als ihre neue Heimat. Rückkehrdebatten wie die aktuelle sind oft unnötig und verunsichern diejenigen, die sich längst integriert haben.

    Was bedeutet das für die deutsche Gesellschaft und die Politik?

    Oltmer: Es bedeutet, dass wir syrische Geflüchtete als festen Teil unserer Gesellschaft anerkennen sollten. Unternehmen, Schulen und Kommunen haben viel in die Integration investiert. Diese Erfolge durch Rückkehrforderungen zu gefährden, wäre kontraproduktiv. Stattdessen sollten wir die Potenziale dieser Menschen nutzen und die Bindungen weiter stärken - das ist langfristig der beste Weg für alle Beteiligten.

    Der Forscher Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück mahnt zu einer sachlichen Debatte über die mögliche Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland
    Der Forscher Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück mahnt zu einer sachlichen Debatte über die mögliche Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland Foto: Soeren Stache, dpa

    Zur Person: Jochen Oltmer lehrt als Professor für Neuere Geschichte und Migrationsforscher an der Universität Osnabrück, deren Vizepräsident er ist. Der 59-Jährige berät unter anderem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

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    2 Kommentare
    Marianne Böhm

    Bei Professor Oltmer ist der Wunsch der Vater des Gedanken.. Diese Menschen haben mehr Heimatbewusstsein, das sie nach langen Jahren bei uns nicht verloren haben.. wie die Deutschen je ihre Zugehörigkeit zum eigenen Land haben, wenn morgen Deutschland Hatteduland heißen würde, wäre es für viele kein Problem.. Die Mehrheit der Syrer werden zurück gehen und die Verbrecher bleiben.. Syrer sagten dass ihre Heimat in ihren Herzen ist, ein Vater sagte dass er zurück gehen wird um seine Tochter anzumelden damit sie Syrerin wird.. Diese und viele andere Aussagen sagen uns das unsere Lebensart nicht die ihre ist.. Sie haben viel bei uns gelernt und das kann das geschundene Land zum Aufbau gut gebrauchen..

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    Martin Goller

    Oh, dann bin ich ja froh dass Frau Marianne Böhm, mehr weiß als derjenige der sich beruflich, in wissenschaftlicher Manier über Jahre mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Vielleicht rufen Sie bei Herrn Pohl an, dass er doch bitte mal die Marianne interviewen soll, so als ECHTE Expertin! Vielleicht haben Sie ja noch für andere Sachen gewichtige Meinungen!

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