„Warum?“ Warum nur tue sie sich das an, wenn doch allen klar sei, wer der nächste Präsident in Russland sein werde. Es ist die erste Frage, die Jekaterina Dunzowa gestellt wird, seit sie ihre Kandidatur angekündigt hatte. Seit sie, die völlig Unbekannte, von der es kaum Fotos gibt, angetreten ist, um die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen – mit einem Charme, den sie selbst offenbar noch finden muss. Ihre Antwort: Es müsse sich etwas ändern in Russland. Sie wolle ihrem Land die „Zukunft zurückgeben“. So sagt sie es, leise, zurückhaltend, als wäre das Gesagte ihr selbst nicht geheuer. Sie setzt das Wort Wahlen in Anführungszeichen, wenn sie über die dreitägige Abstimmung im März kommenden Jahres schreibt und spricht.
Auch sie weiß, auf welchem politischen Feld sie sich bewegt. Jedes ihrer Interviews, das sie nun vor allem unabhängigen Journalisten im In- und Ausland gibt, macht ihre Vorsicht deutlich. Dunzowa wirkt nervös, sie umgeht Themen mit einem schüchternen Lächeln – und nimmt schon gar nicht das Wort „Krieg“ in den Mund. Sie trete für eine „Agenda des Friedens“ an. Die 40-Jährige ist Anwältin, sie weiß – wie es jede und jeder im Russland von heute weiß –, wohin ihr Weg führen dürfte, wenn sie allzu deutlich und allzu laut das bestehende Regime kritisieren würde. Den Krieg zu hinterfragen – oder die „militärische Spezialoperation“, wie ihn auch Dunzowa, gesetzeskonform, bezeichnet – kann Jahre im Gefängnis einbringen. Natürlich habe sie Angst, wer bitte habe das nicht in Russland, fragt sie und wirkt in diesem Moment so etwas wie kämpferisch.
Die Verkündigung der neuerlichen Putin-Kandidatur wirkt inszeniert
Ja, Jekaterina Dunzowa hat es getan. Hat ihre Kandidatur angekündigt, noch bevor Wladimir Putin seine bekannt gegeben hatte. Dieses „Er wurde gebeten und macht das“ war eine Sensation ohne Sensation. Putin hatte 2020 die Verfassung ändern lassen, um nochmals für sechs Jahre antreten zu können. Es blieb nur noch die Frage nach dem Wann und Wo der Bekanntgabe. Sie geschah am Rande einer Feier zum Tag des Helden des Vaterlandes, auf Bitten eines von Putin geehrten „Helden“, der seinen Sohn im Donbass verloren und danach dessen Posten übernommen hatte. Abgesprochen sei freilich nichts gewesen, hatte es aus dem Kreml zur offensichtlichen Inszenierung geheißen.
Jekaterina Dunzowa will mit dem Frauenthema punkten. „Frauen stehen für Sanftheit, Güte, Friedfertigkeit.“ Damit bedient auch sie patriarchale Ansichten im Land. Müde seien die Menschen von dem, was vor sich gehe. Der „Konflikt“ müsste mit Verhandlungen gelöst werden. Was sie verhandeln würde, wie und wo, sagt sie nicht. „Alles ist traurig. Jemand muss die Verantwortung auf sich nehmen und losziehen.“
Jekaterina Dunzowa sucht Unterstützer in ganz Russland
Dunzowa zieht los. Erst einmal, um eine Initiativgruppe von 500 Unterstützern quer durchs Land zu finden, die als so registrierte Gruppe 300.000 Unterschriften, ebenfalls quer durchs Land und auch von Russen im Ausland, sammeln soll. Wenn die Zentrale Wahlkommission sie registriert, gilt sie als Putins offizielle Gegnerin. „Es muss irgendeine Alternative geben im Land, egal, welche“, sagt sie und will genau diese Alternative sein. Sie steht für demokratische Reformen, für Frieden, die Befreiung politischer Gefangener, die Wahrung von Rechten sexueller Minderheiten.
Ein festes Wahlprogramm solle es erst geben, wenn sie den Status einer offiziellen Kandidatin habe. Sie sieht sich als „Hoffnungsträgerin“ und ist sich selbst gewahr, dass „diese Nummer“ alles übertreffe, was sie bisher gemacht hatte. Auch die Staatsanwaltschaft interessiert sich nun für sie. Kaum hatte Dunzowa ihre Ankündigung veröffentlicht, wurde sie vorgeladen, man habe wissen wollen, was sie über die „Aktivitäten der russischen Armee in der Ukraine“ denke. „So funktioniert es in unserem Land“, sagte sie und schob den Einschüchterungsversuch als „Normalität“ beiseite.
Jekaterina Dunzowa tritt an – gegen jede Wahrscheinlichkeit
Dunzowa ist 1983 in Sibirien geboren, war als Jugendliche nach Rschew gezogen, eine Kleinstadt knapp 200 Kilometer nordwestlich von Moskau. Nach ihrem Jurastudium und ihrer Ausbildung zur Fernsehjournalistin war sie Stadtparlamentsabgeordnete von Rschew. Dass direkte Bürgermeisterwahlen abgeschafft worden waren, hatte die Mutter von zwei Töchtern (heute 19 und 16 Jahre) und einem Sohn (10) gewurmt, deshalb sei sie in die Politik gegangen. Sie habe sich in ihrer Stadt als Aktivistin für verschwundene Kinder und Erwachsene betätigt, habe sich stets für die Allgemeinheit engagiert, erzählt sie. Jetzt wolle sie weitergehen. „Du kannst es, Katja!“, hätten ihr die Verwandten und Freunde in Rschew gesagt. Und „Katja“ – es ist der Kurzname von Jekaterina – versucht es. Gegen das Regime. Gegen ihre eigene Angst. Gegen jede Wahrscheinlichkeit.