Diplomatie ist nicht die Sache dieses Papstes. In einem am Dienstag erschienenen Zeitungsinterview mit dem Mailänder Corriere della Sera sprach das 85-jährige Oberhaupt der katholischen Kirche neben vielem anderen vom „Bellen der Nato an der Tür Russlands“, das möglicherweise ein Mitgrund für den Konflikt in der Ukraine sei. Franziskus behauptet damit, dass der Westen womöglich auch ein Stück Verantwortung für die Eskalation des Konflikts trage, weil das Sicherheitsbedürfnis Russlands durch die Nato-Osterweiterung nicht berücksichtigt worden sei.
Papst Franziskus spricht vom Zorn Putins
Franziskus stellt damit das in Europa und den USA vorherrschende Narrativ infrage, demzufolge Russland als Aggressor die alleinige Verantwortung für den Krieg in der Ukraine trage. Er beschäftigt sich mit der Rolle des russischen Präsidenten Putin. Franziskus versucht, „die Ursachen für dieses Verhalten zu ergründen, die Beweggründe, die ihn zu einem so brutalen Krieg treiben“, heißt es in dem Interview, das nicht als Wortlaut, sondern als Fließtext mit Zitaten abgedruckt wurde. Franziskus spricht vom Zorn Putins, „ein Zorn, von dem ich nicht sagen kann, ob er provoziert wurde, aber vielleicht wurde er begünstigt“.
Franziskus wurde 1936 in Buenos Aires geboren. Der Lateinamerikaner Jorge Bergoglio wurde in eine gewisse Skepsis gegenüber den USA hineingeboren. Vielleicht zeigt es auch eine gewisse Reife, die Verantwortung im Konflikt zwischen Russland und dem Westen nicht nur auf der anderen Seite, sondern auch bei sich selbst zu suchen, die Franziskus zu seinem Kommentar veranlasst hat. „Wie ist es möglich, eine solche Brutalität nicht zu stoppen?“, fragt Franziskus. Fakt ist: Das angebliche „Bellen der Nato an der Tür Russlands“ sorgt für Zündstoff.
Vergeblich suchte man bisher ein direktes, anklagendes Wort von Franziskus gegenüber Putin, der am 24. Februar den Angriffsbefehl gab. Diese Haltung ist wohl auch dem Grund geschuldet, dass Franziskus auf ein Signal aus Moskau wartet, um mit Putin zu einem Gespräch zusammenzukommen. Trotz mehrerer Einladungen in die Hauptstadt der Ukraine sagte Franziskus in dem Interview: „Nach Kiew reise ich vorerst nicht. Zuerst muss ich nach Moskau gehen, zuerst muss ich Putin treffen.“
Franziskus sucht das Gespräch mit den Tätern
Er habe im März bereits im Kreml anfragen lassen, aber bisher keine Antwort bekommen. „Ich befürchte, dass Putin zu diesem Zeitpunkt nicht zu diesem Treffen kommen kann und will“, sagte der Papst. Franziskus sucht das Gespräch mit den Tätern, auch das hat seine Logik, da ja dort der Hauptschlüssel für den Konflikt liegt. Am ersten Kriegstag habe er mit dem ukrainischen Präsidenten telefoniert.
Unmittelbar nach Kriegsbeginn hatte Franziskus den russischen Botschafter am Heiligen Stuhl aufgesucht, diesen um eine Erklärung gebeten und das Kriegsende gefordert. „Ich wollte eine klare Geste machen, die die ganze Welt sehen kann“, sagte der Papst. Auch die Frage der Waffenlieferungen kommentierte Franziskus. „Ich weiß nicht, wie ich die Frage beantworten soll, ob es richtig ist, die Ukrainer zu beliefern“, sagte er.
Unkorrekter Ton? Außenamt des Moskauer Patriarchats kritisiert Papst
Auch in Moskau provozierte das Interview des Papstes Kritik, insbesondere beim Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche. Franziskus hatte Kyrill im März zu einem Videotelefonat getroffen. Bei dem Gespräch habe er dem Patriarchen, der einen besonders engen Draht zu Putin hat, gesagt: „Wir sind keine Staatskleriker. Wir können nicht die Sprache der Politik sprechen, aber die von Jesus. Deswegen müssen wir Wege zum Frieden finden und das Schießen muss aufhören.“ Der Patriarch dürfe sich nicht in den „Ministranten Putins“ verwandeln.
Das Außenamt des Moskauer Patriarchats kritisierte die Worte: „Es ist bedauerlich, dass Papst Franziskus eineinhalb Monate nach seinem Gespräch mit Patriarch Kyrill einen unkorrekten Ton gewählt hat, um den Inhalt dieses Gesprächs weiterzugeben“, hieß es in einer Stellungnahme.