Cem Özdemir hatte so eine Ahnung: „Wenn ich mir Union, SPD und FDP so anschaue“, unkte der frühere Grünen-Chef schon in der vergangenen Woche, „frage ich mich, ob die nicht schon heimlich an einer Art Stillstandskoalition basteln.“ Eine Regierung ohne Grüne, sollte das heißen – und genau diese Debatte führt Sachsen-Anhalt nach der Wahl. Rein rechnerisch hätten im neuen Landtag in Magdeburg zwar CDU und SPD eine knappe Mehrheit von einer Stimme, im Gespräch allerdings ist neben anderen Dreier-Allianzen auch eine sogenannte Deutschland-Koalition, also ein schwarz-rot-gelbes Bündnis aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen.
Parteienforscher Faas: Die SPD steht als Juniorpartner zur Verfügung
Wäre das, womöglich, auch ein Modell für die nächste Bundesregierung? Der Berliner Parteienforscher Thorsten Faas kann sich das durchaus vorstellen. „Schwarz-rot-gelb ist eine Option“, betont er gegenüber unserer Redaktion. „Allerdings auch nur dann, wenn andere Bündnisse keine Mehrheit haben.“ Ein „natürliches“ Bündnis, das allseits Begeisterung auslöse, sei eine solche Koalition nicht. Vor allem für die SPD wäre der Eintritt in ein solches Bündnis eine „heikle Frage“, ahnt Faas. In der langen Zeit an der Seite der Union hat sie kontinuierlich an Zuspruch verloren. Dass sie eine Deutschland-Koalition deswegen aus Prinzip ablehnt, glaubt Faas allerdings nicht. „Baden-Württemberg und jetzt auch Sachsen-Anhalt zeigen ja, dass die SPD auch als Juniorpartnerin weiterhin zur Verfügung steht.“ In Baden-Württemberg entschied Winfried Kretschmann sich am Ende zwar für die Union als Koalitionspartner – die Südwest-SPD aber wäre liebend gerne eine Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP eingegangen.
FDP-Generalsekretär Volker Wissing zeigt sich jedenfalls offen für die Deutschland-Koalition – hier wie dort. „Wir stehen bereit für Regierungsverantwortung sowohl in Sachsen-Anhalt als auch im Bund“, sagte er der Bild-Zeitung. „Und selbstverständlich können wir mit der Union und auch den Sozialdemokraten zusammenarbeiten.“ Umgekehrt macht auch CDU-Chef Armin Laschet aus seinem Faible für die Liberalen keinen Hehl. „Dass jemand wie ich, der die FDP als Koalitionspartner sehr schätzt, sich darüber freut, wenn die FDP mehr Stimmen erringt als die Grünen und sie damit potenziell Koalitionspartner sein können, werden Sie verstehen“, sagte er. Für die Bundesebene könne man die Frage nach einer schwarz-rot-gelben Koalition aber erst nach der Wahl beantworten.
Noch reicht es in den meisten Umfragen für Schwarz-Grün
In den meisten bundesweiten Umfragen haben Union und Grüne im Moment noch eine knappe Mehrheit – bei der Wahl in Sachsen-Anhalt allerdings hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Grünen Schwierigkeiten haben, gute Umfrageergebnisse in gute Wahlergebnisse zu verwandeln. Auch vor der letzten Bundestagswahl lagen sie schon einmal klar im zweistelligen Bereich, am Ende wurden sie mit 8,9 Prozent der Stimmen die kleinste Fraktion im neuen Bundestag.
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, ließ am Montag offen, ob es mit ihm eine Deutschland-Koalition geben wird. „Es gibt mehrere Möglichkeiten“, sagte er. Seine Partei werde „ergebnisoffen“ in die Kontaktaufnahme gehen. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans bezweifelt allerdings, dass CDU und SPD in Sachsen-Anhalt mit nur einer Stimme Mehrheit eine tragfähige Koalition bilden können. Es seien „Zweifel an der Stabilität der CDU-Fraktion angebracht“, sagte er.
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