Man muss schon etwas genauer hinsehen, um das Gebäude zu erkennen, mit dem Deutschland laut der geschäftsführenden Innenministerin Nancy Faeser (SPD) Menschen schneller in EU-Länder überstellen wird. Der weiße Bau unterscheidet sich kaum von den anderen Bürogebäuden und Lagerhallen in dem Industriegebiet im Hamburger Westen. Es sind ein paar Kameras mehr angebracht und der grüne Zaun ist etwas höher. In den Fenstern hängen Informationsblätter in arabischer und kyrillischer Schrift, eines wirbt für „Rückkehrberatung“.
Das Gebäude im Hamburger Stadtteil Rahlstedt ist das erste sogenannte „Dublin-Zentrum“ Deutschlands. Benannt nach den Dublin-Regelungen der Europäischen Union, wonach Geflüchtete in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie zuerst EU-Boden betreten haben. Wer sich nicht daran hält und trotzdem weiter nach Deutschland reist, den überstellen die Behörden in das zuständige Land – so zumindest die Theorie. Die Praxis sieht häufig anders aus.
Hamburg ist Anfang des Jahres vorgeprescht und hat ein eigenes Zentrum eingerichtet für Asylbewerber, die in ein EU-Land überstellt werden sollen.
Dublin-Zentrum in Hamburg: Rund 300 Menschen finden hier Platz
Wie kam es dazu? Ein Rückblick: Ende Januar ersticht ein Mann in Aschaffenburg das Kind marokkanischer Eltern und einen Deutschen, der versucht hat, sich dem Angreifer in den Weg zu stellen. Der mutmaßliche Täter ist ein 28-Jähriger aus Afghanistan. Längst hätte der nicht mehr in Deutschland sein sollen. Laut den Dublin-Regeln war Bulgarien für sein Verfahren zuständig. Aber die Überstellung scheiterte.
Nach der Tat gaben sich Bayern und der Bund gegenseitig die Schuld an der misslungenen Aktion. Versäumnisse gab es wohl auf beiden Seiten. Klar ist: Die gescheiterte Abschiebung ist kein Einzelfall. Im Jahr 2024 hat Deutschland in 74.583 Fällen die Überstellung in ein EU-Land beantragt. In 44.431 dieser Fälle haben die Partner zugestimmt. Tatsächlich außer Landes gebracht wurden aber nur 5827 – gerade einmal 13 Prozent. Und das hat Gewicht. Die Dublin-Fälle machen mehr als ein Viertel aller Rückführungen aus.

Das Hamburger Zentrum ist angedockt an eine bestehende Erstaufnahmeeinrichtung. Rund 300 Menschen finden hier Platz. Innenministerin Faeser besuchte das Zentrum im Februar zusammen mit dem Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD). Sie besichtigten die kahlen, weißen Gänge, die klinisch anmutenden Wartesäle, die Zimmer mit schwarzen Stockbetten. Hier schaffe man die Voraussetzungen „für schnelle, effizientere und erfolgreichere Verfahren zur Rücküberstellung von Menschen in den für sie zuständigen EU-Staat“, sagte Grote damals.
Die Idee: Im Dublin-Zentrum sollen alle zuständigen Behörden an einem Ort gebündelt werden. Das BAMF hat dort eine Vertretung, die zuständige Ausländerbehörde des Bundeslandes und die Gerichtsantragstellen. So soll sichergestellt werden, dass die Behörden besser zusammenarbeiten, sagte Faeser damals.
Zwei SPD-Länder: Hamburg prescht vor, Brandenburg zieht nach
Zwei Monate später ist die Auslastung allerdings übersichtlich: Sieben Asylbewerber sind dort untergebracht. Die Zahl solle „sukzessive aufwachsen“, sagt ein Sprecher der Behörde. Nichtsdestotrotz scheint die Idee zu verfangen. Inzwischen hat mit Brandenburg ein zweites SPD-Land das Konzept übernommen und ein Dublin-Zentrum aufgebaut. „Die Länder schauen hier gegenseitig aufeinander“, sagt Innenministerin Katrin Lange unserer Redaktion. Es sei entscheidend, dass Bund und Länder besser zusammenarbeiten. „Denn die Akzeptanz für die ungebrochene Fortsetzung der bisherigen Migrationspolitik ist bundesweit weitgehend erloschen.“

Wie erfolgreich die Arbeit der Dublin-Zentren ist, muss sich aber noch zeigen. Das gesteht auch Innenministerin Nancy Faeser ein. Denn es gibt viele Gründe, warum Rückführungen scheitern. Und nicht alle liegen in der Hand der deutschen Politik. Im Gegenteil. In den allermeisten Fällen scheitert die Rückführung am Zielland. In etwa 30.000 Fällen stimmten die EU-Partner einer Rücküberstellung gar nicht erst zu. Griechenland beispielsweise bejahte von über 15.000 Ersuchen im vergangenen Jahr nur knapp über 200.
Etwa 15.000-mal kam es vor, dass die Überstellung am Partnerland scheiterte – trotz vorheriger Zustimmung. Italien etwa hat 2024 nur drei Geflüchtete zurückgenommen. Obwohl das Land in mehr als 10.000 Fällen einer Rücküberstellung zugestimmt hatte. Der Knackpunkt: Laut Dublin-Regeln muss die Überstellung innerhalb von sechs Monaten erfolgen. Geschieht das nicht, können Geflüchtete ihren Antrag auch in Deutschland stellen.
Warum Abschiebungen scheitern – oft liegt es an den EU-Staaten
Italien versucht, die Dublin-Regeln deshalb systematisch zu umgehen. Beispielsweise, indem nur bestimmte Flughäfen angesteuert werden dürfen oder Termine für die Überstellung nicht bestätigt werden. Das macht eine Überstellung in vielen Fällen unmöglich oder zögert sie zumindest so lange hinaus, bis die Frist von sechs Monaten überschritten ist.
„Wenn die Verfahren vor allem an den Partnerländern scheitern, dann ist schon fraglich, wie viel diese Dublin-Zentren überhaupt ausrichten können“, sagt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. Innenministerin Faeser versicherte dazu, man stehe mit den EU-Ländern in Kontakt, um die Zusammenarbeit zu verbessern.

Andere Gründe, warum Rückführungen scheitern: Krankheit, Kirchenasyl oder fehlende Papiere. Auch wenn der Asylbewerber im Flugzeug Widerstand leistet, wird die Überstellung mitunter abgebrochen. Im vergangenen Jahr galten außerdem über 4800 der Ausreisepflichtigen als untergetaucht. In etwa 5400 Fällen scheiterte die Rückführung an den Behörden. Zumindest diese letzten Fälle könnten sich mit Dublin-Zentren reduzieren lassen, so das Kalkül.
Hilfe vom Staat erhalten die Asylbewerber nur für zwei Wochen und auch nur in Form von Sachleistungen. Das soll abschreckend wirken und die Menschen davon abhalten, erneut nach Deutschland einzureisen, so die Bundesinnenministerin. Pro Asyl übt Kritik. „Was soll denn mit den Menschen passieren, wenn die Rückführung scheitert? Wir halten das für verfassungswidrig“, sagt Wiebke Judith. „Und wir werden die Menschen unterstützen, die dagegen klagen möchten.“
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