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Wagenknecht-Partei: Volkes Wut ist Sahra Wagenknechts Treibstoff

Wagenknecht-Partei

Volkes Wut ist Sahra Wagenknechts Treibstoff

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    Sahra Wagenknecht zusammen mit Amira Mohamed Ali (l) und Ralph Suikat (r) beim Gründungsakt ihrer Partei.
    Sahra Wagenknecht zusammen mit Amira Mohamed Ali (l) und Ralph Suikat (r) beim Gründungsakt ihrer Partei. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Einen besseren Tag zur Gründung einer Protestpartei kann es nicht geben. Bauern, Fuhrunternehmer und Handwerker blockieren im ganzen Land die Straßen, im Volk gärt es. Das Ansehen der Regierung liegt in Trümmern. Der eben auf einer Fähre von wütenden Landwirten bedrängte Wirtschaftsminister Robert Habeck ruft in einer Videobotschaft dazu auf, die Republik zu verteidigen, „den besten Staat, den Deutschland je hatte“. 

    Doch die Stimmung ist eine andere, von wegen bestes Deutschland aller Zeiten. „Die Demokratie in unserem Land wird in erster Linie gefährdet durch eine Politik, von der sich immer mehr Menschen im Stich gelassen oder aber vor den Kopf gestoßen fühlen“, sagt Sahra Wagenknecht

    Das Bündnis BSW mit der Vorsitzenden Sahra Wagenknecht

    Vor ihr hat die Hauptstadtpresse in großer Zahl Platz genommen. An ihrer Seite hat die 54-Jährige die engsten Mitstreiter für das interessanteste politische Projekt des Jahres versammelt. Nur wenige Stunden zuvor haben sie das "Bündnis Sahra Wagenknecht" offiziell als Partei gegründet – eine Verbindung, die den Namen der Galionsfigur trägt, ergänzt um das Begriffspaar Vernunft und Gerechtigkeit. BSW lautet das Kürzel. Um es praktisch zu halten, ist eine der beiden Vorsitzenden SW. 

    Wagenknecht will in einer Wut-Partei den Zorn der Straße aufnehmen und der anderen Wut-Partei – der AfD – Stimmen abjagen. „Wir haben diese neue Partei gegründet, damit diese falsche Politik, damit die Unfähigkeit und Arroganz im Berliner Regierungsbezirk, damit das überwunden werden kann“, führt sie aus. Es ist das alte Versprechen der meisten Parteien, einen Staat von oben zu lenken und gleichzeitig ganz dicht am Volk zu sein. Oben und Elite sind immer die anderen.

    Wagenknecht verfügt über viel Erfahrung auf dem Gebiet der Wut-Umleitung. Über 30 Jahre war sie Mitglied in einer Partei, die zunächst das Ventil für den Groll der Ostdeutschen war. Sie häutete sich mehrfach – hieß zunächst noch SED, dann PDS, Linkspartei und Linke. Über die Jahre ging ihr das Wut-Potenzial auf der langen Strecke aus, verlor sie diese Krone an die AfD. Mittlerweile greift diese sogar nach der Krone im Parteiensystem insgesamt, in Umfragen steht die Alternative für Deutschland auf Platz 2, im Osten liegt sie in der Gunst der Wähler sogar vorn.

    Das Bündnis Wagenknecht sieht sich an der Seite der Bauern

    Von diesem großen Kuchen will sich Wagenknecht ein Stück abschneiden. Am Gründungstag unterstützt sie den Protest der Bauern, wie sollte es anders sein. „So können wir mit Menschen, die unsere Lebensmittel produzieren, nicht umgehen. Das ist eine verdammt harte Arbeit.“ Im Protest der Bauern geht es nicht nur um verbilligten Agrardiesel, es schwingt mehr mit. Es ist eine Mischung aus tief sitzender Frustration, Empörung über die Regierung und Verunsicherung, die sich Platz sucht. Bisher findet sie bei der AfD eine Adresse, Wagenknecht will am Anfang zumindest der Zweitwohnsitz werden.

    Sahra Wagenknecht (3.v.r) und ihre Getreuen: Der Ex-SPD-Mann und frühere Oberbürgermeister von Düsseldorf Thomas Geisel (l-r), der Unternehmer Shervin Haghsheno, sowie die früheren Linken-Abgeordneten Amira Mohamed Ali, Christian Leye und Fabio de Masi bei der Vorstellung der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW) in Berlin.
    Sahra Wagenknecht (3.v.r) und ihre Getreuen: Der Ex-SPD-Mann und frühere Oberbürgermeister von Düsseldorf Thomas Geisel (l-r), der Unternehmer Shervin Haghsheno, sowie die früheren Linken-Abgeordneten Amira Mohamed Ali, Christian Leye und Fabio de Masi bei der Vorstellung der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit" (BSW) in Berlin. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Das Potenzial dafür wird ihr zugeschrieben. Im November fragten die Meinungsforscher des ARD-Deutschlandtrends danach, ob die neue Wagenknecht-Partei gut oder schlecht für Deutschland sei. 36 Prozent aller Befragten sagten „gut“. Seinerzeit gab es die Partei noch gar nicht, sondern lediglich den vorbereitenden Verein. Die stärkste Zustimmung erhielt die frische politische Kraft übrigens von den Wählern der AfD. Beinahe zwei Drittel sahen das positiv, weitaus mehr als bei den Unterstützern von Wagenknechts bisheriger politischer Heimat. In Thüringen sorgte eine Umfrage für Furore, nach der die BSW ein Viertel aller Stimmen holen könnte.

    Auch wenn erfahrene Demoskopen sagen, dass derartige Werte nicht viel mehr sind als flüchtige Schatten in der Meinungslandschaft, verschaffen sie Wagenknecht Rückenwind. Würde das Unternehmen die Wähler nicht interessieren, wäre es schneller Geschichte als die Einigkeit in der Ampelkoalition. Nur die Aussicht auf Erfolg lockte und lockt Unterstützer aus anderen Parteien zu Wagenknechts Feldversuch. Dazu zählen natürlich die Profis aus der Linkspartei, aber zum Beispiel auch der frühere Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel. 40 Jahre war er in der SPD.

    Wagenknechts zweiter Anlauf

    Der Aufbau einer neuen Partei ist Knochenarbeit. Wagenknecht haderte damit. Sie ist vor einigen Jahren schon einmal mit einer politischen Bewegung gescheitert, die sich Aufstehen nannte und schnell versandete. Den Fraktionsvorsitz der Linken musste sie einst aufgeben, weil sie ausgebrannt war.

    Nun will sie es noch einmal wissen. Ihr zweiter Versuch, mit einer neuen Organisation das Parteiensystem aufzumischen, hat den Vorteil, dass der Zeitraum der Kraftanstrengung überschaubar ist. Vier Wahlen stehen bis zum Herbst an – zunächst die Europawahl im Juni, gefolgt von den drei Ostwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September. „Die Menschen erwarten, dass wir antreten, deswegen gehe ich davon aus, dass wir das leisten“, sagt Wagenknecht.

    Um sich dem Votum der Wähler stellen zu dürfen, müssen rasch Unterschriften gesammelt und Kandidatenlisten aufgestellt werden. Die Regel lautet, dass die Vorschläge spätestens drei Monate vor der Wahl bei den Wahlleitern eingehen müssen. Teilweise sind die Fristen eine Woche kürzer oder länger. Stemmen sollen die Organisationsarbeit 450 Mitglieder der BSW, die in ganz Deutschland Bundespartei und Landesverbände aufbauen. Wagenknecht will klein anfangen, um das Risiko zu verringern, dass Schwärmer, Suchende, Glücksritter und U-Boote der AfD Missgunst, Streit und Skandale produzieren. Potenzielle Mitglieder sollen genau angeschaut werden, ob sie dem Projekt wirklich nützen können.

    Gelingt das, könnte sich Sahra Wagenknecht mit ihrer Formation bis zum Jahresende im politischen System festgekrallt haben. Die Anführerin wird sich nicht zur Wahl stellen, sondern weiter die Bühne des Bundestages nutzen, in dem sie auf einem Mandat sitzt, das sie einst auf dem Ticket der Linken errungen hat. Ihre Rezepte hat sie in den vergangenen Jahren entwickelt und in den Talkshows ausgiebig vorgestellt. Es ist eine Melange aus linker und rechter Politik, die es in Deutschland bisher nicht gibt. Deutliche Begrenzung der Zuwanderung (rechts) bei spürbarem Ausbau der Sozialleistungen (links), eine abwartende Klimapolitik (rechts) und ein Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine (rechts und links). „Viele Menschen können mit diesen Labels links und rechts nicht mehr viel anfangen“, sagt Sahra Wagenknecht. Sie trägt ein leuchtend rotes Kostüm, der Farbe ihrer geistigen Heimat. Und die Farbe der Wut.

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