Schiene oder Straße? Erbittert streiten sich die Ampel-Partner Grüne und FDP darüber, welche Verkehrsprojekte künftig Vorfahrt bekommen sollen. Nun gießt eine neue Studie des Verkehrsministeriums mächtig Öl ins Feuer. Sie besagt, dass Last- und Lieferwagen auch künftig die größte Rolle im Güterverkehr spielen werden. Die Bedeutung der Straße werde demnach sogar noch weiter zunehmen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP fordert deshalb einen konsequenten Ausbau des Straßen- und Autobahnnetzes. Alles andere bedeute einen Verlust von Wachstum und Wohlstand – eine Ansage direkt in Richtung des Koalitionspartners. Denn die Grünen drängen aus Klimaschutzgründen aber vor allem auf den Ausbau des Schienennetzes, den Bau neuer Autobahnen lehnen sie sogar gänzlich ab.
Der Verkehrswegeplan ist zu alt, findet Wissing
Grundlage für die Planung neuer Straßen und Schienen in Deutschland ist eigentlich der Bundesverkehrswegeplan. Doch der stammt, so Wissing, aus dem Jahr 2014, das zugrundeliegende Datenwerk ist sogar bereits einige Jahre älter. Seither habe sich viel getan, gibt der FDP-Politiker zu bedenken. Die Corona-Pandemie etwa habe Arbeits- und Lebensgewohnheiten dauerhaft verändert. Auch der Klimawandel, "dem wir uns mit aller Kraft entgegenstellen", so Wissing, habe eine neue Qualität erreicht. Deshalb seien nun aktuell eine Vielzahl von Faktoren und Daten untersucht worden zu Fragen wie: Wie werden die Menschen in den kommenden Jahrzehnten zur Arbeit, zum Einkaufen oder in den Urlaub gelangen? Und wie kommen die Dinge, die sie benötigen, zu ihnen?
Als falsch erwiesen hätten sich etwa die dem Verkehrswegeplan zugrundeliegenden Annahmen, dass die Bevölkerung in Deutschland schrumpfen werde. Heute gebe es fünf Millionen Menschen mehr, die Zahl der Erwerbstätigen sei um vier Millionen gestiegen. Das bedeute schlichtweg ein deutlich höheres Verkehrsaufkommen, selbst wenn etwa der Trend zum Homeoffice den Pendlerverkehr dämpfe und Videokonferenzen viele Geschäftsreisen ersetzten. Auch die Entwicklung zum Onlinehandel werde sich fortsetzen, das bedeute weniger individuelle Fahrten zum Einkaufen. "Nicht der Einzelne fährt mehr, es fahren mehr Einzelne", sagte Wissing. Im Personenverkehr wird bis 2051 mit einer Steigerung von 13 Prozent gerechnet. Dabei werden besonders starke Zuwächse im Bereich Bahn-, Flug- und Radverkehr erwartet. Dennoch bleibe im Personenverkehr die Straße am wichtigsten. Gerade in ländlicheren Räumen werde ein Großteil der Menschen auch langfristig auf ein Auto angewiesen sein.
Onlinehandel sorgt für mehr Lieferverkehr
Heftig zunehmen wird der Studie zufolge der Güterverkehr. Das ist teils auch die andere Seite der Medaille des steigenden Onlinehandels – Lieferfahrten nehmen dramatisch zu. Um insgesamt 46 Prozent werde der Güterverkehr bis zur Mitte des Jahrhunderts steigen. Dabei spiele die Straße mit einem Zuwachs von 54 Prozent die Hauptrolle. Für die Schiene rechnet Wissing mit einem 33 Prozent höheren Güterverkehrsaufkommen. Durch die Energiewende würden Transporte von Kohle oder Öl, per Schiff und Schiene etwa, deutlich zurückgehen, was Platz für andere Lieferungen schaffe.
Der bei den grünen Koalitionspartnern oft gehörte Satz „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, treffe eben nicht zu, so Wissing. Es ergebe sich vielmehr aus den vorliegenden Fakten eine künftige Verkehrsentwicklung. Es sei seine Aufgabe als zuständiger Minister, jetzt vorausschauend dafür zu sorgen, „dass das da ist, was die Menschen künftig brauchen“. Alles andere bedeute letztlich, Mobilität einzuschränken und zu verhindern, was Wachstum koste. „Das ist keine gute Idee“, sagte Wissing, denn auch das Geld für den Klimaschutz müsse erst einmal erwirtschaftet sein. Wer sage, das wolle er nicht, „weil er Straßen nicht mag“, der müsse auch sagen, auf wie viel Wachstum er zu verzichten bereit sei. Ein beschleunigter Ausbau der Straßen sei nötig, um Wohlstand zu erhalten, die Schwerpunkte müssten bei Brücken, besonders stauanfälligen Strecken oder nötigen Ortsumfahrungsprojekten liegen.
Grüne kritisieren Wissing scharf
Im schwelenden Koalitionsstreit ließ die Antwort von grüner Seite nicht lange auf sich warten. Stefan Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte: „Die Langzeitprognose des Verkehrsministeriums geht wie Gott gegeben davon aus, dass weiterhin viel Geld für die Straße und kaum Geld für die Schiene bereitsteht. Dann wird das Straßenverkehrsaufkommen weiter deutlich ansteigen.“ Damit beschreibe die Prognose „das Gegenteil der Koalitionsziele“. Gelbhaar weiter: „Noch mehr Stau zu organisieren, das ist ökologisch wie ökonomisch verfehlt.“ Für den Klimaschutz notwendig seien vielmehr „massive Investitionen in die Schiene, um zu sanieren, zu elektrifizieren, zu digitalisieren.“ Der Grünen-Politiker forderte Bundesverkehrsminister Wissing auf, stillgelegte Strecken zu reaktivieren und das Bahn-Netz weiter auszubauen. „Eine zukunftsfeste Schieneninfrastruktur ist Grundvoraussetzung für Verkehrswende und Klimaschutz“, sagte er.