Neulich hat sich Curtis Richardson ein bisschen erschreckt. Als der Afroamerikaner mit dem freundlichen Lächeln und der markanten Nickelbrille auf der Nase durch die Bilder auf seinem Handy scrollte, stieß er auf ein Selfie mit Ron DeSantis. Ende 2018 muss das gewesen sein, kurz nach der ersten Wahl des Republikaners zum Gouverneur von Florida. "Ich hatte ganz verdrängt, dass ich ihm mal begegnet bin", sagt Richardson. Seiner Frau musste er versprechen: "Das Foto bekommt niemand zu sehen."
Aus seinem Alltag verbannen aber kann der Stadtrat von Tallahassee den mächtigen Herrscher im Sunshine State nicht. Wenn Richardson aus dem Fenster vor seinem Büro im Rathaus der Landeshauptstadt schaut, blickt er über die Pensacola Street direkt auf die Wirkungsstätte des gefährlichsten Konkurrenten von Donald Trump im innerparteilichen Rennen um die Präsidentschaftskandidatur. Rechter Hand neben dem zum Museum degradierten historischen Kapitol steht der scheußliche Betonsilo mit Schießschachtfenstern, in dem das Parlament von Florida arbeitet.
Der aggressive Kulturkampf ist zum Markenzeichen von DeSantis geworden
Richardson kennt das fußläufige Regierungsviertel wie seine Westentasche. Und doch ist es ihm fremd geworden. Vier Legislaturperioden, von 2000 bis 2008, saß er für die Demokraten im Repräsentantenhaus, war zeitweise deren Fraktionschef. Schon damals hielten die Republikaner die Mehrheit. "Aber die waren moderat. Wir haben gemeinsam Gesetze beschlossen. Ich bin noch immer mit einigen Kollegen von damals befreundet", berichtet der 66-Jährige. Heute wäre das undenkbar.
Der Grund heißt Ron DeSantis.
"Anfangs habe ich tatsächlich geglaubt, er könnte eine politische Leitfigur für alle Menschen in Florida werden", gesteht Richardson. "Aber ich habe mich sehr getäuscht. Er bedroht die demokratischen Grundlagen unseres Staates und will ein autoritärer Zar sein."
Tatsächlich hat DeSantis den aggressiven Kulturkampf gegen das links-woke Amerika zu seinem Markenzeichen gemacht. Der einstige Absolvent der Elite-Universitäten Yale und Harvard hat vorgeblich "pornografische" oder "gewaltverherrlichende" Bücher aus Schulbibliotheken verbannt. Er hat verboten, in Grundschulen über sexuelle oder ethnische Identitäten zu sprechen. Er kaperte das Aufsichtsgremium der Disney-Freizeitparks, ließ Migranten auf die Millionärsinsel Martha's Vineyard bringen und löste einen Staatsanwalt ab, der gegen die Kriminalisierung der Abtreibung protestierte.
Noch hat Ron DeSantis nicht seine Präsidentschaftskandidatur angekündigt
Noch hat der 44-Jährige seinen Hut für das Präsidentschaftsrennen nicht offiziell in den Ring geworfen. Doch seine öffentlichen Auftritte machen mehr als deutlich, dass er den im November mit einem Erdrutschsieg erneut gewonnenen Gouverneursposten als Sprungbrett ins Weiße Haus nutzen will. "Das Beste kommt noch", versprach er bei seiner Regierungserklärung Anfang des Monats vieldeutig. Der Mann, befand eine Kolumnistin des konservativen Wall Street Journals, sei notfalls eiskalt genug, das Beatmungsgerät eines Kranken auszustöpseln, um in der Steckdose sein Handy aufzuladen.
Im Kampf um die Stimmen der republikanischen Basis will sich DeSantis als ähnlich radikale, aber rationalere Alternative zu dem irrlichternden Narzissten Trump positionieren. Und sein Bundesland dient ihm als politisches Musterstück, als "Blaupause für die Wiederbelebung Amerikas", wie der Untertitel seines neuen Buches heißt. "Florida ist der Staat, in dem 'woke' sterben wird", hat er am Wahlabend seinen Anhängern versprochen.
Jetzt macht er Ernst. In Tallahassee. Nur für zwei Monate im Jahr kommt hier das Parlament zusammen. In den verbleibenden wenigen Sitzungswochen bis Anfang Mai sollen die beiden von den Republikanern jeweils mit Zweidrittelmehrheit dominierten Kammern einen Frontalangriff auf die "linken" Eliten, die Schulen und Universitäten, die Medien und viele Bürgerrechte starten. Gleich hinter der Sicherheitsschleuse des Kongresses am Eingang links entlang geht es vorbei an einer Ahnengalerie zum Büro des Gouverneurs, wo ein ganzer Berg radikaler Gesetzesvorstöße ausgebrütet wurde. "Wir befinden uns an der Front in der Schlacht um die Freiheit", hat DeSantis gesagt: "Wir werden nicht zurückweichen!"
Die Basis der Republikaner jubelt
Die Republikaner-Basis jubelt. Doch anderen macht diese Rhetorik Angst. Auf dem Vorplatz vor dem Parlament haben sich an diesem Vormittag drei Dutzend Vertreterinnen der "League of Women Voters" versammelt, einer überparteilichen Bürgerrechtsorganisation. Offiziell veranstalten die Frauen eine Pressekonferenz, denn Demonstrationen hat DeSantis hier kurzfristig verbieten lassen. Doch mitten in der Aktion kleben sie sich rote Klebebänder vor ihre Münder. "Überall in Florida werden die Freiheiten der Bürger eingeschränkt", klagt anschließend Jennifer Adams, eine der Organisatorinnen des Protests: "DeSantis nimmt Florida in Geiselhaft für seine Karriere. Das ist kein Bundesstaat mehr, wo man gerne wohnt."
Tatsächlich passt das Pflichtenheft, das die Abgeordneten in den nächsten Wochen abarbeiten wollen, eher zu einem intoleranten Gottesstaat als zu einem unbeschwerten Ferienparadies, wie es viele Urlauber mit dem pulsierenden Miami Beach, dem türkisen Meer vor Key West oder den Märchenschlössern bei Orlando verbinden. Auf der Agenda stehen: Ein Gesetz, das den Geschichtsunterricht auf die positiven Aspekte der patriotischen Vergangenheit beschränkt. Ein Gesetz, das den öffentlichen Schulen Mitteln entzieht und Eltern stattdessen Gutscheine für die Erziehung an privaten oder religiösen Einrichtungen oder zu Hause anbietet. Ein Gesetz, das Aufklärungsunterricht bis zum achten Schuljahr untersagt und Lehrern wie Schülern verbietet, ein anderes Pronomen (er/sie) als in ihrer Geburtsurkunde zu verwenden. Ein De-facto-Abtreibungsverbot. Die Erlaubnis für jeden, ohne Lizenz eine Waffe bei sich zu tragen. Und ein Paragrafenwerk, das Blogger bei Androhung einer Geldstrafe zur Registrierung verpflichtet, wenn sie über die Regierung berichten wollen.
"Das ist Faschismus und Autoritarismus und geht selbst über Trump hinaus", urteilte der renommierte Präsidenten-Historiker Michael Beschloss kürzlich in einem Twitter-Post hart. DeSantis nannte er "den Lokal-Mussolini aus Florida".
Am Abend versammeln sich ein paar Demonstrantinnen und Demonstranten auf der anderen Straßenseite der South Monroe Street außerhalb des Bannkreises. Auf ihren Plakaten protestieren sie gegen die geplante Verkürzung der bisherigen 15-Wochen-Frist für legale Schwangerschaftsabbrüche in Florida auf künftig nur noch sechs Wochen. Einige vorbeirasende Autos hupen. "Arschlöcher!", brüllt ein Fahrer in Richtung der Kundgebung. "Nicht reagieren!", mahnt Regina Joseph die Umstehenden. Peinlich genau achtet die junge Frau auch darauf, dass bloß niemand den Bürgersteig blockiert: "Wir wollen denen keinen Anlass bieten".
Kritik prallt an Gouverneur Ron DeSantis ab
Die Afroamerikanerin hat an der Universität in Tallahassee Politikwissenschaft studiert. Heute arbeitet sie bei einer Musikproduktionsfirma. "Der weiße Rassismus ist auf dem Vormarsch", ist sie überzeugt. DeSantis sei auf diesen Zug aufgesprungen, um von den Schwierigkeiten des Bundesstaats abzulenken – hohe Mieten, knapper Wohnraum, vom steigenden Meeresspiegel bedrohte Küsten und Versicherungspolicen, die wegen der regelmäßigen Hurrikan-Verwüstungen unbezahlbar werden. "Er hat das bei Trump abgeschaut und versucht, sich nun als der reaktionärste und spalterischste Politiker im Land einen Namen zu machen", glaubt Joseph.
Am Gouverneur und seinen Vertrauten prallt solche Kritik ab. Im Gegenteil ist es ganz in ihrem Sinne, wenn sie linksliberale Empörung hervorrufen. "Unsere Gesetze spiegeln den Willen der Bevölkerung von Florida, die den Gouverneur mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt haben", beteuert Cord Byrd, als Secretary of State einer der wichtigsten Minister im Kabinett, demonstrativ nach einem Gespräch mit dem deutschen Transatlantik-Koordinator Michael Link. Der FDP-Politiker ist nach Washington und Tallahassee gereist, um rechtzeitig Tuchfühlung zu möglichen politischen Entscheidern nach der Wahl 2024 aufzunehmen. Ein abschließendes Urteil über DeSantis will er nicht fällen. So viel aber sagt er: "Sollte DeSantis der republikanische Präsidentschaftskandidat werden, wird er sich vielen Fragen zu seiner Politik in Florida, zum Beispiel beim Thema Abtreibung, stellen müssen."
Byrd wischt solche Einwände mit einem freundlichen Lächeln vom Tisch. Er rät allen Skeptikern, einen Blick auf die positiven Wirtschaftszahlen und das Bevölkerungswachstum des Sunshine State zu werfen: "Da sehen Sie, wie die Menschen wirklich denken. Sie stimmen mit den Füßen ab."
Nur das Parlament könnte noch den Gouverneur in seinem autoritären Kreuzzug bremsen. Doch das ist extrem unwahrscheinlich. Im Abgeordnetenhaus sitzen 35 Demokraten hoffnungslos verloren einer erdrückenden Mehrheit von 84 Republikanern gegenüber. Im Senat ist das Verhältnis nicht besser. Und die Republikaner stehen hinter DeSantis – selbst solche, die in der Vergangenheit persönlich durchaus ihre Schwierigkeiten mit ihm hatten, wie der im vorigen Jahr abgelöste Parteichef und Trump-Vertraute Joe Gruters.
Denken wirklich alle Republikaner so?
Der Senator empfängt Besucher in seinem Büro im dritten Stock des Kongressgebäudes mit einem kleinen Vortrag über den Trophäen-Fisch an der Wand, den er einst geangelt hat, und einer regelrechten Suada von Lobpreisungen für DeSantis: "Der Gouverneur ist ein Vorkämpfer für die konservative Agenda", schwärmt er. Die angekündigten Reformen seien keineswegs radikal, sondern würden "dem gesunden Menschenverstand" entsprechen: "Ich unterstütze den Gouverneur auf ganzer Linie."
Denken wirklich alle Republikaner so? Der Demokraten-Politiker Richardson bezweifelt das: "Aber niemand will sich DeSantis offen in den Weg stellen. Der Mann ist unglaublich rachsüchtig." Gerade lässt er einem Hotel in Miami die Alkohollizenz entziehen, weil dort zu Weihnachten eine Drag-Show aufgeführt wurde. Selbst die Universitätsleitung in Tallahassee habe Bedenken gehabt, Vizepräsidentin Kamala Harris Ende Januar für eine Pro-Abtreibungsveranstaltung ihre Räume nutzen zu lassen, berichtet Richardson: "Die Menschen haben Angst, zum Ziel des Zorns zu werden."
Er selbst aber, sagt der Polit-Pensionär, werde sich nicht einschüchtern lassen: "Mir kann niemand mehr drohen." Entschlossen marschiert er von seinem Büro zu einer kleinen Protestkundgebung vor dem Kapitol: "Wir müssen uns gegen diese Verrücktheiten wehren."