Kriege, Unterdrückung, die Folgen des Klimawandels und Armut: Es ist ein giftiges Gemisch, das erneut einen Rekord fabriziert hat. Im Jahr 2022 waren so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen verließen weltweit rund 110 Millionen Menschen ihre Heimat. Das sind 19,1 Millionen mehr als noch im Vorjahr – auch das der größte Anstieg aller Zeiten. Zum Vergleich: Die Niederlande haben eine Einwohnerzahl von 17,5 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Anzeichen für eine Verlangsamung oder gar Umkehr dieses Trends gibt es nach Ansicht der UN nicht. Einen großen Teil der Flüchtlinge machen Binnenvertriebene aus, das heißt, sie fliehen innerhalb der eigenen Landesgrenzen. 35,3 Millionen Menschen haben hingegen in anderen Staaten nach einer neuen Heimat gesucht. Auch die Zahl der Asylanträge schnellte mit 2,9 Millionen weltweit auf einen Allzeit-Rekord. Der Anstieg hat auch mit den gelockerten Reisebedingungen nach Corona zu tun.
Insgesamt ist die UN-Statistik vor allem ein Spiegelbild der Weltlage. Nicht nur der anhaltende Krieg in der Ukraine ist ein echter Treiber der Zahlen. Auch der Ausbruch des Konflikts im Sudan löste eine neue Fluchtbewegung aus. Menschen aus Afghanistan und Venezuela flohen in großer Zahl aus ihren Ländern. Noch immer einen Spitzenplatz belegt Syrien: Es ist das Land, aus dem die meisten Menschen flohen. Der jahrelange Bürgerkrieg und die staatliche Gewalt vertrieben bis Ende 2022 rund 6,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer. Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine erhöhte sich von 27.300 Ende 2021 auf 5,7 Millionen Ende 2022. „Die Zahlen zeigen uns, dass manche Menschen viel zu schnell in Konflikte steuern und viel zu langsam nach Lösungen suchen“, sagt Filipo Grandi, UN-Hochkommissar. „Die Folge ist Verwüstung, Vertreibung und Leid für Millionen von Menschen, die gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben werden.“
UNHCR-Flüchtlingsreport: Viele Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat
Der Report der Vereinten Nationen zeigt aber auch: Dort, wo Krieg und Gewalt nachlassen, kehren auch die Menschen zurück. „Im Jahr 2022 kehrten über 339.000 Flüchtlinge in 38 Länder zurück. Die Zahl der freiwilligen Rückkehrer war zwar geringer als im Vorjahr, aber sie kehrten in erheblichem Umfang zurück in den Südsudan, nach Syrien, Kamerun und an die Elfenbeinküste. In der Zwischenzeit kehrten 5,7 Millionen Binnenvertriebene im Jahr 2022 zurück, vor allem in Äthiopien, Myanmar, Syrien, Mosambik und der Demokratischen Republik Kongo.“
Die meisten Flüchtlinge erreichten nicht die EU: 3,6 Millionen Menschen wurden allein von der Türkei aufgenommen, auf dem zweiten Platz folgte der Iran (3,4 Millionen) – dorthin fliehen viele Afghaninnen und Afghanen. In Kolumbien (2,5 Millionen aufgenommene Flüchtlinge) spürt man die Auswirkungen der Krise in Venezuela. Auf den Plätzen vier und fünf folgen Deutschland und Pakistan.
Unterdessen zeigte sich vor der Küste Griechenlands, wie gefährlich die Flucht verlaufen kann. Bei einem schweren Bootsunglück sind mindestens 59 Migranten ums Leben gekommen. 104 Menschen konnten gerettet worden. Doch die Zahlen sind vorläufig: Die Geretteten sollen angegeben haben, es könnten sich bis zu 400 Menschen an Bord des havarierten Boots befunden haben. Nach Angaben der Flüchtlinge war das Boot vom libyschen Tobruk aus in See gestochen und auf dem Weg nach Italien. Über die Nationalitäten der Menschen an Bord war zunächst nichts bekannt.
Zuletzt hatten sich die tödlichen Unglücke von Flüchtlingsbooten wieder gehäuft. Im Sommer ist der Weg über das Mittelmeer eine wichtige Route für Migranten - doch nicht selten endet der Weg tödlich. Allein im ersten Quartal dieses Jahres starben den UN zufolge 441 Menschen bei der Überfahrt.