Beide deutsche Staaten hatten es geschafft. Nach jahrelangen schrittweisen Annäherungen wurden die Bundesrepublik Deutschland und die DDR am 18. September 1973 in die Vereinten Nationen aufgenommen. Die Reaktionen auf die Beitritte fielen feierlich aus. Der österreichische UN-Generalsekretär Kurt Waldheim sprach von einem neuen Kapitel, das mit der Aufnahme der Deutschen in die Vereinten Nationen aufgeschlagen worden sei. Wenige Tage später trat Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) das erste Mal vor die UN-Vollversammlung.
Der Top-Diplomat Wolfgang Ischinger war damals vor Ort. Er war der erste Deutsche, der im Sekretariat der Vereinten Nationen einen Job bekam. 50 Jahre später sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion: "Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die UN war der alles entscheidende außenpolitische Schritt in den 70er Jahren. Zum Zeitpunkt der Gründung der Vereinten Nationen 1945 waren wir ein Feindstaat." Mit dem Beitritt zur UN sei die Bundesrepublik endgültig in der internationalen Staatengemeinschaft angekommen, so Ischinger. Gleichzeitig seien mit der Aufnahme beider deutscher Staaten die Bemühungen um ein gedeihliches innerdeutsches Verhältnis belohnt worden, sagt Manuela Scheuermann, Professorin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. "Die sozialliberale Ostpolitik trug Früchte."
Deutschlands Rolle bei den Vereinten Nationen: Vermittler und Mediator
Früh zeigte sich, welche Rolle die Bundesrepublik künftig einnehmen wird: die des Vermittlers, des Mediators. Deutschland habe Ende der 80er Jahre zwischen Südafrika und Namibia geschlichtet, später zwischen dem Iran und dem Irak, zählt die Politikwissenschaftlerin auf. Diese Position habe die Bundesrepublik bis heute bewahrt. "Aktuell versucht Deutschland zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu vermitteln. Denn ganz klar ist: Ohne den globalen Süden ist in den Vereinten Nationen nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr möglich", so Scheuermann.
Möglich sei diese Rolle durch die große Glaubwürdigkeit, die Deutschland bis heute in der Welt besitze, sagt Ischinger. "Deutschland ist populär, weil die Bundesrepublik seit ihrer Aufnahme 1973 die Vereinten Nationen als zentralen Pfeiler für eine regelbasierte Ordnung ansieht", erklärt der Diplomat. "Man war im Gegensatz zu anderen Staaten nicht nur auf den eigenen Machtvorteil aus." Und noch ein wichtiger Punkt komme hinzu: Im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien liege die deutsche Kolonialgeschichte weit zurück. "Das schafft Vertrauen bei den afrikanischen Ländern", sagt Ischinger.
Top-Diplomat Ischinger: UN-Sicherheitsrat bildet eine vergangene Welt ab
Natürlich wird die Bundesrepublik ebenso für ihre Wirtschaftskraft geschätzt. "Wir sind nach den USA der zweitgrößte Beitragszahler", sagt Ischinger. Daran erinnerte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seiner Rede am Dienstag in der UN-Vollversammlung. Auch deshalb dringen Bundesregierungen seit vielen Jahren auf einen ständigen Sitz im höchsten UN-Gremium, dem Sicherheitsrat. Ständige Mitglieder sind seit Gründung der Vereinten Nationen die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Die fünf Staaten haben bei Beschlüssen des Sicherheitsrats die Möglichkeit, ein Veto einzulegen und damit Vorhaben zu blockieren.
Scholz ist in seinen Forderungen nach einem ständigen deutschen Sitz zurückhaltender als seine Vorgänger, pocht aber auf eine Reform des UN-Sicherheitsrats. Der Bundeskanzler sagte am Dienstag, dass Länder der südlichen Halbkugel mehr Repräsentanz bräuchten. "Afrika gebührt mehr Gewicht, so wie auch Asien und Lateinamerika." Ischinger hält das für den richtigen Weg: "Der Sicherheitsrat bildet eine Welt ab, die vor siebzig Jahren existierte", sagt er. "Es ist eine Schande, dass es bisher keine Reform gegeben hat; dass Indien als bevölkerungsreichstes Land der Welt nicht dabei ist. Und der afrikanische Kontinent unberücksichtigt bleibt." Das führe zu einem Legitimitätsverlust. "Es ist richtig, dass sich Deutschland für eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrats einsetzt", so Ischinger.
Für Deutschland selbst sieht er jedoch keine Chance einer dauerhaften Aufnahme. "Ich habe die Idee immer für Quatsch gehalten. In der Außenpolitik hat es nur Sinn, Ziele zu verfolgen, deren Erreichung möglich ist." Aktuell sehe die Verteilung so aus: ein ständiger Sitz für Amerika, China und Russland, zwei ständige Sitze für europäische Staaten. Auf Dauer sei es sinnvoller, Frankreich davon zu überzeugen, den französischen ständigen Sitz durch noch intensivere EU-Vorabstimmung stärker als Stimme der EU im Sicherheitsrat zu präsentieren, sagt Ischinger.
Ischinger: "Sicherheitspolitisch stehen wir vor einem Scherbenhaufen"
Die Welt hat sich in den zurückliegenden 50 Jahren massiv gewandelt, damit auch die Vereinten Nationen. "Wir schauen heute auf die UN durch unsere verklärte 90er-Jahre-Brille", sagt Scheuermann. "Die geopolitische Lage ist aber eine andere." Zwar habe es zu Zeiten des Kalten Krieges auch zahlreiche Konflikte gegeben. "Aber fundamentale Werte wie der unbedingte Wille zum Frieden waren unantastbar." Das sei heute nicht mehr gegeben. "Wir stehen an einer Wegscheide."
Insbesondere Russland habe sich von einer Status-Quo-Macht zu einer revisionistischen Macht entwickelt, sagt Ischinger. "Sicherheitspolitisch stehen wir vor einem Scherbenhaufen", so der Top-Diplomat. "Wir dürfen trotzdem nicht vom Glauben abfallen. Irgendwann wird auch in der Russischen Föderation die Erkenntnis wieder aufkommen, dass es einer internationalen regelbasierten Ordnung bedarf. Wir sollten die Tür offen halten und an den Prinzipien der UN festhalten."