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Warum der Tag der Deutschen Einheit abgeschafft werden sollte.

Kommentar

Lasst uns den Tag der Einheit abschaffen!

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    Schwarz-rot-goldene Fahnen flattern auch am Tag der Einheit selten. Die Stimmung ist so schlaff, wie Flaggen bei Flaute. Der Feiertag ist ein Tag ohne Feststimmung.
    Schwarz-rot-goldene Fahnen flattern auch am Tag der Einheit selten. Die Stimmung ist so schlaff, wie Flaggen bei Flaute. Der Feiertag ist ein Tag ohne Feststimmung. Foto: Fernando Gutierrez-Juarez, dpa

    Der 03. Oktober ist der deutsche Nationalfeiertag, aber er bewegt weder Herz noch Seele. Die wichtigste Frage, die sich an diesen Tag stellt, ist, ob man ein verlängertes Wochenende frei hat und sich ein Kurzurlaub im goldenen Herbst anbietet. Nirgends versammeln sich Leute, um freudig die Wiedervereinigung Deutschlands nach 40 Jahren Teilung zu feiern. Nirgends schwarz-rot-goldene Fahnen und ein Glas Sekt dazu.

    Der Tag der Einheit ist ähnlich emotionslos, wie die Beantragung eines Anwohnerparkausweises im Gemeindeamt. Genau daran erinnert er auch, an den Verwaltungsakt des Beitritts der ostdeutschen Bundesländer zur Bundesrepublik und ihrer Ordnung. Genauso hölzern gerät das jährliche Einheitsfest, bei dem Politiker mit ernster Miene dieselben Stanzen sprechen („viel erreicht, viel zu tun“). Nirgendwo Heiterkeit, Freude, Stolz oder Unbeschwertheit. Ein Feiertag, den niemand feiert, kann weg, kann aus dem Kalender gestrichen werden.

    Tag der Deutschen Einheit: Von Anfang an ein Notnagel

    Von Beginn an war er eine Verlegenheitslösung. Der 9. November als Tag des Mauerfalls schied wegen historischer Vorbelastung (Hitlerputsch, Reichspogromnacht) aus. Daraus resultiert auch das seltsame Doppel-Erinnern an den Wendeherbst. Dem staatstragenden, blutleeren Auftakt am 3. Oktober folgt der 9. November mit den ewig gleichen Bildern der Trabi-Kolonnen und Mauerspechten. Dazwischen zeigen die Fernsehsender Dokumentationen. Der 3. Oktober läuft voran, klappert aber gleichsam ein Jahr hinterher. In diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum 35. Mal, während nächstes Jahr das halbrunde Jubiläum der Wiedervereinigung ansteht.

    Um dem Erinnern an die Revolution von 1989 und die Deutsche Einheit gefühlige Tiefe zu verleihen, wird seit einigen Jahren eine Verlegung des Feiertages nachgedacht, beispielsweise auf den 9. Oktober, als seinerzeit in Leipzig das erste Mal Zehntausende gegen die DDR-Diktatur auf die Straße gingen. Dass dieser Terminwechsel etwas verändern würde, steht indes nicht zu erwarten.  

    Im Herbst werden jedes Jahr dieselben Bilder von Trabis in langen Schlangen gezeigt, die sich gen Westen aufgemacht hatten.
    Im Herbst werden jedes Jahr dieselben Bilder von Trabis in langen Schlangen gezeigt, die sich gen Westen aufgemacht hatten. Foto: privat

    Von Einheit ist ohnehin nicht mehr viel die Rede, spätestens seit Ost und West unterschiedlich wählen. Die AfD hat im Osten ihre Bastionen, das BSW schickt sich von hier aus, das Parteiengefüge noch stärker durcheinander zu bringen. Der Soziologe Steffen Mau aus Rostock meint, dass sich die beiden Landesteile auseinander entwickeln, statt dass die frühere DDR der Bundesrepublik immer ähnlicher wird.

    Lieber das Bruttosozialprodukt steigern

    Interessanterweise kehren sich dabei die Machtverhältnisse um: Der ökonomisch und vom Bevölkerungsanteil schmächtige Osten stellt die Wohlgeordnetheit des übermächtigen, alten Westens infrage. Vergessen wird, dass die übersichtliche Welt der Bundesrepublik schon 1990 vorbei war, sich aber noch gute 30 Jahre konservieren ließ. Jetzt löst sie sich auf in der Zeitenwende des Ukraine-Krieges, des Klimawandels, der Migrationsströme und neuen ökonomischen Härten, wie zum Beispiel einer konkurrenzfähigen chinesischen Autoindustrie. Gemütlich war gestern.

    In der Anerkennung der Unterschiedlichkeit zwischen Ost und West läge ein erster Schritt, um nicht immer müßig auf der Frage herumzukauen, warum der Ossi so komisch ist und so seltsam wählt. Kommt es zu diesem Einverständnis, braucht es erst recht keinen Feiertag mehr, der an eine Einheit erinnert, die sich nie ergeben hat. Daraus leiten sich verschiedene Optionen ab: Der Feiertag fällt weg und durch die von allen geleistete Mehrarbeit werden die Sozialkassen entlastet.  Oder die Deutschen erklären den Internationalen Frauentag am 08. März zum bundesweiten Feiertag, wie er heute schon in Berlin einer ist. Thüringen hat den Weltkindertag zum Feiertag gemacht, auch dieser Tag verspricht mehr Freude als der 3. Oktober. Übrigens: Der Autor dieses Textes stammt aus Ostdeutschland und ist mit der Gesamtsituation recht zufrieden.

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    19 Kommentare
    Walter Koenig

    >>Der Autor dieses Textes stammt aus Ostdeutschland und ist mit der Gesamtsituation recht zufrieden. << Ja, hier kann man ungestraft gegen die Regierung wettern, gutes Geld verdienen, schöne Autos kaufen und reisen, wohin man will. All das war ihm ja in der DDR verwehrt, wer da Kritik laut äußerte, dem war ein Zimmer in Bautzen sicher. Ich bin hier geboren, Herr Grimm, und mir gefällt die Entwicklung im Osten auch nicht. Aber trotzdem freue ich mich bis heute, dass diese menschenverachtende Grenze gefallen ist. Dazu brauche ich auch keinen Sekt. Nicht vergessen sollte man bei den Wahlergebnissen, dass es auch im Osten noch genug Leute gibt, welche die Demokratie zu schätzen wissen. Es ist ja schon fast eine Ironie, dass ausgerechnet der größte Hetzer gegen die Demokratie, Björn Höcke, ein Westdeutscher ist!

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    Peter Zimmermann

    Ja schon komisch, dass es viel stört wen zu viele Entscheidungsstellen anfänglich durch "Wessis" besetzt wurden. bei Höcke stört sie das offenbar nicht.

    Wolfgang Leonhard

    Herr Grimm, ist Ihre Herkunft die Ursache für das geradezu devote Interview, dass Sie kürzlich mit Frau Wagenknecht geführt haben? Wenn es gegen Sozis und die Grünen geht, sind Sie nicht so zimperlich.

    Johann Storr

    Herr Walter König: Ein schöner Beitrag von Ihnen. Danke.

    Maria Reichenauer

    Diesem Text kann ich mich sehr gut anschließen. Ich brauche keine Fahnen und keinen Sekt, um das Ende einer Diktatur zu feiern und ich muss nicht vor Nationalstolz platzen, weil die beiden deutschen Staatsgebilde wieder eines geworden sind. Die Mauer ist weg und der Stachedraht auch. Alles andere müssen die Menschen sich erarbeiten – vielleicht wird es Generationen brauchen. Die Anerkennung der Unterschiedlichkeit von Ost und West? Das ist doch Blödsinn. Jedes Bundesland hat seine Eigenheiten, man frotzelt aufeinander und gut is. Dass "der Osten" eine Sonderrolle für sich immer wieder herausarbeitet, sich immer wieder als benachteiligt hinstellt – vielleicht ist das ja doch ein wenig seltsam?

    Raimund Kamm

    Ihrer wiederholten Kritik am Interview der Kriegsunterstützerin Wagenknecht stimme ich ausdrücklich zu. Gerade dieser glatten, populistischen Frau muss man kritische Fragen stellen und Fakten vorhalten. Raimund Kamm

    Peter Pfleiderer

    Ich unterstütze vorbehaltlos eine 360 Grad Wende in Sachen Tag der deutschen Einheit ;-)

    Klara Rasper

    Was waere denn anders, wenn am 9.Oktober statt am 3.Oktober gefeiert wuerde ? Nicht der Feiertag an sich ist das Problem, sondern dass zu viele Menschen das zu feiernde fuer selbstverstaendlich nehmen. Mit denselben Argumenten koennte man ja auch alle kirchlichen Feiertage abschaffen. Diese betreffen dazu ja auch nur einen immer kleiner werdenden Anteil des Volkes.

    Nicola Leitenstorfer

    "a country which lacks its own culture is no more than a collection of people without the spirit which makes them a nation” Julius Nyerere - Staatsgründer und erster Präsident Tansanias. Fazit: Deutschland ist nur noch eine Ansammlung von Menschen.

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    Maria Reichenauer

    Das sehen Sie vielleicht so, weil Sie und Ihre extremistischen Gesinnungsgenossen sich aus einer Gemeinschaft ausgrenzen, die mit Rassismus und Intoleranz nichts anfangen kann. Denn ich wünsche mir mit vielen anderen Menschen ein Deutschland, wo Menschlichkeit, Empathie und Toleranz ganz oben stehen. Unabhängig davon, ob Ossi, Wessi, ob Süden oder Norden, ob Migrant oder hier Geborener, unabhängig von Religion und Hautfarbe. Jeder hat seine Eigenheiten, und das ist gut so. Das kann eine funktionierende Gesellschaft verkraften. Nur der Extremismus soll besser draußen bleiben, davon hatte dieses Land bereits genug.

    Raimund Kamm

    Unsere Gesellschaft hat Grundwerte, die es zu leben gilt. Viele stehen in unserer Verfassung. Gerade der Artikel 1: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Es heißt übrigens die "Würde des Menschen" und schließt nicht woanders Geborene aus. Das ist ein Fundament unseres Landes. Und nach der Nazi-Katastrophe hat dies Deutschland langsam wieder in gutes Fahrwasser gebracht.

    Wolfgang Schwank

    Die Debatte zeigt, wie schwer wir uns mit unserer Geschichte, mit einer wirklichen Aufarbeitung, tun. Warum das so ist, ist schwer zu greifen. Die einstige Vielstaaterei, das Zukurzkommen beim verbrecherischen Kolonialismus, Versailles 1871 und 1919, Naziherrschaft mit verheerendem Krieg und Holocaust, Teilung Europas - all das, bzw. die Betrachtung und Bewertung dessen, trägt zu dieser Zwiespältigkeit bei. Gerade auch die Art der Wiedervereinigung - entgegen dem grundgesetzlichen Auftrag - war nicht der historischen Dimension gemäß, sondern allein bestimmten Interessen geschuldet. So wurde aus diesem eigentlich historischen Ereignis ein typisch preussisch- protestantisch-puritanischer Verwaltungsakt, der so der Geringschätzigkeit preisgegeben wurde.

    Raimund Kamm

    Ich feiere den Tag der Deutschen Einheit. In den 1980er Jahren sind wir mit der Familie und Freunden in die DDR gefahren, um in der damaligen Zeit der atomaren Hochrüstung dort mit Bürgerinnen uns unterhalten zu können. Auf einigen wenigen Campingplätzen durften wir Station machen. Auch habe ich mehrmals am „Eisernen Vorhang“ gestanden und mir überlegt: Wie könnte ich als DDR-Bürger den überwinden und wie können wir ihn abschaffen. Als dann 1989 durch die Revolution in der DDR innerhalb kurzer Zeit UNBLUTIG und ohne Krieg die Grenze fiel, wurde ich als Politiker und Kriegsdienstverweigerer zu einer größeren Reservistenversammlung als Redner eingeladen und habe dort mein Staunen und meine Freude über die deutsche Wiedervereinigung ausgedrückt. Heute müssen wir uns entscheiden, ob wir meckern und a la AFD und BSW alles schlecht reden sowie den russischen Krieg unterstützen wollen oder Demokratie und Freiheit feiern wollen. Ich feiere.

    Klaus Axmacher

    Nicht wegen dem Anlass ist an dem Feiertag die Laune der Deutschen so schlecht. Die marode Infrastruktur, die nur schlecht bis mäßig funktionierenden öffentlichen Einrichtungen (z.B. Schule, Kita, Bahn), die miserablen Wirtschaftsdaten und über allem eine überbordende Bürokratie verderben die Lust am feiern. Ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Da wird kein Sekt kaltgestellt.

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    Maria Reichenauer

    Das alles ist kein Grund zu vergessen, dass dieser Tag an den unblutien Fall einer Diktatur erinnern soll, die vielen Menschen das Leben schwer gemacht hat. Nur die Mitläufer, Abnicker und Profiteure eines verbrecherischen Systems werden nicht verstehen, dass sehr wohl ein Grund ist, etwas feierliche Stimmung aufkommen zu lassen. Muss ja nicht mit amerikanischem Pomp sein.

    Marianne Böhm

    Von 365 Tagen feiern wir jeden Tag, jedes Jahr das selbe und kritisieren jedes mal hinter ständig daran herum.. Über unsere Land, Menschen werden Massen an Bücher geschrieben, Dokus usw... Viele flüchten, wandern zu uns ein, und nach kürzester Zeit wird gemeckert, ist man unzufrieden, beklagt sich, es wird zur Katastrophe.. den wenn man von den Deutschen redet, meint man den Westen, nicht den Osten. Es sagte mal einer, auch der Osten muss integriert werden, muss Familienzusammenführung stattfinden. Keiner übernimmt Eigenverantwortung, jeder fordert nur und das geht auf Dauer gar nicht.. und wir können sehen unsere Wohlstand schwindet, Infrastruktur leidet, Armut wird immer größer. Ich würde mir wünschen dass auch wir Wessis uns mal äußern dürfen, was uns nicht passt, ohne kritisiert zu werden, denn wir haben dieses Land aufgebaut.. Aber bitte ohne dass die Rechten, Linken usw. meinen für uns Normalos sprechen zu müssen.

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    Walter Koenig

    >>denn wir haben dieses Land aufgebaut..<< Das halte ich für eine Phrase, Frau Böhm. Der zweite Weltkrieg ist seit 79 Jahren vorbei, es war vielleicht die Elterngeneration, welche das behaupten konnte. Allerdings war es auch diese Generation, welche einst den falschen Mann ans Ruder gelassen hat, und das teuer und oft mit dem Leben bezahlen musste. Der Aufbau des Landes war 1960 beendet, wie alt waren Sie da? Zu dem Zeitpunkt waren schon die "Gastarbeiter" aus den südlichen Ländern hier in Deutschland, zwar von der Bevölkerung ungeliebt, aber eben enorm wichtig für den Aufbau Deutschlands zu einer Wirtschaftsmacht!

    Thomas Keller

    Dieser Feiertag muss und soll daran gemahnen das es zwei Terrorregime waren die uns getrennt haben. Der Sozialismus war keineswegs besser, nur hatten die Schergen andere Jacken an. Und auch Honecker, Ulbricht und Stalin waren Verbrecher an der Menschlichkeit. Daran muss man Jugendliche und Kinder erinnern die diese Zeit nur noch aus Büchern kennen. Immer wenn Einer oder seine Gruppierung das Seelenheil für das Volk verspricht, dann wird es brandgefährlich. Das hat die Erfahrung in Ost und West gezeigt. Und ich muss nochmal unter dem Stein des Autors, wo er lebt, nachsehen, in der Presse sowie im Fernsehen finde ich genug Material über Feierlichkeiten etc.

    Rainer Kraus

    Schon alleine wegen der Mauertoten sollten wir den 3. Oktober als Feiertag beibehalten. Es wurde in der Geschichtsschreibung so viel gelogen, dass wir erlebte Wahrheit nicht vergessen sollten. Letztendlich haben wir die Probleme nicht gelöst sondern nur um 100 Jahre verschoben.

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