Unmittelbar vor ihrem am Montag beginnenden Parteitag erfasst die CDU eine Debatte um den Stellenwert der Sozialpolitik. „Die CDU muss sich mit einem konkreten Angebot viel stärker um die arbeitende Bevölkerung gerade auch bei den unteren Einkommen kümmern“, fordert der CDU-Sozialpolitiker Dennis Radtke im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wenn wir bei Wahlen mehr als 30 Prozent erreichen wollen, brauchen wir ein überzeugendes Angebot und müssen zeigen, dass die CDU auch die Partei der kleinen Leute ist.“ Stattdessen aber sei das soziale Profil seit mehr als 20 Jahren unterbelichtet.
Dennis Radtke: "Friedrich Merz wird kein Arbeiterführer mehr"
Radtke, Europaabgeordneter und stellvertretender Chef des Arbeitnehmerflügels der Partei, nimmt damit das neue Grundsatzprogramm ins Visier, das erste seit 17 Jahren, das die CDU am Dienstag beschließen wird. Mit dem Papier will Parteichef Friedrich Merz der Union nach den Merkel-Jahren wieder ein verstärkt konservatives, wirtschaftsfreundliches Profil geben. Radtke hingegen fürchtet, diese Kurskorrektur könnte dazu führen, dass Wähler, die von der Ampel enttäuscht sind, nicht zur CDU wechseln, sondern die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht wählen.
Daher fordert er, Arbeitnehmerpositionen an der CDU-Spitze stärker sichtbar zu machen. „Wir werden aus Herrn Merz in diesem Leben keinen Arbeiterführer mehr machen. Er ist Wirtschaftsmann, das ist in Ordnung, das ist sein Profil“, sagt Radtke. „Aber dann muss man denen, die Soziales können, den entsprechenden Raum geben.“ Zwar soll mit Karl-Josef Laumann nun ein Arbeitnehmervertreter zu einem der Stellvertreter von Merz an der Parteispitze gewählt werden. Doch das reicht Radtke nicht. „Er ist dann weiterhin der Einzige im CDU-Präsidium, der nicht Mitglied der Mittelstandsunion ist.“
CSU-Chef Markus Söder stellt sich hinter Merz
Die Äußerungen zur Sozialpolitik befeuern auch die Debatte über den Umgang der CDU mit der Linkspartei. Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther hatte am Freitag, auch mit Blick auf die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst, für einen offeneren Umgang geworben – und sich umgehend eine Abfuhr von führenden CDU-Kollegen eingefangen.
Unterstützung für seinen Kurs erhält Parteichef Merz ausgerechnet aus Bayern. „Bei den wichtigen Themen Migration und Wirtschaft passt kein Blatt zwischen CDU und CSU“, sagt CSU-Chef Markus Söder unserer Redaktion. Bayerns Ministerpräsident, der auf dem Parteitag in Berlin auftreten wird, sendet damit Friedenssignale. Viele in der Schwesterpartei tragen ihm noch immer nach, dass seine Sticheleien gegen Armin Laschet die Union bei der vergangenen Bundestagswahl wohl wertvolle Stimmen gekostet haben.
Ehemalige CDU-Granden schreiben Brief an Parteichef Merz
Auf ihrem Parteitag will die CDU zudem die Weichen für die Europawahl Anfang Juni stellen. Auch hier drohen unangenehme Debatten. Nach Informationen unserer Redaktion wenden sich der ehemalige Europapolitiker Elmar Brok, Ex-EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering und der frühere Bundesverfassungsrichter Peter Müller an Parteichef Merz – mit dem Ziel, einen Passus im Grundsatzprogramm zu ändern. Sie wollen, dass die CDU offen dazu steht, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bestimmte Kompetenzen übereignet haben – andernfalls drohe ein Widerspruch zur Europapolitik von Konrad Adenauer und Helmut Kohl.