Bei Auslandsreisen von Spitzenpolitikern werden grundsätzlich keine Fotos aus dem Regierungsflieger veröffentlicht. Das hat nichts mit Geheimniskrämerei, sondern mit der Wahrung von Privatsphäre zu tun. Seltene Ausnahmen von dieser Regel gibt es immer dann, wenn sich die Akteure besonders in Szene setzen wollen. Das aktuellste Foto aus dieser Reihe zeigt Kanzler Olaf Scholz auf dem Rückflug vom G20-Gipfel in Rio de Janeiro. Der SPD-Politiker spricht mit der Begleitpresse. Er trägt ein Poloshirt, zeigt sich lässig, seine Gestik drückt gleichzeitig Konzentration aus. „Ich habe die Lage im Griff und bin bereit“, soll das zeigen. Gleichzeitig gilt aber auch: Scholz wirft alles in die Waagschale, um erneut Kanzlerkandidat der SPD zu werden.
Regierungsmitglieder wie er müssen gerade besonders darauf achten, dass sich Wahlkampf und Arbeit nicht unzulässig miteinander vermischen. Für das eine kommt die Parteikasse auf, für das andere bezahlen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Was seine Arbeit als Kanzler angeht, hat das Foto keinerlei Nachrichtenwert. In Brasilien gab Scholz am Rande des G20 viele Interviews – als Kanzler selbstverständlich. Angesichts der für ihn ungewöhnlichen Medien-Präsenz suchte da aber eben auch der Wahlkämpfer Scholz seine Chance, Boden gutzumachen.
Kanzlerfrage in der SPD: Scholz ist nicht allein
Bislang war der Amtsinhaber davon ausgegangen, dass er sich wieder um den Einzug ins Kanzleramt bewerben darf. Sein Ziel sei es, „erneut Kanzler zu werden“, sagte er im Juli auf der traditionellen Sommerpressekonferenz in Berlin. Diese Tonlage hat Scholz beibehalten. „Die SPD und ich wollen gemeinsam gewinnen“, erklärte er in einem seiner zahlreichen Rio-Interviews der ARD. Dem ZDF sagte er: „Ich fühle mich auch sehr klar unterstützt. Ich fühle mich nicht alleine.“
Doch wirklich zahlreich ist die Unterstützung für den angeschlagenen Regierungschef derzeit nicht. Die Parteispitze hat immer wieder ihre Unterstützung für Scholz bekräftigt. Eine Schaltkonferenz der engeren Führung endete jedoch ohne öffentliches Bekenntnis für den eigenen Bundeskanzler. Sind das schon Absatzbewegungen? Das Treffen habe der Vorbereitung des Wahlkampfs gedient, hieß es offiziell zur Begründung der Sprachlosigkeit von Saskia Esken und Lars Klingbeil. Aber das darf schon allein deshalb als abwegig gelten, weil ein Wahlkampf ohne eindeutigen Spitzenkandidaten nicht geplant werden kann. Scholz ist an einem klaren Statement seiner Genossen gelegen, der Druck ist so groß, dass er den als zweiten Teil seiner Auslandsreise geplanten Mexiko-Besuch absagte.
Pistorius ist der beliebteste Politiker
Würde jetzt und nicht erst am 23. Februar 2025 ein neuer Bundestag gewählt, käme die SPD laut aktuellem RTL/ntv-Trendbarometer auf einen Anteil von 15 Prozent der abgegebenen Stimmen, das sind rund zehn Punkte weniger als bei der letzten Bundestagswahl. Die Nervosität unter den Sozialdemokraten ist deshalb groß. Durch das reformierte Wahlrecht schrumpft die Zahl der verfügbaren Sitze im Bundestag ohnehin schon. Fällt die SPD tatsächlich weit hinter das letzte Wahlergebnis zurück, kostet das Arbeitsplätze unter den Abgeordneten, deren Teams und in der Fraktionsgeschäftsstelle.
Im Ranking der beliebtesten SPD-Politiker liegt Scholz meilenweit hinter Verteidigungsminister Boris Pistorius zurück. Arbeitsminister Hubertus Heil und Parteichef Lars Klingbeil sind ebenfalls beliebter als er. Nur Co-Chefin Saskia Esken genießt noch weniger Vertrauen als der Kanzler. Für einige in seiner Partei ist das Grund genug, gegen Scholz zu arbeiten. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter etwa sprach sich erneut gegen eine weitere Kanzlerkandidatur des Amtsinhabers aus. Zuvor hatten sich die Vorsitzenden der NRW-SPD-Landesgruppe im Bundestag, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, kritisch zun den Ambitionen von Scholz geäußert. In der Bundestagsfraktion löste das allerdings auch einiges Murren aus. Die Ankündigung von Fraktionschef Rolf Mützenich, erneut für den Bundestag zu kandieren, wurde bei Beobachtern in Berlin als Votum für Scholz begriffen. Mützenich hatte sich schon früh für ihn ausgesprochen, beide eint ein eher besonnener Ukraine-Kurs.
Es blieb auch nach der Rückkehr von Scholz aus Rio schwer, ein scharfes SPD-Stimmungsbild zu zeichnen. Unterm Strich schien es in der Partei, ungeachtet aller Kritik, eine Präferenz für die Unterstützung einer erneuten Spitzenkandidatur des amtierenden Kanzlers zu geben. Was den Zeitpunkt angeht, war die Meinungslage etwas einheitlicher: Am Freitagabend beginnt in Halle der Juso-Bundeskongress. Bis dahin, so die Erwartung vieler Sozialdemokraten, liegt eine offizielle Entscheidung der Parteispitze vor.
Zur Zeit kann sich die SPD umbenennen in Scholz-Pistorius-Dilemma. :-))
Herr Lange, eine Inszenierung? Von wem? Von der Presse.
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