Am Ende sprach aus ihren Worten der Frust der letzten Monate. „Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu“, schrieb Christine Lambrecht in ihrer Begründung, warum sie ein Jahr nach Amtsantritt schon wieder den Rückzug aus dem Verteidigungsministerium antritt. Von den Pannen, die während ihrer Amtszeit geschahen, sprach die 57-Jährige nicht. Auch die Nachfolge des wichtigen Postens ist bislang zumindest offiziell ungeklärt. Für das Ressort selbst gehört es inzwischen hingegen fast zur schlechten „Tradition“, dass die Amtsinhaber wechseln. Der Posten des Verteidigungsministers gilt als politischer Schleudersitz. Als eine der letzten, die den Bendlerblock für die eigene Karriere nutzten, war Ursula von der Leyen, die inzwischen Präsidentin der Europäischen Kommission ist.
Durchschnittlich dreieinhalb Jahre betrug die Amtszeit im Verteidigungsministerium – auf die vollen vier Jahre brachten es also nur wenige Politiker. 19 Ministerinnen und Minister gab es seit Gründung des Hauses im Jahr 1955, sieben davon sind vorzeitig aus dem Amt geschieden. Der gigantische Apparat ist für viele Politiker eine Herausforderung, die Strukturen sind bürokratisch, der Spagat zwischen militärischem Denken und zivilen Vorstellungen oft nicht ganz einfach zu bewältigen. So viel Rückendeckung wie im Moment hatte die Bundeswehr in der Gesellschaft nicht immer, auch die finanziellen Mittel waren stets hart umkämpft. Intern ist das Ministerium mit all seinen Verästelungen von Machtkämpfen geprägt. Das Beschaffungswesen gilt als regelrechtes Bürokratie-Monster, das schon so manche Million verschlungen hat. Von Christine Lambrecht hieß es immer wieder, sie habe es noch nicht einmal geschafft, sich die Dienstränge der Truppe zu merken und habe nur wenig Motivation erkennen lassen, in die Materie einzutauchen.
Peter Struck war einer der beliebtesten Verteidigungsminister
Von ihren Kritikern wurde immer wieder belächelt, dass sie als Frau nicht gedient habe. Doch das Argument taugt nur bedingt. Der SPD-Politiker Peter Struck war einer der beliebtesten Verteidigungsminister, doch gedient hat er nie. Struck wurde wegen seines Studiums bei der Wehrpflicht zurückgestellt, danach wurde er altersbedingt nicht mehr eingezogen. Ganz anders etwa Rudolf Scharping, der eine Kaserne auch schon vor dem Antritt als Verteidigungsminister von innen kannte. Doch eine ganze Reihe von Entscheidungen ließen Zweifel an seiner Eignung aufkommen, unter anderem ging es um die Annahme von Berater-Honoraren. Als er sich dann mit seiner damaligen Lebensgefährtin von der Klatsch-Zeitschrift Bunte im Pool fotografieren ließ, während deutsche Soldaten im Kosovo kämpfen sollten, sorgte für öffentliche Empörung. Im Juli 2002 war schließlich endgültig Schluss: Scharping hatte 50-mal die Luftwaffe genutzt, um von Berlin nach Frankfurt zu seiner Lebensgefährtin zu kommen.
Erfahrung mit persönlicher Inszenierung durch die Medien hatte auch Karl-Theodor zu Guttenberg. Der CSU-Politiker verstand es, sich durch seine Auftritte als zupackender Minister zu präsentieren. In seine Zeit fallen zudem wegweisende Entscheidungen, die bis heute nachschwingen: die Abschaffung der Wehrpflicht und die Verkleinerung der Streitkräfte. Doch schon nach 16 Monaten im Amt wurde zu Guttenberg jäh gestoppt: Seine Doktorarbeit war nicht sauber erarbeitet, ganze Passagen waren abgeschrieben, das Plagiat beendete nicht nur seine Amtszeit, sondern gleich seine gesamte politische Karriere. Vielen Experten gilt zu Guttenberg als einer der tatkräftigsten Totengräber einer schlagkräftigen Bundeswehr. Seine Reformen waren nichts anderes als eine Schrumpfkur ohne Rücksicht auf Verluste – getrieben von der Annahme, man sei nur noch von Freunden umgeben.
Den Rekord für die kürzeste Amtszeit hält dennoch ein anderer: Rupert Scholz war nur elf Monate an der Spitze des Ministeriums. Er wurde 1989 Opfer einer Kabinettsumbildung. Der CDU-Mann galt als führungsschwach, in seine Zeit fiel das Unglück in Ramstein. Bei einer Militärschau kam es zu einer Kollision von Flugzeugen, dutzende Menschen starben. Daraus entspann sich eine Debatte über das Verbot von Tiefflügen.
Die Pannen von Lambrecht: Privatflug mit Regierungsheli und Video-Botschaft vor Böller-Kulisse
Die Serie der Rücktritte „gestartet“ wurde von einem Mann, der später eine umso größere Karriere hinlegte: Franz-Josef Strauß. 1962 musste er im Zusammenhang mit der Spiegel-Affäre zurücktreten. Es war einer der ersten Justizskandale der noch jungen Bundesrepublik. Die Liste ließe sich fortsetzen: Kai-Uwe von Hassel, Gerhard Stoltenberg, Franz-Josef Jung, Thomas de Maizière…
Christine Lambrecht kann gleich eine ganze Mängelliste vorweisen. Einmal nahm sie ihren volljährigen Sohn mit auf einem Flug im Regierungshubschrauber – um anschließend mit ihm einen Urlaub in Sylt zu verbringen. Zwar hatte sie die Kosten voll übernommen, doch der Ruf der Ministerin war ohnehin schon angeschlagen. Bei einem Truppenbesuch im Wüstenland Mali trat sie mit Stöckelschuhen auf, zu Beginn des Ukraine-Krieges wollte sie Kiew mit 5000 Helmen abspeisen. Zuletzt sorgte sie für Kopfschütteln, als sie in der Silvesternacht vor einer Böller-Lärmkulisse eine Handy-Grußbotschaft aufnahm. Sie sagte: „Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen.“
Lambrechts Fehler wogen umso schwerer, weil ihre Amtszeit mitten in eine Phase fiel, die Kanzler Olaf Scholz selbst als „Zeitenwende“ ausgerufen hatte. Die Bundeswehr gilt als Sanierungsfall und das ausgerechnet in einer Zeit, in der alte internationale Gewissheiten zerbröseln, die Verteidigungsfähigkeit nicht mehr nur theoretisch gegeben sein darf und Russland vom Freund zum Bedrohungsfall geworden ist.