Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Verteidigung: So stehen die Deutschen zu ihrer Bundeswehr

Verteidigung

So stehen die Deutschen zu ihrer Bundeswehr

    • |
    Ein Leopard-2-Panzer der Bundeswehr, der von der "Nato Enhanced Forward Presence Battle Group" eingesetzt wird.
    Ein Leopard-2-Panzer der Bundeswehr, der von der "Nato Enhanced Forward Presence Battle Group" eingesetzt wird. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Der Tag, der in die Geschichtsbücher eingehen wird, war einer jener Spätwintertage, die sich nicht richtig entscheiden können, ob sie kalt oder warm sein wollen. 14 Grad zeigte das Thermometer am 24. Februar in München an, in der Nacht rutschte das Quecksilber ins Minus, um schließlich unter der 5-Grad-Marke zu verharren. Ein Temperatursturz, der in der Politik seine Verlängerung fand. Russland marschierte in die Ukraine ein. Krieg. Sanktionen. Energie-Angst. Aufrüstung. Zeitenwende. Und die bange Frage, wie dieses Jahrhundertereignis unser Land verändern wird. Wie es Gewissheiten pulverisiert und als unverrückbar geglaubte Einstellungen Stück für Stück verschiebt. Eine davon war die Einstellung der Deutschen zu allem Militärischen. Als wohlwollendes Desinteresse wurde die Haltung der Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr häufig beschrieben. Tatsächlich war es häufig ein sehr offensichtliches Fremdeln gegenüber der Armee.

    Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Jahr beim zentralen Festakt zum Volkstrauertag im Bundestag in Berlin sprach, mahnte er mit deutlichen Worten: „Wir müssen Sprachlosigkeit überwinden - auch die Sprachlosigkeit vieler Teile der Gesellschaft gegenüber unserer Armee. Auch das ist Auftrag an einem solchen Tag.“ Das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Armee sei von der Erfahrung zweier Weltkriege, Schuld und Scham geprägt. Die Deutschen empfänden Unbehagen gegenüber allem Militärischen. „Sie wollen nicht daran erinnert werden, was der Einsatz einer Armee, auch der Bundeswehr, bedeutet. Tod und Trauma, deutsche Soldaten im bewaffneten Einsatz, in fremden Ländern – das verdrängen wir Deutsche gern“, sagte Steinmeier – noch ohne eine Ahnung, wie schnell dieses Verdrängen ein jähes Ende finden würde.

    Kronenbitter: "Ich habe das Gefühl, ich kann etwas bewirken"

    Max-Joseph Kronenbitter wird an diesem Sonntag wieder am Kriegerdenkmal in seinem Heimatort stehen und die Ehrenwache halten. Im Brot-Beruf ist er Landschaftsarchitekt, doch seit Jahrzehnten stellt er seine Zeit und Arbeitskraft als Reservist in den Dienst der Bundeswehr. 1987 trat er seine Wehrpflicht an, verpflichtete sich anschließend für zwei Jahre, ganz verlassen hat er die Truppe nie. Allein in diesem Jahr war er neun Monate im Dienst, acht Wochen bei einem Großmanöver der Bundeswehr in Australien. „Rapid Pacific" hat die Luftwaffe den Einsatz genannt, es war ein Zeichen dafür, dass die Armee ihre internationalen Kooperationen stärken will.

    „Mir ist das wichtig“, sagt er. „Ich habe das Gefühl, ich kann etwas bewirken.“ Als Medienverantwortlicher versucht der Oberstleutnant das Interesse an der Arbeit der Bundeswehr und besonders der Luftwaffe zu wecken. „Dieser 24. Februar war eine Wende“, sagt Kronenbitter. „Das Interesse ist deutlich gestiegen.“ Immer wieder werde er von Freunden und Bekannten angesprochen, was der Krieg in der Ukraine für Deutschland bedeute, ob auch er selbst in einen Einsatz im Osten geschickt werden könnte. Manche Fragen vermitteln einen Eindruck davon, wie wenig Wissen über politische und militärische Zusammenhänge vorhanden sei. Doch immerhin: Die Bundeswehr, so ist sein Eindruck, werde positiver wahrgenommen.

    Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr am Bendlerblock, dem Sitz des Bundesministeriums der Verteidigung.
    Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr am Bendlerblock, dem Sitz des Bundesministeriums der Verteidigung. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Und dennoch muss er gelegentlich schmunzeln. Wenn die Kritiker von einst sich zu Fürsprechern aufschwingen. Wenn so manches Statement sich in Schwurbelsätzen windet und biegt, weil Negatives über die Truppe in der Bevölkerung im Moment nicht gut ankäme, aber Positives noch immer schwer über die Lippen kommt. Denn natürlich kennt Kronenbitter auch die andere Seite, die Geschichten seiner Kameraden. Soldatinnen und Soldaten, die auf dem Weg zu Tagungen in Berlin in der Toilette ihre Uniform angezogen haben, weil sie im Zug nicht von unangenehmen Kommentaren belästigt werden wollten – allein der Flecktarn taugte schon als optisches Störfeuer. Von Jugendoffizieren, die bei Vorträgen in Schulen mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, Heranwachsende zu offensiv anzuwerben.

    In sozialen Medien wurden Vergleiche mit der Nazi-Zeit angestellt

    „Wir fühlen uns den Zielen der Friedenspädagogik verpflichtet und verstehen uns als bundeswehrfreie Schule“, heißt es etwa in den schriftlichen Leitlinien der Bertolt-Brecht-Afghanistan-Einsatzes mit einem Großen Zapfenstreich gewürdigt wurden, empfanden nicht wenige dieses militärische Zeremoniell als befremdlich.

    In den sozialen Medien wurde wegen der Fackelträger gar Vergleiche mit der Nazi-Zeit angestellt. Hans-Christian Ströbele, inzwischen verstorbenes langjähriges Mitglied des Bundestages für die Grünen, schrieb auf Twitter: „Was soll das militaristische Ritual aus Preußen und NS-Zeit?“ Inzwischen ist es die Öko-Partei selbst, die sich mit am vehementesten für Waffenlieferungen in die Ukraine ausspricht und eine der lautesten Fürsprecherinnen der Bundeswehr ist. Ist die deutsche Gesellschaft dabei, ihr Verhältnis zur Armee und zu militärischen Fragen 67 Jahre nach Gründung der Bundeswehr neu zu sortieren?

    Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages.
    Eva Högl (SPD), Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Eine, die das hofft, ist Eva Högl. Die 53-Jährige ist Wehrbeauftragte des Bundestages, kümmert sich um die Belange der Armee und versucht immer wieder auf die technischen und finanziellen Notwendigkeiten hinzuweisen. Doch nur mit besserer Ausrüstung und mehr Geld dürfte es nicht getan sein. Im Verhältnis der Deutschen und der Bundeswehr geht es auch um Haltung. Wer bereit ist, im Zweifel sein Leben zu riskieren, will sich nicht schräg anschauen lassen. „In den vergangenen Jahren ist Vertrauen in der Truppe kaputtgegangen“, sagt die SPD-Politikerin. „Die Soldatinnen und Soldaten haben unter dem allgemeinen Desinteresse und am fehlenden Respekt gelitten. Es ist traurig, dass sich das erst im Zuge eines grauenvollen Krieges gewandelt hat.“ Auch sie sieht in diesem 24. Februar einen Einschnitt, endlich gebe es ein breites Bewusstsein für die Notwendigkeit der Landes- und Bündnisverteidigung.

    Die Friedensgesellschaft, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat, scheint einem Realitätscheck unterzogen zu werden. Wer Frieden will, muss im Zweifel um ihn kämpfen. „Vielen Menschen ist klar geworden, dass die Gefahr real ist und nicht nur in Strategiepapieren beschrieben ist und sie sprechen mit mehr Respekt über die Bundeswehr“, sagt Högl. „Sie erkennen stärker an, was die Truppe leistet, und wissen jetzt, wofür wir die Bundeswehr haben und warum wir sie brauchen. Das ist sehr wichtig, denn der Einsatz für unseren Frieden, für Freiheit und Demokratie sollte von der ganzen Gesellschaft getragen werden."

    Was Umfragen über die Bundeswehr aussagen

    Doch ganz so eindeutig ist dieser Prozess nicht, zumindest deuten Umfragen darauf hin. In einer Erhebung, die das Meinungsforschungsinstitut Civey für unsere Redaktion vorgenommen hat, zeigt sich die ganze Zerrissenheit der Deutschen. 29 Prozent der Befragten geben an, dass sich ihre Wahrnehmung von der Bundeswehr seit dem Russland-Ukraine-Krieg verbessert hat, bei 21 Prozent hat sich das Bild verschlechtert. 47 Prozent haben das gleiche Bild von der Bundeswehr wie vor dem Krieg. Eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr wiederum zeigt, dass die Akzeptanz für den Auftrag der Bundeswehr gestiegen ist: 55 Prozent (plus 5 Prozentpunkte) empfinden ein Gefühl der inneren Verbundenheit mit der Bundeswehr und 60 Prozent (plus 1 Prozentpunkt) gar ein Gefühl der Dankbarkeit.

    Laut Eurobarometer hatten im Sommer 2022 rund 67 Prozent der Deutschen Vertrauen in die Bundeswehr – das heißt aber auch: rund ein Viertel der Bevölkerung tut das nicht. Eine militärische Führungsposition Deutschlands in Europa weisen zwei Drittel der Bevölkerung zurück. Beim Landeskommando Bayern der Bundeswehr heißt es: „Die Bewerbungszahlen für den Dienst in der Bundeswehr sind bundesweit tendenziell rückläufig.“ Aktuell gehören der Bundeswehr 182.000 Soldatinnen und Soldaten an. Das Ziel sind 203.000 bis zum Jahr 2027.

    Frank Sauer ist Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München.
    Frank Sauer ist Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München. Foto: Universität der Bundeswehr

    „Es finden Umdenkprozesse statt, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns“, sagt Frank Sauer, Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr in München. Die Überzeugung, dass es eine funktionierende Bundeswehr brauche, sei inzwischen zwar mehrheitsfähig, doch das sei eben nur der erste Schritt von vielen. Für Sauer stellt sich eine entscheidende Frage, die Politik und Gesellschaft gemeinsam beantworten müssten – und die durchaus schmerzhaft ist: Wofür haben wir eine Armee, was soll sie leisten – und was ist sie uns wert? „Ich glaube, in diesem Prozess stehen wir noch ganz am Anfang“, sagt er. „Die meisten Menschen hatten bis vor Kurzem überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass die Bundeswehr eine Streitkraft ist, die im Zweifel unsere ganze staatliche Struktur verteidigt.“

    Die Bundeswehr stapelte Sandsäcke in Flutgebieten, halfen während der Pandemie in den Gesundheitsämtern, sie soll die Flüchtlingshilfe organisieren. Doch das für selbstverständlich gehaltene Leben in Demokratie und Freiheit und großem Wohlstand müsse geschützt und in eine zeitgemäßere Form gebracht werden. Dabei gehe der Umgang mit Herausforderungen wie Desinformation, Sabotage und Cyber-Angriffen über die zukünftige Rolle der Institution Bundeswehr weit hinaus. „Der Verständigungsprozess darüber, wie wir als demokratische Gesellschaft insgesamt resilienter werden können, angefangen bei der einzelnen Bürgerin und dem einzelnen Bürger, sollte möglichst bald anfangen“, sagt Sauer. Denn wenn der Krieg in der Ukraine auf den Schlachtfeldern irgendwann zum Erliegen kommt, dürfte der Kampf um Informationen und Propaganda eher noch schärfer geführt werden.

    Helsinki hält Hunderttausende Schutzräume vor

    Andere europäische Länder seien hier viel weiter, sie würden mögliche gesamtgesellschaftliche Gefahren weitaus offener ansprechen und die Menschen damit auch sensibilisieren. „In Finnland gilt man eben nicht als Spinner, wenn man einen Rucksack mit ein paar lebensnotwendigen Dingen im Schrank hat“, sagt Sauer. Allein in Helsinki gibt es Platz in Bunkern und Schutzräumen für 650.000 Menschen.

    „Ich will damit gar nicht sagen, dass wir das genau so auch brauchen – aber es zeigt doch, wie anders in anderen Ländern über gesellschaftliche Sicherheit diskutiert wird und welchem Preis man dem Ganzen beimisst“, sagt der Politikwissenschaftler und hat eine Hoffnung: „Vielleicht ist das bei uns ein ähnlicher Lernprozess wie in der Ökologie: Das Industrieland Deutschland konnte jahrelang seinen Müll exportieren und sein CO₂ in die Atmosphäre blasen – die Rechnung haben andere bezahlt. Ähnlich war es mit der Sicherheit: Das haben andere für uns organisiert. Währenddessen konnten wir uns auf die Mehrung unseres Wohlstandes konzentrieren.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden