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Verkehr: Der neue Bußgeldkatalog hat bisher fast keine Wirkung erzielt

Verkehr

Der neue Bußgeldkatalog hat bisher fast keine Wirkung erzielt

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    Ein Tempomessgerät steht an der Hamburger Reeperbahn. Die Hansestadt hat besonders viele mobile Geräte angeschafft und damit Erfolge erzielt.
    Ein Tempomessgerät steht an der Hamburger Reeperbahn. Die Hansestadt hat besonders viele mobile Geräte angeschafft und damit Erfolge erzielt. Foto: Daniel Reinhardt, dpa

    Wer in der Nacht mutterseelenallein auf Landstraße oder Autobahn unterwegs ist, mag sich nach dem Sinn von Geschwindigkeitsbegrenzungen fragen. Und nach dem Sinn von Bußgeldern, wenn auf dieser Fahrt ein Blitzer zuschlägt. In Ballungsräumen und bei normalem Verkehr sieht die Sache ganz anders aus, wie Siegfried Brockmann aus langjähriger Erfahrung als Wissenschaftler weiß. Brockmann leitet die Unfallforschung der Versicherer (UDV) und präsentiert eine Rechnung, die eindrucksvoll Sinn und Nutzen von Tempolimits und Strafgeldern belegt. 

    Brockmanns Rechnung geht so: Zwei Fahrzeuge nähern sich einem Kind, das die Straße überquert. Ein Wagen fährt 30 Stundenkilometer, der andere 50. Das erste Auto kommt vor dem Kind zu halten. Wie groß ist an dieser Stelle die Restgeschwindigkeit des anderen Wagens – 20, 25 oder womöglich 30 Stundenkilometer? Die Wahrheit ist, er hat noch gar nicht angefangen zu bremsen. Beim ersten Fahrer betragen Reaktionszeit und Bremsweg knapp 14 Meter. Der andere legt 17 Meter zurück, bevor er überhaupt reagiert. "In dem einen Fall hat der Unfall gar nicht stattgefunden. In dem anderen Fall ist das Kind tot", sagt Brockmann.

    Raser und Falschparker: Höhere Bußgelder schrecken viele nicht ab

    Seit gut einem Jahr ist der neue Bußgeldkatalog gültig. Zahlreiche Verschärfungen sollten vor allem die Sicherheit für Fußgängerinnen und Radfahrer erhöhen. Brockmann und sein Team nahmen in München und Hamburg mit eigenen Geschwindigkeitsmessungen den Autoverkehr unter die Lupe, werteten Zahlen und Befragungen aus. Ihre am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie kommt zu dem wenig euphorischen Schluss, dass die Bußgelderhöhung nur einen "überschaubaren Erfolg" hatte. Denn zwei Drittel der Autofahrerinnen und Autofahrer lassen sich demnach "von einer bloßen Erhöhung des Bußgeldes nur begrenzt beeindrucken". 

    Dabei müssten die Stellschrauben lediglich ein wenig angezogen werden. Würde es beispielsweise bereits ab einer Geschwindigkeitsübertretung von elf statt bisher 21 Kilometern pro Stunde einen Punkt in Flensburg geben, hätte das der Studie zufolge "einen deutlichen Effekt auf das Verhalten und damit auf die Verkehrssicherheit". Auch der Kontrolldruck sorgt dafür, dass Fahrerinnen und Fahrer eher bereit sind, den Fuß vom Gas zu nehmen. Hamburg kaufte etwa 20 mobile Blitzer, die per Anhänger zu verschiedenen Stellen transportiert werden können. Das Geschwindigkeitsniveau sank in der Folge drastisch. "Die meisten Kraftfahrer haben im Kopf eine Rechnung aus Entdeckungswahrscheinlichkeit und Bußgeldhöhe", sagte Brockmann. Ist nur eines von beiden niedrig, steigt die Bereitschaft zu Geschwindigkeitsübertretungen. 

    Die letzte Änderung des Bußgeldkatalogs war ein ziemliches Gezerre. Der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) musste rechtliche Unsicherheiten korrigieren und sich viel Kritik gefallen lassen. Noch immer gibt es Unwuchten. Wer beispielsweise verbotenerweise mit einem E-Scooter auf dem Gehweg fährt, muss 15 Euro Bußgeld zahlen. Für Radfahrerinnen und Radfahrer werden in einem solchen Fall 55 Euro fällig. 

    Unfallforscher Brockmann fordert: Weg mit der Radarwarn-App

    Brockmann regt mit Blick auf das Thema Geschwindigkeit eine wissenschaftlich abgesicherte Überarbeitung des Punktekatalogs an. Denn ein Eintrag in Flensburg sei "eine sehr wirksame Drohung". Die Bußgelder fallen dem Fachmann zufolge grundsätzliche ausreichend hoch aus, sollten aber der Inflationsrate entsprechend angehoben werden.

    Schließlich ist da noch die Sache mit den Radarwarn-Apps. Brockmann kann sich darüber ziemlich ärgern, es geht ihm um die Warnung vor mobilen Blitzern. Rund 20 Prozent der Befragten gaben in seiner Studie an, ein Radarwarngerät oder eine entsprechende Software-Anwendung zu benutzen. Hinzu kommen die Warnungen im Radio sowie die Hinweise durch entgegenkommende Fahrzeuge, wie Brockmann beklagt. Der Verkehrssicherheit sei das nicht zuträglich. Denn wenn insgesamt ein Viertel aller Kraftfahrer die Standorte von Blitzanlagen kenne, könnten diese keine Wirkung entfalten, sagte der UDV-Chef und forderte ein Verbot solcher Apps. 

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