Im Denken und Fühlen von Sahra Wagenknecht spielen zwei Politiker eine herausragende Rolle. Es sind Robert Habeck und Annalena Baerbock. Es mutet kurios an: Wagenknecht begründet eine neue Partei und in ihrer Rede geht es beinahe so viel um die Grünen wie um die eigene Politik. Ihre Rede ist wie ein Tanz um Habeck und Baerbock. Sie stichelt, stänkert, giftet und ätzt gegen die beiden, als trügen sie allein die Schuld an der Misere Deutschlands.
Wie immer, wenn es wichtig ist, hat sich Wagenknecht für ein rotes Kostüm entschieden. Sie steht auf der Bühne und spricht von Habeck und seinen grünen Freunden, die im Niedrigenergiehaus oder im Loft hocken und keine Wärmepumpe brauchen. Baerbock mit ihrer feministischen Außenpolitik, die jetzt Raketen und Kampfflugzeuge an Saudi-Arabien liefern will, wo Frauen gesteinigt werden. „Die Raketen tragen immerhin noch den weiblichen Namen Iris, so viel Feminismus muss im Hause Baerbock sein. Wenn in den Rüstungsverträgen gegendert wird, ist die grüne Welt in Ordnung“, ruft Wagenknecht in das Dunkel des Saals, aus dem begeisterter Applaus zurückschallt. Natürlich bekommt auch die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang eine Abreibung, weil sie nicht wusste, wie viel Rente der Durchschnittsrentner bekommt.
Der zweite Frust-Ableiter im Parteiensystem
In den letzten Wochen hat Wagenknecht immer wieder eine faire Debattenkultur gefordert. Doch ihr Sound ist in einzelnen Passagen rauer als ostdeutscher Beton. In sozialen Medien herrscht er vor, in denen sich der Frust über die Ampel-Koalition Bahn bricht. Dem Frust will Wagenknecht ein Ableiter sein und ihn in Stimmen für ihre neue Formation umwandeln, das Bündnis Sahra Wagenknecht – BSW. Im deutschen Parteiensystem nimmt die AfD die Ableiterfunktion ein und ist damit groß geworden. Weder die drei Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP, noch der Union ist es bislang gelungen, den Aufstieg der Rechten zu bremsen.
Wagenknecht sieht Raum für sich und ihre Partei. Wer Ekel vor der AfD hat, soll zu ihr kommen. „Wir tun das, weil wir spüren, es ist etwas am Kippen in Deutschland“, sagt die 54-Jährige zu Beginn ihrer Rede. Zweieinhalb Stunden ist der Parteitag da alt, als sie an das Pult schreitet. Und dann zählt sie auf, was in ihren Augen schiefläuft in dieser Republik. Sie geißelt die kleinen Kompromisse der Koalition und die angebliche Ignoranz in Berlin-Mitte. Sie kritisiert eine verfehlte Wirkung der Russland-Sanktionen, die Deutschland mehr schwäche als den Kreml. Sie beklagt den bürokratischen Dschungel, der den Mittelstand fessele.
Sie greift die Ampel an, die die Subventionen für die Bauern kürzt. Sie arbeitet sich an einer politischen Kultur ab, in der Menschen sich angeblich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu sagen. Sie plädiert für eine diplomatische Lösung des Krieges in der Ukraine und ein Ende der Waffenlieferungen. Sie hält die Klimaschutzpolitik für weltfremd. Immer wieder spricht sie in den aufkommenden Beifall der 400 versammelten Erst-Mitglieder ihres Bündnisses hinein. Das Land in den Abgrund geritten, hat in ihrer Analyse die Ampel-Koalition. Wer es aber wage, das auszusprechen, werde als rechts gebrandmarkt wie die Bauern. „Jetzt gehen die Ampel-Politiker selbst auf die Straße und demonstrieren gegen die Ergebnisse ihrer eigenen Politik“, sagt Wagenknecht.
Oskar Lafontaine beim Gründungsparteitag der Wagenknecht-Partei dabei
Um genau 10 Uhr und 1 Minute am Samstagmorgen war die Matadorin eingelaufen ein. Der Saal des alten Kosmos-Kinos auf der Berliner Karl-Marx-Allee erhebt sich und applaudiert. Hinter Wagenknecht Gatte Oskar Lafontaine. Der Napoleon von der Saar ist nun Mitglied in der Partei seiner Frau. 2005 hatte er mit der WASG selbst eine Partei mitgegründet und später mit der PDS zusammengeführt. Doch nach beachtlichen Anfangserfolgen verlor die Linke beständig an Zustimmung, mehr mit Flügelkämpfen beschäftigt als mit den Nöten der Wähler. Der Kampf entzündete sich vor allem an einer Person: Sahra Wagenknecht.
Eine Traube von Fotografen und Kameramännern stürzt sich auf die beiden. Die Chefin lächelt, Oskar auch. Schon als die ersten Abstimmungen über Formalien laufen, wird immer noch geblitzt und gefilmt. Nach nicht einmal einer Viertelstunde ist der Parteitag konstituiert. Das Programm wird diszipliniert abgespult, anders als früher bei der Linken zerfleischen sich die Mitglieder nicht, wer der lupenreinste Klassenkämpfer ist. „Wir sind keine Linke 2.0. (…) Lasst uns eine Partei des Miteinanders werden und nicht eine Partei der Intrigen und des Postengeschachers wie alle anderen“, appelliert Wagenknecht.
Sie ist Gesicht, Anführerin, beste Rhetorikerin und Ideengeberin in einem. Für ihre Haltung im Ukraine-Krieg wird sie auf dem Parteitag mit einem Friedenspreis ausgezeichnet. Sie wird im Bundestag den Kurs der Gruppe Wagenknecht bestimmen, die sich aus der Konkursmasse der Linken-Fraktion gebildet hat. Das Parlament und die Talkshows sollen ihre Bühne werden, von der sie die politische Landschaft bespielt.
Sahra Wagenknecht: "Wir haben Großes vor"
In der Fläche aufbauen müssen die Organisation Männer wie Xaver Merck aus Neu-Ulm, wo Bayern an Baden-Württemberg grenzt. „Dieses Projekt fasziniert mich. Ich will, dass es ein Erfolgsprojekt wird“, sagt der alte Gewerkschafter. Für viele Jahre war er bayerischer Landesvorsitzender der Linken, wechselte mit Wagenknecht die Pferde. Wie die Partei-Gründerin ist er davon überzeugt, dass sich linke Politik zuvörderst um korrekte Löhne und nicht um korrekte Sprache kümmern muss. Bei der Europawahl Anfang Juni werden die Wähler entscheiden, ob die Summe aus Ampel-Bashing und der Forderung nach mehr Sozialpolitik aufgeht.
Danach hofft das BSW, im September bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg in die Landtage einzuziehen. „In ein, zwei Jahren sollte die Organisation stehen“, meint Merck. Dann will er mit der Politik Schluss machen. Die Umfragen bestätigen seinen Optimismus noch nicht völlig. Bundesweit liegt das BSW in der Spanne zwischen drei und sieben Prozent. In Sachsen und Thüringen sind es zwischen vier Prozent und zweistelligen Werten. „Wir haben Großes vor für unser Land und unsere Menschen. Wir sind es ihnen schuldig, unsere Sache gut zu machen“, schließt Wagenknecht ihre Rede. Nach dem euphorischen Beifall zieht es die Parteimitglieder zum Mittagessen. Es gibt Nudeln mit Tomatensauce. Nur bloß nicht essen wie die Grünen.