Zuletzt hatte er allerhand unternommen, um aus dem selbst verschuldeten Schlamassel zu kommen: Der Mann, den das Time-Magazin 2001 zur "Person des Jahres" krönte, hatte seine repräsentative Wohnung mit drei Bädern auf der feinen Upper East Side von Manhattan für 6,5 Millionen Dollar zum Verkauf offeriert. Er bot handsignierte T-Shirts für 911 Dollar pro Stück an und sprach für 325 Dollar Videobotschaften für Geburtstagskinder oder Hochzeitspaare. Aber für seine neueste Rechnung reichte das nicht.
Am Donnerstag um kurz nach zwölf Uhr mittags Ortszeit meldete Rudy Giuliani, der legendäre einstige Bürgermeister von New York und zwielichtige Ex-Anwalt von Donald Trump, sowie seit einiger Zeit auch Verschwörungsideologe, vor dem Distriktgericht von Manhattan Privatkonkurs an. Nach eigenen Angaben besitzt der Mann, der gerne in schweren Ledersesseln mit dicken Zigarren posierte und teurem schottischen Whisky zuspricht, "nur" noch weniger als zehn Millionen Dollar. Seine Verbindlichkeiten aber belaufen sich auf 100 bis 500 Millionen Dollar.
Der Offenbarungseid ist der Tiefpunkt des einstigen Helden vom 11. September
Der finanzielle Offenbarungseid ist der bisherige Tiefpunkt des Absturzes des einstigen Helden des 11. September 2001, den die Medien damals als "Amerikas Bürgermeister" feierten. Spätestens seit seiner Pressekonferenz vor dem "Four Seasons" – tatsächlich ein schäbiger Gartenbaubetrieb zwischen einem Sexshop und einem Krematorium im Gewerbegebiet von Philadelphia – vor drei Jahren war Giuliani zur öffentlichen Witzfigur geworden. Seine aktuelle Pleite wurde mutmaßlich durch die gewaltige Schadenersatzzahlung an zwei von ihm diffamierte ehemalige Wahlhelferinnen ausgelöst, zu der der Trump-Einflüsterer in der vergangenen Woche verurteilt worden war.
Insgesamt 148 Millionen Dollar muss Giuliani an Ruby Freeman und ihre Tochter Shaye Moss bezahlen – und damit sofort beginnen, wie der Richter in einem weiteren Urteil festlegte. Giuliani war einer der Hauptprotagonisten der Lüge von der manipulierten Präsidentschaftswahl gewesen. Zum Beleg hatte er unter anderem wahrheitswidrig behauptet, die beiden Afro-Amerikanerinnen hätten bei der Auszählung in Atlanta Wahlzettel für Trump weggeworfen und ein Video verbreitet, das beweisen sollte, wie Freeman ihrer Tochter einen Mikrochip mit gefälschten Stimmen zusteckte. Tatsächlich handelte es sich um ein Bonbon. Die beiden Frauen hatten daraufhin eine monatelange Schmutzkampagne über sich ergehen lassen müssen und waren mit dem Tod bedroht worden.
Gleich mehrere Kläger konnten eine Wiedergutmachung durchsetzen
Freeman und Moss dürften die größten, aber keinesfalls die einzigen Gläubiger von Giuliani sein. Auch der Wahlmaschinenhersteller Smartmatic, dessen Reputation der Trump-Anwalt durch erfundene Manipulations-Vorwürfe beschädigt hatte, konnte vor Gericht eine Wiedergutmachung durchsetzen. Eine Strafe muss Giuliani zudem mutmaßlich an den Präsidentensohn Hunter Biden zahlen, der wegen der Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte durch die Veröffentlichung von Material aus einem unter dubiosen Umständen verlorenen Laptop geklagt hat. Schließlich belangt ihn die Anwaltskanzlei, die ihn bei bisherigen Verfahren vertrat, wegen unbezahlter Rechnungen von 1,36 Millionen Dollar.
Derweil scheint das durch eine FBI-Razzia zu fragwürdiger Publicity gelangte Luxus-Apartment auf der Upper East Side keinen Interessenten zu finden: Kürzlich hat Giuliani nach einem Bericht des Boulevardblatts New York Post den Preis um 400.000 auf 6,1 Millionen Dollar reduziert. Und auch der einstmals enge Vertraute Donald Trump, den Giuliani mit zweifelhaftem Material aus der Ukraine für dessen Anti-Biden-Komplott beliefert hatte, geht nach Medienberichten inzwischen etwas auf Distanz. Für die finanziellen Verbindlichkeiten seines Helfers will er jedenfalls nicht geradestehen.
Die geordnete Insolvenz verschafft Giuliani Zeit
Mit der Anmeldung des Privatkonkurses nach dem amerikanischen "Chapter 11" will sich Giuliani nun offenbar der Zahlung seiner Schulden und insbesondere des Schadenersatzes an die Wahlhelferinnen entziehen. "Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass Bürgermeister Rudy Giuliani eine so hohe Strafe zahlen kann", erklärte sein Sprecher Ted Goodman. Die geordnete Insolvenz verschaffe ihm nun Zeit, seine Vermögenslage transparent zu machen und gegen das Urteil in die Berufung zu gehen.
Amerikanische Juristen bezweifeln, dass die Schulden für Schadenersatzzahlungen durch den Konkurs gestrichen werden können. Allerdings dürfte Giuliani versuchen, die Zahlungen vor dem Konkursrichter neu zu verhandeln oder zumindest strecken zu lassen. Am Geldverdienen scheint er kein gesteigertes Interesse mehr zu haben: Sein Videobotschafts-Service auf der Prominenten-Plattform Cameo war am Donnerstag "vorübergehend nicht verfügbar".