Der Name seiner einstigen Denkfabrik dürfte den wegen Vorwürfen der Vetterleswirtschaft schwer in die Kritik geratenen Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen bald auf unerwartete Weise einholen: Agora Energiewende heißt der Lobbyverein, dem Graichen bis zum Wechsel in die Politik als Direktor vorstand. Agora hieß bei den alten Griechen der Gerichts- und Versammlungsort ihrer Städte. Nun wird für Graichen kommende Woche der Wirtschaftsausschuss zur Gerichtsstätte: Union und Linke fordern in der Trauzeugenaffäre eine Sondersitzung, um den 51-Jährigen vorzuladen. Und die CDU droht bereits mit einem Untersuchungsausschuss, falls Graichen nicht alle Vorwürfe ausräumen kann.
Kritiker werfen Robert Habeck grünen Filz vor
Die Opposition erhöht damit den Druck auch auf Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Patrick Graichen gilt als dessen wichtigster Mann und Chefstratege: Energiewende, Wärmewende, Verkehrswende – die Agora-Slogans sind samt Konzepten der Denkfabrik längst offizielle Regierungspolitik der Grünen. Doch nicht nur inhaltlich, auch personell hat sich ein privat befreundetes, verheiratetes, verschwägertes Netzwerk derart um Habecks Ministerium gesponnen, dass selbst die linke taz von einem „Clan“ sprach und Kritiker von grünem Filz.
Seit Graichen einräumen musste, dass er sich als Staatssekretär für die Ernennung seines Trauzeugen zum Chef der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur einsetzte, gerät auch Minister Habeck unter Beschuss. „Dafür, dass wir es hier mutmaßlich mit einem schwerwiegenden Fall von Vetternwirtschaft in den obersten Etagen der Politik zu tun haben, ist der Aufklärungswille seitens des Wirtschaftsministers sehr verhalten“, kritisiert die Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali. „Insofern ist es richtig, dass es eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses dazu gibt und der Staatssekretär hier Rede und Antwort stehen muss“, betont sie.
Linken-Fraktionschefin Mohamed Ali will Habecks Rolle in Trauzeugenaffäre klären
„Die Ansammlung von Familienmitgliedern und Freunden im Wirtschaftsministerium und in den vorgelagerten Bereichen wirft Fragen auf“, sagt die Linken-Politikern. „Dass ein Staatssekretär als Mitglied der Findungskommission während eines Bewerbungsverfahrens zur Besetzung eines Leitungspostens in einer ihm unterstellten Agentur nicht transparent macht, dass der letztlich erfolgreiche Bewerber sein Trauzeuge war, das ist keine Kleinigkeit und sollte persönliche Konsequenzen haben. Wahrscheinlich wäre ein Rücktritt angebracht.“
Doch auch Habecks Rolle in der Affäre will die Opposition hinterfragen. „Wie kann es sein, dass dem Wirtschaftsminister die engen familiären und freundschaftlichen Verstrickungen an der Spitze seines Ministeriums beziehungsweise in den beauftragten und nachgelagerten Institutionen nicht komisch vorkamen?“, fragt Fraktionschefin Mohamed Ali an.
Linke wirft Grünen elitäre Cliquen-Politik bei Klimaschutz vor
„Das spricht nicht gerade für ihn, sondern für ein elitäres Politikverständnis, das bei den Grünen weitverbreitet zu sein scheint“, kritisiert die Linke. „Diese Begrenzung der politischen Entscheidungsfindung auf die Sichtweisen einer kleinen Clique hat schwerwiegende Folgen: Gesetze werden vorbei an der Lebensrealität von vielen Menschen in unserem Land gemacht.“ Die klima- und energiepolitischen Entscheidungen dieser Bundesregierung seien von oben herab getroffen und richteten sich oft gegen die Interessen der Leute mit kleinem Geldbeutel.
Die Linke verlangt nun „maximale Transparenz darüber, ob noch weitere familiäre und freundschaftliche Verflechtungen im Umfeld des Wirtschaftsministeriums oder anderer Ministerien existieren", und vor allem darüber, welche finanziellen Interessen damit verbunden seien.