Der Bundestag soll kleiner werden, das findet selbst die Union. Und doch lehnt sie die Vorschläge der Ampel-Koalition, die Herzkammer der deutschen Politik wieder auf Normalgröße zu bringen, ein ums andere Mal ab. Das liegt daran, dass vor allem die CSU massiv an Abgeordneten einbüßen würde. Denn die geplante Reform der Regierung sieht vor, dass es keine Überhangmandate mehr geben soll. Sie entstehen dann, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt, als ihr aufgrund des Zweitstimmenergebnisses zustehen. Weil aber alle Gewinner eines Direktmandats in den Bundestag einziehen, bekommen zum Ausgleich die anderen Parteien anteilig ebenfalls Plätze dazu.
Diese Regelung nützt bislang vor allem den Christsozialen. Schauen wir nach Bayern: Hier gewann die CSU bei der letzten Bundestagswahl 45 der 46 Wahlkreise direkt. Nach ihrem Zweitstimmenergebnis hätten ihr jedoch nur 34 Sitze zugestanden. Doch dank der Überhangs-Regelung durften auch die elf weiteren Direktmandats-Gewinner als Abgeordnete nach Berlin.
Kleinerer Bundestag: Volker Ullrich von der CSU wäre nicht mehr vertreten
Gäbe es die Sonderregelung nicht mehr, müssten also elf direkt gewählte CSU-Abgeordnete auf ihren Platz im Bundestag verzichten - und zwar die elf mit den schlechtesten Wahlkreis-Ergebnissen. Bei der letzten Wahl hätte das ein paar prominente Köpfe betroffen, etwa den Augsburger CSU-Mann Volker Ullrich. Er holte im Wahlkreis Augsburg-Stadt das Direktmandat. Weil aber die Kandidatinnen der Grünen und der SPD, Claudia Roth und Ulrike Bahr, ebenfalls stark abschnitten, brachte es Ullrich nur auf ein für CSU-Verhältnisse vergleichsweise schwaches Ergebnis von 28,1 Prozent der Erststimmen. Das ist keine Besonderheit von Augsburg, in den gesellschaftlich sehr bunten Städten sind die Mandate traditionell besonders umkämpft.
Ebenso raus wäre Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer, der in Passau "nur" 30,7 Prozent holte. Auch Stefan Pilsinger, in der Corona-Pandemie gern zitierter CSU-Gesundheitsexperte, hätte es mit seinen 27 Prozent im Wahlkreis München West/Mitte nicht nach Berlin geschafft, ebenso wenig wie Wolfgang Stefinger (München-Ost), der gerade in ganz Deutschland gefeiert wird, weil er für ein Novum im Bundestag sorgte, indem er seine Liebesbeziehung zum CDUler Sepp Müller öffentlich machte. Auch Mechthilde Wittman, CSU-Vertreterin für das Oberallgäu und Lebensgefährtin von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, hätte den Einzug verpasst.
Union spricht sich gegen Wahlrechtsreform aus
Das hätte auch Folgen für die elf Wahlkreise der Entmachteten. Augsburg, das Oberallgäu oder etwa Passau wären dann nicht mehr mit einem direkt gewählten Vertreter in Berlin. Die CSU hält die geplante Reform deswegen sogar für "verfassungswidrig", wie Ministerpräsident Markus Söder am Dienstag auf Twitter schrieb. "Der Vorschlag zur Wahlrechtsreform ist rein politisch motiviert. Die Ampel will Bayern im Bund schwächen. Wenn direkt gewählten Abgeordneten der Einzug ins Parlament verwehrt wird, schadet das der Demokratie", wetterte Söder in seinem Beitrag.
Tatsächlich wäre der Bundestag nach der geplanten Reform deutlich weniger bayerisch geprägt. Sieht man sich die Auswertungen des Bundeswahlleiters zur Abstimmung 2021 genauer an, stellt man fest, dass es insgesamt 24 bayerische Abgeordnete nicht mehr ins Parlament schaffen würden. Elf eben von der CSU, 13 von anderen Parteien. Stärker betroffen wären noch Baden-Württemberg mit 25 und Nordrhein-Westfalen mit 28 Sitzen weniger.
Auch andere Bundesländer wären von der Wahlrechtsreform betroffen
Es stimmt also nicht, dass nur Bayern und die CSU hart getroffen würden. Von der Regelung der Überhang- und Ausgleichsmandate profitieren alle großen Parteien im Bundestag. Bei der Bundestagswahl 2021 gab es davon 138. Auf die Union entfielen 41 Zusatzmandate, auf die SPD 36, auf die Grünen 24, auf die FDP 16, auf die AfD 14, auf die Linke sieben. Aber ja, die Union würde besonders bluten.
CDU und CSU haben deshalb am Dienstag angekündigt, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, sollte der derzeitige Entwurf Gesetz werden. Man sei aber bereit zu Gesprächen über Alternativlösungen. Er rechne damit, dass es in der laufenden Woche Gespräche der Fraktionsvorsitzenden zu dem Thema gebe, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), am Dienstag. Dass etwas geschehen muss, steht fest: Mit 736 statt der regulären 598 Sitze ist der Bundestag in dieser Legislaturperiode so groß wie nie.