Am Tag danach sitzt Stephan Thomae einigermaßen ratlos in seinem Auto. „Ich habe keine Erklärung dafür“, sagt der Bundestagsabgeordnete aus dem Allgäu. Er ist, wenn man so will, der Herr Aigner der Liberalen. Wie die Verbraucherministerin von der CSU hat auch Thomae sich entschieden, in diesem Jahr nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, sondern für den bayerischen Landtag. Mit einem Unterschied: Ihr stehen in der CSU jetzt alle Türen offen – für ihn haben sich alle geschlossen.
Der Dämpfer, den die bayerischen Wähler der FDP am Sonntag verpasst haben, beendet nicht nur aussichtsreiche politische Karrieren wie die des Kemptener Rechtsanwalts Thomae. Eine Woche vor der Bundestagswahl ist auch eine kleine, vielversprechende Serie gerissen: Bei den letzten drei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatten die Liberalen kurz vor dem Wahltag ebenfalls noch deutlich unter fünf Prozent gelegen, überall aber locker den Sprung in die Landtage geschafft.
FDP landet bei den Landtagswahlen nur bei rund drei Prozent
Diesmal dagegen ist die Klatsche mit etwas mehr als drei Prozent so saftig, dass selbst ein notorischer Optimist wie Gesundheitsminister Daniel Bahr ins Grübeln gerät. Am nächsten Sonntag, unkt der 36-Jährige bereits, gehe es in seiner Partei auch „um die Existenz“.
Ein Bundestag ohne die FDP? Er wolle „das Undenkbare nicht aussprechen“, sagt einer ihrer Parlamentarier. „Aber uns sitzt ja auch noch die Alternative für Deutschland im Nacken.“ Die großen Plakate mit dem Porträt ihres Spitzenkandidaten Rainer Brüderle haben die Liberalen deshalb für das Wahlkampffinale noch um einen Slogan erweitert: „Jetzt geht‘s ums Ganze.“ Untertitel: „Zweitstimme FDP.“
Teilweise gibt es bereits Absprachen zwischen CSU und FDP
Soll die Union sich ruhig entrüsten, jede Partei kämpfe für sich allein: Die FDP hat ihren Kandidaten in den Wahlkreisen bereits per Rundschreiben empfohlen, sich an Außenminister Guido Westerwelle ein Beispiel zu nehmen, der in seiner Heimatstadt mit den Christdemokraten längst eine entsprechende Absprache getroffen und die sogar schriftlich fixiert hat. „Es wurde zwischen den Beteiligten verabredet“, heißt es darin, „dass sich die Bonner CDU auf das Werben um die Erststimme konzentriert und die Bonner FDP auf die Zweitstimme setzt.“ Eine ähnliche, wenn auch nur mündliche Übereinkunft gibt es in Heidelberg, wo Dirk Niebel für die Liberalen antritt. Diesem Beispiel würden noch viele Wahlkreise folgen, hatte der Entwicklungsminister schon vor der Bayern-Wahl prophezeit.
CDU kämpft um Erst- und Zweitstimmen
In der Union geht unterdessen die Angst vor dem Niedersachsen-Effekt um. Bei der Wahl dort hatte die FDP im Januar ähnlich offensiv um die Zweitstimmen von CDU-Anhängern gebuhlt wie jetzt. Am Ende landete sie zwar bei knapp zehn Prozent, Ministerpräsident allerdings wurde nicht mehr der CDU-Mann David McAllister, sondern der nicht allzu populäre Sozialdemokrat Stefan Weil. „Wer die Bundeskanzlerin behalten möchte“, warnt Fraktionschef Volker Kauder deshalb, „wird auch die Zweitstimme der CDU geben müssen.“ Die Kampagne, die der Koalitionspartner noch am Wahlabend gestartet hatte, sei „ein Spiel mit dem Feuer“.
Union ist gegen „Mitleidsstimmen“ für den Koalitionspartner
Präsidiumsmitglied Philipp Mißfelder drückt es noch etwas plakativer aus: Auch die Union habe am Sonntag nichts zu verschenken, und schon gar keine „Mitleidsstimmen“ für die FDP. Deren Spitzenkandidat dagegen kann daran nichts Schlimmes finden. Dass die Freidemokraten gezielt um Zweitstimmen aus dem Lager der Union werben, beruhigt Rainer Brüderle, sei doch „nix Neues“. Auch Kauders Argument, die zweite Stimme sei die Merkel-Stimme, will der Pfälzer nicht gelten lassen. Wer sein Kreuz bei der FDP mache, stimme damit ja ebenfalls für die amtierende Bundeskanzlerin.