Die Zeit ist eigentlich schon vorbei, als Barack Obama einen letzten Vorstoß wagt. Anderthalb Stunden hat Angela Merkel auf der Bühne des Anthem-Theaters in Washington über ihr Buch, ihr Leben und ihre Politik gesprochen - und doch nur wenig von sich preisgegeben. „Ich habe noch eine persönliche Frage“, sagt der ehemalige US-Präsident: „Was werden Sie jetzt machen, wozu sie vorher keine Zeit hatten?“
Das Schreiben des Buches sei „ziemlich harte Arbeit“ gewesen, erwidert die Alt-Kanzlerin: Das habe ich unterschätzt.“ Nun könne sie sich „mehr für Kunst und Kultur interessieren“ und „interessante Menschen kennenlernen“. Ansonsten wolle sie gerne mit jungen Leuten über ihr Buch reden. „Ich würde nicht sagen, dass sie ein extrovertierter Mensch sind“, hat Obama zu Beginn des Abends gesagt. Es wirkt, als wolle sie diesen Eindruck unbedingt bestätigen.
Die Veranstaltung ist ausverkauft – trotz Ticketpreisen von 75 Dollar
„Angela Merkel im Gespräch mit Barack Obama“ steht draußen groß auf der Kino-Anzeigetafel des Anthem-Theaters im Washingtoner Ausgehviertel The Wharf am Potomac-Fluss. Es wundert nicht, dass die Veranstaltung seit Tagen „sold out“ (ausverkauft) ist: Die beiden wichtigsten Politiker des vergangenen Jahrzehnts in einem Saal, noch dazu in der zu 93 Prozent demokratischen US-Hauptstadt, wo Obama (und seine Frau Michelle) längst Kultstatus genießen und Merkel während der ersten Trump-Amtszeit als „Anführerin der freien Welt“ gefeiert wurde - das ist selbst bei Eintrittspreisen ab 75 Dollar ein Selbstläufer.
Doch für den Abend gelten offenbar ein paar unausgesprochene Regeln: Merkel will ihre Memoiren promoten, die unter dem Titel „Freedom“ auch auf Englisch erschienen sind - und Obama ist ihr Mega-Werbeträger. Es wird über alles möglich gesprochen, nur über zwei Dinge nicht: das Private und die aktuelle Politik. So kommt es, dass binnen neunzig Minuten kein einziges Wort zum Ukraine-Krieg, zum Aus der deutschen Ampel oder zu dem Mann fällt, der die USA in sieben Wochen auf eine Geisterfahrt zu schicken droht - Donald Trump.
Obama versucht, Merkel aus der Reserve zu locken
In gewisser Weise ist die Konversation ein Selbstgespräch in einer liberalen Blase, das angesichts der dramatischen Umwälzungen in der Welt irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Da reden zwei Menschen miteinander, die Politik noch als Bohren dicker Bretter verstanden und den Wert eines Kompromisses zu schätzen wussten. Als „erste weibliche Kanzlerin“ bekommt Merkel großen Beifall. „Leider habt Ihr hier noch keine Erfahrung mit einer Frau als Präsidentin“, erwidert sie angesichts des Wahldesasters der Demokraten befremdlich lapidar: „Da hoffen wir noch drauf.“
Nein, konkrete Hilfestellungen für den aktuellen Kampf um die Erhaltung der Demokratie sind an diesem Abend nicht im Angebot. Der Blick ist rückwärtsgewandt. Aber wenn man sich darauf einlässt, entfaltet das Gespräch der beiden so unterschiedlichen Politiker einen ganz besonderen Reiz - und das liegt vor allem an Obama. Der zieht nämlich früh eine zweite, augenzwinkernde Ebene ein und versucht immer wieder, mit kleinen Sticheleien die uckermärkische Spröde der Ex-Kanzlerin aufzubrechen.
„Angela spricht sehr gutes Englisch“, sagt er gleich zu Beginn. Die Regierungschefs hätten nie einen Dolmetscher gebraucht. Doch an diesem Abend auf der Bühne wird Merkel bis auf ein kurzes „good evening“ nur Deutsch reden: „Sie ist eine sehr präzise Person“, begründet Obama die ungewöhnliche Entscheidung.
Merkel und Obama: Am Anfang war da Skepsis
Obama ist es auch, der irgendwann offen den etwas holprigen Beginn ihrer später sehr vertrauensvollen Freundschaft schildert: Als US-Präsidentschaftskandidat hätte er im Sommer 2008 nämlich gerne vor dem Brandenburger Tor gesprochen, was Merkel als Kanzlerin verweigerte. „Angela wollte zu recht nicht als parteiisch für den einen oder anderen Kandidaten wahrgenommen werden“, erläutert der Amerikaner und setzt dann schmunzelnd hinzu: „Außerdem war sie ziemlich skeptisch, weil sie dachte, dass ich einfach ein guter Redner wäre.“ Er habe dann vor 250.000 Leuten an der Siegessäule geredet: „Das war prima. Ich war wirklich nicht sauer.“
Auch hinter die Kulissen der Finanzkrise gewährt Obama einen kleinen Einblick. Da habe es unterschiedliche Herangehensweisen zwischen den Amerikanern, die auf Bankenrettungen und Konjunkturprogramme setzten, und den Deutschen gegeben, die auf Reformen und Haushaltsdisziplin drängten. „Wir hatten ziemlich viele Treffen, auch mit dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi - Deinem Liebling“, scherzt Obama in Richtung Merkel. Zwischen ihm und der Kanzlerin aber sei es nie laut geworden: „Sie hat nur ihre Augen verdreht.“
Das ist ziemlich unterhaltsam und ein angenehm zivilisiertes Gegenprogramm zu den aktuellen Pöbelorgien in der amerikanischen Politik. Doch die feinste Spitze hat sich Obama bis zum Schluss aufbewahrt. Da berichtet er, dass sich Michelle und Merkels Ehemann Joachim Sauer beim Begleitprogramm von Gipfeltreffen immer bestens verstanden hätten: Sauer sei zwar wie Merkel Naturwissenschaftler, erklärt er dem Publikum - „aber ein bisschen lebenslustiger und lockerer“.
Wem interessieren Merkels Märchenbücher oder diese karnevalistische Veranstaltung mit Obama? Wer finanziert dies und aus welcher Motivation heraus?
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