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USA: Trump-Abschied: Das amerikanische Gemetzel

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Trump-Abschied: Das amerikanische Gemetzel

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    Szene eines Abschieds: Donald Trump tritt aus dem Weißen Haus und klammert sich fast an Gattin Melania fest, die sonst oft hinter ihm trippeln musste.
    Szene eines Abschieds: Donald Trump tritt aus dem Weißen Haus und klammert sich fast an Gattin Melania fest, die sonst oft hinter ihm trippeln musste. Foto: Alex Brandon, dpa/AP

    Er geht. Leise. Das ist die vielleicht lauteste Demütigung nach diesen vier Jahren, diesen 1461 Tagen, diesen 35.064 Stunden, in denen gefühlt jede Minute voller Geschrei war, voller Lärm, voller Wut, voller „Action“, wie er es nennen würde.

    Und nun steht ganz still, fast verloren, ein einsamer Helikopter, Marine One, auf dem Südrasen vor dem Weißen Haus, nur ein paar Reporter drängen sich an der seitlichen Absperrung. Es wird acht Uhr, da sollte er heraustreten auf den roten Teppich, es wird 8.10 Uhr, es wird 8.13 Uhr. Ein paar Mitarbeiter tragen Boxen über den Rasen, wie bei einem Familienumzug, hinein in das geräumige Fluggerät, auch einige Louis Vuitton-Koffer, vielleicht von der First Lady?

    TV-Kommentatoren halten Trump vor, was er alles nicht getan hat

    Während der Helikopter wartet, wiederholen die TV-Kommentatoren aufgeregt, was dieser Präsident in vier Jahren alles getan hat, aber sie kommen immer wieder darauf, was er NICHT getan hat.

    Donald Trump und First Lady Melania bevor sie an Bord der Air Force One gehen.
    Donald Trump und First Lady Melania bevor sie an Bord der Air Force One gehen. Foto: Manuel Balce Ceneta, AP/dpa

    Seinem Nachfolger NICHT zum Wahlsieg gratuliert. Seine Wahlniederlage NICHT akzeptiert, auch als ihm Gerichte zum zigsten Mal bescheinigt haben, dass an seinen Verschwörungstheorien nichts dran sei und die Stimmen allein in Georgia dreimal ausgezählt worden waren. NICHT den Lobby-Sumpf in Washington trockengelegt, wie er es vor vier Jahren versprochen hatte, im Gegenteil: Wenige Stunden zuvor hat er noch seine eigene Anordnung widerrufen, dass seine Mitarbeiter kein Lobbying betreiben dürften. Sie können ihre guten Kontakte jetzt doch für gutes Geld verhökern. Und, natürlich, NICHT an der Amtseinführung seines Nachfolgers teilnehmen, jeder Vorgänger hat das getan, 152 Jahre lang. Als er seinen eigenen Vorgänger ablöste, fuhr der mit ihm in einer Wagenkolonne zur Zeremonie.

    Und dann tritt Donald Trump heraus, die übliche riesige rote Krawatte, der gewaltige schwarze Mantel. Er klammert sich fast an Gattin Melania fest, die sonst oft hinter ihm trippeln musste, sie kann diesmal seiner Hand gar nicht entkommen. Kurz stoppt er bei den Journalisten, aber es sieht eher aus, als genieße er noch einmal diesen Moment, dass sie an seinen Lippen hängen. Ein Reporter ruft, ob er irgendwas bereue, er antwortet nicht, er marschiert Richtung Helikopter. Irgendwie sieht er kleiner aus als sonst, obwohl doch der Mantel so groß wie immer ist.

    Am Morgen von Joe Bidens Amtseinführung verlässt Noch-Präsident Donald Trump das Weiße Haus und reckt bei seinem Einstieg in die Marine One die Faust.
    Am Morgen von Joe Bidens Amtseinführung verlässt Noch-Präsident Donald Trump das Weiße Haus und reckt bei seinem Einstieg in die Marine One die Faust. Foto: Alex Brandon, AP/dpa

    Dann kreist sein Helikopter über Washington, ein bisschen länger als nötig, er überfliegt jenen Ort, den er partout verändern wollte und der doch auch ihn verändert hat, seine Wahrnehmung. Schließlich landet er ein paar Minuten entfernt von der Hauptstadt auf der Andrews Air Force Base, das gewaltige Präsidentenflugzeug wartet dort, für einen allerletzten Flug nach Florida. Nach Hause.

    "Great" habe Donald Trump Amerika wieder gemacht

    „Don’t stop believing“, verliere nicht den Glauben, klingt es aus irgendwelchen Lautsprechern, eine kleine Zuschauermenge lärmt wie bei einem Wahlkampfauftritt und auch Trump wedelt mit den Fingern in die Menge, er ballt die Faust und dann spricht er, ein letztes Mal als Präsident, ohne Teleprompter – aber mit genau jenen Parolen, die bei jedem Wahlkampfauftritt zu hören gewesen wären.

    GREAT habe er Amerika wieder gemacht, das Militär ganz neu aufgestellt, eine Behörde für Weltraumsicherheit geschaffen, allein das sei schon viel Erreichtes für jede normale Regierung, aber: „Wir waren ja keine normale Regierung.“

    Unterstützer von Ex-Präsident Donald Trump.
    Unterstützer von Ex-Präsident Donald Trump. Foto: Lynne Sladky, AP/dpa

    Die Veteranen im Militär, sie liebten ihn, die Wall Street sowieso, und dann habe man dank seiner Führung auch noch das medizinische Wunder vollbracht, so schnell eine Impfung gegen das Coronavirus zu entwickeln. Trump redet und redet, seine Gedanken springen wild hin und her, wie immer, von Realität zu Wunschvorstellung, doch sie landen schließlich immerhin einmal in der Realität: Trump gibt, bemerkenswert, zu, es gebe eine neue US-Regierung, er wünscht ihr Glück. Und fügt hinzu: Sie werde bestimmt erfolgreich sein, er habe ja schließlich die Grundlage dafür gelegt...

    Den Namen Joe Biden erwähnt er nicht.

    „USA, USA“, rufen die Zuschauer, und „Thank you, Trump!“. Es sind vielleicht 200, Trumps Leute haben versucht, den Hangar voll zu bekommen, natürlich, denn was ist ihm wichtiger als Publikum? Vor vier Jahren hat er noch seinen Sprecher gezwungen, öffentlich zu behaupten, niemals hätten so viele Menschen einer Amtseinführung eines US-Präsidenten beigewohnt, „Punkt!“. Auch wenn jeder auf jedem Bild sehen konnte, dass das schlicht nicht stimmte.

    Aber nun wollten viele offenbar nicht mehr dabei sein. Ein paar Ex-Mitarbeiter, die längst in Ungnade gefallen waren, Kurzzeit-Kommunikationsdirektor Anthony Scaramucci etwa, spotten öffentlich, sie hätten eine Einladung für den Abschiedstermin erhalten, sogar mit bis zu fünf Leuten Begleitung, Hauptsache herkommen! Aber gekommen ist auch Scaramucci nicht.

    Und dann steigt Trump in die Air Force One und wirkt wie der alte Mann, der er ist

    Also winkt Trump halt denen, die da sind, beinahe wirkt er gerührt. In den vergangenen Tagen war er, der immer Massen um sich haben musste, ganz alleine. Fast eine Woche hat er das Weiße Haus nicht mehr verlassen, in seinem öffentlichen Terminkalender standen schon seit Weihnachten nur diese zwei Sätze: „Präsident Trump arbeitet von frühmorgens bis abends. Er wird viele Telefonate führen und viele Sitzungen haben.“ Er empfing kaum Besucher, einer war der Chef von MyPillow, ein Verschwörungstheoretiker, dessen Firma Kissen herstellt für Menschen, die nicht gut einschlafen können.

    Trumps Mitarbeiter versuchten ihn fernzuhalten von allen Live-Auftritten, vielleicht weil sie Schlimmes befürchteten. Es soll auch Überlegungen gegeben haben, wie man die Codes für Amerikas Atomwaffen vor ihm verbergen könne. Selbst seine kurze Video-Abschiedsrede durfte Trump nur aufzeichnen, im Blue Room des Weißen Hauses, danach lud sein Team diese auf Youtube hoch. Auf Twitter und Facebook ist Trump ja mittlerweile unerwünscht.

    Abschiedsszene vor dem Weißen Haus, Präsident Trump und seine Frau Melania. Als als erster Präsident seit Andrew Johnson im Jahr 1869 blieb er der Amtseinführung seines Nachfolgers Biden vor dem Kapitol fern.
    Abschiedsszene vor dem Weißen Haus, Präsident Trump und seine Frau Melania. Als als erster Präsident seit Andrew Johnson im Jahr 1869 blieb er der Amtseinführung seines Nachfolgers Biden vor dem Kapitol fern. Foto: Alex Brandon/AP/dpa

    Und die „Medien“, die er vier Jahre lang beschimpft hat, die ihn aber auch umschwärmten, weil er für so gute Quoten, für so gute Auflagen sorgte? Sie übertragen zwar seinen Abschiedsauftritt. Aber sie blenden schon die Verweise ein auf den Neuen, Joe Biden, auf dessen Vereidigungs-Gottesdienst, der bald beginnt. Sogar Trumps Vize Mike Pence ist lieber dort als bei seinem Chef. Und im Laufe des Tages kommen ja noch all die Promis, die Trump immer gerne für sich gehabt hätte, die zu ihm aber nie kamen: Lady Gaga, die für Biden die Nationalhymne singt. „Boss“ Bruce Springsteen, der für Biden rockt. Das Hochglanzblatt Vogue, das zu Trumps Ärger nie First Lady Melania auf den Titel hob, zeigt dort gerade die neue Vizepräsidentin Kamala Harris.

    Und dann steigt Trump ein in die Air Force One, er wirkt nun fast wie der alte Mann, der er ist. Wäre Donald Trump nicht Donald Trump, man könnte Mitleid mit ihm haben. Dieser Tag ist nicht einfach das Ende der außergewöhnlichsten, schlimmsten, auch beängstigendsten Amtszeit, für die je ein US-Präsident verantwortlich war. Es ist auch der endgültige Abgesang auf eine Persönlichkeit. Klar, Trump galt schon immer als Aufschneider, Lügner, Scharlatan. In Deutschland wäre er wohl eine Mischung aus dem Wendler und Dieter Bohlen gewesen, nur halt viel schlimmer.

    Die Welt kann nicht wegsehen, wie immer bei Trump

    Aber eben eher eine Witzfigur, etwas Kult, nicht die Hassfigur, der American Psycho fast, als der er sich nun verabschiedet. Das „amerikanische Gemetzel“ ende jetzt mit ihm, hat Trump vor vier Jahren gesagt. Es ist sein Gemetzel geworden. 400.000 Corona-Tote, der Mob-Aufstand im Kapitol, gleich zwei Amtsenthebungsverfahren, so eine doppelte Verachtungserklärung traf noch nie einen Präsidenten.

    Und doch: Die Amerikaner, ach was, die Welt kann nicht wegsehen, wie immer bei Trump. Jede Amtsübergabe leitet in den USA eigentlich einen Prozess der Versöhnung ein. Vor zwölf Jahren höhnten viele, als Dick Cheney, der ungeliebte Vize, bei der Amtseinführung von Barack Obama im Rollstuhl sitzen musste und aussah wie ein Fürst der Finsternis. Aber das scheint eine Ewigkeit her, in der Gegenwart gilt Cheney nun längst als Staatsmann und seine Tochter, eine Republikanerin, hat sich sogar für Trumps Amtsenthebung ausgesprochen.

    Ankunft in Florida: Ex-Präsident Donald Trump mit Ex-First Lady Melania.
    Ankunft in Florida: Ex-Präsident Donald Trump mit Ex-First Lady Melania. Foto: Joe Cavaretta/South Florida Sun-Sen, AP/dpa

    Und Cheneys Boss George W. Bush, auch damals eine Reizfigur, ist längst geschätztes Mitglied jenes exklusivsten Klubs der Welt, in der ausgerechnet der Klub-fixierte Trump nie Zugang fand, dem der lebenden Ex-US-Präsidenten: Barack Obama, George W. Bush, Bill Clinton. Alle sind bei Bidens Vereidigung dabei, natürlich. Jimmy Carter, 96, wäre selbstverständlich auch gekommen, wäre er fit genug.

    Sie haben auch alle einen Brief an ihren Nachfolger hinterlassen, der lag dann auf dem Schreibtisch im Oval Office, ein bisschen weiß man über den Inhalt, es sind fast zärtliche Worte unter den Menschen auf dem Planeten, die wissen, was es heißt, das schwierigste Amt der Welt auszufüllen. Über die Trumps heißt es am Dienstag, sie hätten nicht einmal die Dankesnoten an die Butler im Weißen Haus selber geschrieben.

    „Unsere Bewegung hat gerade erst begonnen“, sagt Trump zum Abschied

    Weil Trump auf ein Comeback hofft? „Unsere Bewegung hat gerade erst begonnen“, sagt Trump zum Abschied. Haben nicht 74 Millionen Amerikaner im November noch für ihn gestimmt – und seine Anhänger gerade erst das Kapitol für ihn gestürmt? Aber wer nach dem ersten Schock genauer hinsah, sah, wie verloren diese Protestler dort wirkten. Sie drangen ins Parlament ein, aber wussten kaum, was sie dort anfangen sollten, als sich in Büros zu fläzen und Pulte wegzuschleppen. Sie waren Protestler ohne Plan.

    Hat auch Trump, der ewige Populist, vielleicht gar nichts Ewiges erreicht in Washington? Schon in seinen ersten Amtsstunden will Biden viele Trump-Dekrete widerrufen. Trumps Republikaner haben den Senat verloren, das Repräsentantenhaus, das Weiße Haus, alles. Es gibt nun viele stramm rechte Richter, gerade am Obersten Gerichtshof – aber als es darum ging, sich zwischen Trump und Amerikas Verfassung zu entscheiden, haben sie die Verfassung gewählt.

    Es bleibt wohl: der Zorn. 25.000 Nationalgardisten sind allein am Mittwoch in Washington aufmarschiert. Es wirkt, als fürchte die einst stolzeste Demokratie der Welt das Volk, den Mob, die Wut, die Trump geschürt hat. Er zeigt sie auch noch einmal, als er vor der Air Force One redet und über das Virus schimpft, das ihm aus seiner Sicht alles verdorben hat. „Jeder weiß, wo es herkam“, ruft er wütend und meint – was sonst? – China.

    Joe Biden wird von Chief Justice John Roberts als 46. Präsident der USA vereidigt.
    Joe Biden wird von Chief Justice John Roberts als 46. Präsident der USA vereidigt. Foto: Saul Loeb, afp/dpa

    Trumps Kinder hinter ihm nicken, Ivankas blonde Haare leuchten. Sie fliegen mit nach Florida, Ivanka rechnet sich dort politsche Chancen aus, bei der Wahl hat ihr Vater Florida gewonnen. Aber Florida ist eben auch der Staat, wo Rentner hinziehen, um in der Sonne zu sitzen. Mar-A-Lago, sein Wohnsitz, steht in einer Rentner-Nachbarschaft. Klar, der Secret Service kommt mit, auf Lebenszeit. Aber wenn Trump schon das Regieren nicht liebte, so doch den Glamour des Regierens. Eine Zeitung beschrieb mal, wie er mit einem Freund durch Washington raste, auf das Blaulicht deutete, die Neugierigen am Wegesrand, und fragte, wie er sich danach je wieder nur um seine Baufirma kümmern solle?

    Die gilt ohnehin als höchst marode. Trump hat sich jahrelang geweigert, seine Steuererklärung zu veröffentlichen. Aber wohl eher, um zu verschleiern, was für ein erfolgloser Geschäftsmann er war und ist. Seine Golfplätze: verlieren Millionen. Seine Hotels: verbrennen Millionen. Bald werden hunderte von Millionen an Krediten fällig, für die er persönlich gebürgt hat. Selbst die Deutsche Bank, lange treu an seiner Seite, will mit dem Geschäftsmann Trump nichts mehr zu tun haben.

    „You are fired“, den Satz hat Trump gerne gesagt als TV-Star

    Der kennt das, er hat es ja sogar geschafft, mit Casinos Geld zu verlieren. Aber früher half meist Daddy Trump mit Millionen aus. Oder es ergab sich unverhofft die Chance, Millionen mit der Marke Trump zu verdienen, im TV etwa, wo er einen erfolgreichen Boss mimte. Manche sagen, Trump sei nur in die Politik gegangen, weil auch die Einschaltquoten sanken und er seinen Marktwert wieder hochtreiben wollte.

    Simmt das, hat er sich verrechnet. Schon hagelt es Stornierungen bei seinen Geschäften. Sicher, er könnte Memoiren schreiben oder Vorträge halten. Er kann auf die politische Kriegskasse von rund 250 Millionen Dollar bauen, die seine Anhänger ihm überwiesen haben. Aber was, wenn er nie mehr für ein Amt kandidieren darf, weil er doch noch des Präsidentenamtes enthoben wird?

    „You are fired“, den Satz hat Trump gerne gesagt als TV-Star: Du bist gefeuert. An diesem 20. Januar 2021 wird er selber gefeuert. Dieser Mann hat so viele Worte gefunden, meist für Beleidigungen. Nun muss er den Rest seines Lebens mit nur einem Wort leben lernen, das er mehr fürchtet als jedes andere: Loser. Verlierer.

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