Mit einem Großangriff der russischen Truppen im Osten des Landes hat der Krieg in der Ukraine nach bald acht Wochen eine neue Phase erreicht. Im Angesicht der sich zuspitzenden Lage erhöht die Union den Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), mehr Waffen und auch schweres Gerät an Präsident Wolodymyr Selenskyj zu liefern. Sie will notfalls im Bundestag einen entsprechenden Antrag einbringen – und könnte damit Scholz gleich doppelt in Schwierigkeiten bringen. Denn die beiden Ampel-Koalitionäre Grüne und FDP drängen genau wie die Union zu weiteren Schritten und könnten sich bei einer Abstimmung gegen den eigenen Kanzler stellen.
Sollte sich Scholz bei der Frage nach Waffenlieferungen nicht bewegen, müsse er dazu schon in der nächsten Woche mit einem Antrag von CDU und CSU im Bundestag rechnen, heißt es aus der Fraktion. „Russland hat mit einer Großoffensive in der Ostukraine begonnen“, sagt Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) unserer Redaktion. Spätestens jetzt müsse die Bundesregierung die Ukraine endlich mit dringend benötigten schweren Waffen zur Selbstverteidigung ausrüsten.
„Mit seinem Zögern verweigert Kanzler Scholz der Ukraine nicht nur dringend benötigte Unterstützung, sondern er beschädigt damit die Vertrauenswürdigkeit unseres Landes“, kritisiert Wadephul. Die Bundesregierung müsse alles tun, damit Putin diesen Krieg nicht gewinne. „Und wenn sie hierzu nicht bereit ist, dann macht sie sich an zusätzlichem Leid und Zerstörung in der Ukraine mitschuldig“, erhebt der CDU-Politiker schwere Vorwürfe. „Das lange Schweigen von Olaf Scholz ist unverantwortlich.“ Andere Partner würden deutlich mehr unternehmen.
Tatsächlich kündigten am Dienstag auch die Niederlande an, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Deutschland hat bisher unter anderem Panzerfäuste, Luftabwehrraketen und Maschinengewehre geschickt, außerdem Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und Schutzausrüstung.
Auch die CSU verliert die Geduld mit der Regierung
„Die Zeit für langwierige Ampeleien ist vorbei“, sagt auch der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt. „Deutschland kann und muss deutlich mehr militärische Unterstützung leisten – und die Bundesregierung muss den Weg dafür endlich frei machen.“ Es brauche eine weitere Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine. Geschützte Fahrzeuge und Aufklärungstechnik mit Drohnen könnten nicht nur von der Bundeswehr, sondern vor allem auch aus der Industrie heraus geliefert werden. „In der Mitte des Bundestags gibt es dafür erkennbar eine Mehrheit“, spielt Dobrindt auf die Mahnungen aus dem Lager der Grünen und der Liberalen an.
Dennoch will Scholz bei seiner Haltung bleiben. „Wir spüren unendliche Trauer über die Opfer und - auch das muss gesagt werden - große Wut auf den russischen Präsidenten und diesen sinnlosen Krieg“, sagte er am Abend. Er hob die enge Abstimmung mit den Verbündeten hervor. Doch es bleibe dabei, dass die Nato nicht in den Krieg eingreifen werde.
Das bedeuten die neuen Kämpfe in der Ukraine für den Kriegsverlauf
Unterdessen gehen in der Ukraine die Kämpfe weiter – die zweite Angriffswelle dieses Krieges hat damit früher begonnen, als Experten dies angenommen hatten. Was das für den weiteren Verlauf des Krieges bedeutet, ist unklar.
„Es ist schwer, sich vorzustellen, dass sich die russischen Truppen in so kurzer Zeit völlig neu aufgestellt haben können“, sagt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Möglicherweise wolle Putin aber bis zum 9. Mai – einem der höchsten Feiertage in Russland (der Sieg über Nazi-Deutschland) – einen dringend benötigten Erfolg vorweisen. Putin steht also unter Druck. „Das könnte auf ein Scheitern hinweisen“, sagt Krause. „Aber die große Unbekannte ist der Erschöpfungszustand der ukrainischen Seite.“ Deshalb seien westliche Waffenlieferungen zum jetzigen Zeitpunkt ganz besonders wichtig. „Das anhaltende Zögern des Bundeskanzlers bleibt mir unverständlich“, kritisiert der Experte.