Auf Wahlkampfreise ging Edmundo Gonzalez zuletzt nur noch mit eigenen Lebensmitteln. Der 74-Jährige ist Kandidat der Opposition für die anstehenden Präsidentschaftswahlen am Sonntag in Venezuela. Er wolle niemanden in Gefahr bringen, sagt er. Denn wenn Gonzalez oder seine Mitstreiter auf ihren Wahlkampfreisen in einem Hotel, Restaurant oder Café Halt machten, hatte das für die Gastgeber stets fatale Konsequenzen: Ihre Gaststätte wurde von der politischen Polizei des Landes geschlossen. Die Gängelungen zeigen beispielhaft die schwierigen Bedingungen, unter denen die Abstimmung in dem lateinamerikanischen Land stattfindet.
„Der Wahlkampf findet in einem schwierigen und stark polarisierten Umfeld statt“, analysiert Annette Schwarzbauer, Leiterin des Auslandsbüros Venezuela der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 seien 37 Personen in Verbindung mit der Unterstützung von Wahlkampfaktivitäten der Opposition festgenommen worden. „Von Wahlen kann man nicht sprechen“, sagt auch Juan Guaido, einige Jahre Interimspräsident und der größte und bekannteste Gegenspieler des sozialistischen Amtsinhabers Nicolas Maduro. „Freie und transparente Wahlen würden bedeuten, dass die Opposition selbst entscheiden kann, wer auf dem Wahlzettel steht.“ In Venezuela kann sie das nicht. Nach und nach verboten die regierenden Sozialisten den prominentesten Oppositionsköpfen die Teilnahme. Die meisten sind – wie Guaido – inzwischen im Exil. Eine, die blieb, ist Maria Corina Machado, Vorsitzende der liberalen Partei Vente Venezuela. Sie mobilisierte die Massen. Doch auch sie traf der Bannstrahl der regierungsnahen venezolanischen Justiz. Erst auf den letzten Drücker gelang es der Opposition überhaupt noch einen Kandidaten zu finden, der nicht auf der schwarzen Liste der Regierung stand und den die Machthaber offenbar für ungefährlich hielten: Ex-Botschafter Edmundo Gonzalez.
Hoffnung auf einen friedlichen Machtwechsel
Nun führt Gonzalez, hinter dem sich die gesamte Opposition versammelt, die Umfragen an. Und gibt sich betont diplomatisch. „Versöhnung“ ist das Wort, dass ihm am häufigsten über die Lippen kommt. Viele Regierungskritiker verbinden mit ihm ihre Hoffnung auf einen friedlichen Machtwechsel. Ganz anders spricht Nicolas Maduro. Der warnt vor einem „Blutbad“, sollte er verlieren. Venezuela entscheide „über Krieg und Frieden“, sagt der amtierende Staatspräsident. Und wahrscheinlich hat er sogar recht, denn seine Macht stützte sich in den vergangenen elf Jahren auf gewaltbereite paramilitärische Banden, die Regierungskritiker gezielt terrorisierten. Maduro werden enge Verbindungen zur Drogenmafia nachgesagt, ein Vertrauter prahlte einst damit, man habe freien Zugang zum Präsidentenhangar.
Maduros Blutbad-Warnung schreckte nun auch Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva auf. Er gilt im globalen Süden, mindestens aber in Lateinamerika, als die wichtigste Stimme der demokratischen Linken. Spät begann sich Lula von der autokratischen Linken wie Maduro zu distanzieren: „Demokratie bedeutet, wenn Du gewinnst, bleibst Du. Wenn Du verlierst, gehst Du.“ Eine Aufforderung, die in Caracas für Verstimmung sorgte.
Für Lula in Brasilien oder auch für Gustavo Petro in Kolumbien steht einiges auf dem Spiel. Denn sie befürchten einen erneuten Exodus, sagt Venezuela-Experte Thomas Wieland vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat: „Drei bis vier Millionen Menschen sitzen in Venezuela auf gepackten Koffern.“ Schon heute leben in Brasilien und Kolumbien viele der insgesamt acht Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner, die vor dem Regime geflüchtet sind.
USA blicken mit Spannung nach Venezuela
Selbst auf den Wahlkampf in den USA könnte eine Wiederwahl Maduros und damit eine anschwellende Fluchtbewegung aus Venezuela Einfluss nehmen. Dort spricht der republikanische Kandidat Donald Trump von einer Invasion über die Südgrenze, obwohl die Zahl der Migranten zuletzt rückläufig war. „Für die gesamte Region stellt die Situation in Venezuela, vor allem durch die Auswirkungen der Migration und hinsichtlich der Sicherheitslage, eine große Herausforderung dar“, warnt KAS-Expertin Schwarzbauer. „Auch die Nachbarländer in der Region sind daher an einer Lösung der Krise in Venezuela interessiert.“
Venezuela ist ohnehin ein wichtiger Faktor im globalen Machtpoker. Russland, China und Iran haben sich mit dem Land direkt vor der Haustür der USA einen strategischen Partner gesichert. Ob sie einen Machtwechsel zulassen, bleibt abzuwarten. Adveniat-Experte Wieland berichtet, internationale Beobachter gingen von einer massiven Manipulation der Wahl aus.
Venezuela ist das ölreichste Land der Welt. Doch unter Maduro ist die Produktion dramatisch eingebrochen. Weil Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentierten, der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag gegen Venezuela wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt und das UN-Menschenrechtskommissariat schwere Vorwürfe gegen Caracas erhob, verhängte die US-Regierung Sanktionen unter anderem gegen die Ölindustrie. Maduro ließ als Reaktion das Personal des UN-Büros aus dem Land werfen. Zuletzt lockerten die USA die Sanktionen leicht, unter anderem weil mit Gonzalez ein wirklicher Oppositionspolitiker auf dem Wahlzettel steht.
In den meisten Umfragen liegt der Kandidat Edmundo Gonzalez in der Wählergunst vorn, gefolgt von Maduro. Sollte der Amtsinhaber die Wahlen dennoch gewinnen, könne er sogar auf eine größere Legitimation als zuletzt bauen, prognostiziert Vladimir Rouvinski von der Universität Icesi in Cali. Die Nachbarn bemühen sich im eigenen Interesse darum, die wirtschaftliche Beziehungen zu verbessern. Der US-Konzern Chevron konnte Ende 2023 bereits die Produktion um 70 Prozent steigern. Maduro kündigte seinen Wählern nicht nur ein Blutbad im Falle einer Niederlage an, sondern auch „eine gesegnete, wunderbare Zeit des Wachstums und des Wohlstands“ sollte er gewinnen.
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