Blaue Stahlträger, schlichter Beton: In der nordmexikanischen Grenzstadt Tijuana soll die Veranstaltungshalle „Flamingos Eventos“ am Cuauhtémoc Sur Boulevard bald keine Hochzeiten, Ausstellungen und Feierlichkeiten mehr ausrichten, sondern aus den USA abgeschobenen Mexikanern Obdach bieten. In der Stadt Ciudad Juárez gegenüber der texanischen Stadt El Paso stellten unterdessen Arbeiter meterhohe Stahlkonstruktionen für provisorische Lager auf. Am selben Ort hatte Papst Franziskus 2016 bei einem Mexiko-Besuch eine Messe gefeiert. Nun bereitet sich das Land auf die „größte Massenabschiebung in der Geschichte Amerikas“ vor. So zumindest hat es US-Präsident Donald Trump angekündigt - und die mexikanische Regierung nimmt das Thema ernst.
Auch ein paar Autominuten entfernt, in den Flüchtlingsunterkünften entlang der Grenze, herrscht Aufregung. Die App „CBP One“ scheint nicht mehr zu funktionieren. Sie sollte die reguläre Migration in die USA organisieren. Flüchtlinge konnten über sie Termine beantragen, wenn sie einen Asylantrag stellen wollen. Seit Trumps Amtsantritt, so berichten zahlreiche Migranten, ist die App nicht mehr aktiv, selbst bereits getroffene Terminabsprachen seien hinfällig, Träume von einem neuen Leben jenseits der Armut sind damit geplatzt. Viele haben ihr Hab- und Gut verkauft und oft lebensbedrohliche Routen genommen. Sie wissen nicht mehr wohin und haben alles auf die Karte USA gesetzt. Doch selbst ein Aufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Krisenländern wie Afghanistan wurde ausgesetzt, ebenso eine humanitäre Ausnahmeregelung für bestimmte Schutzsuchende aus Kuba, Venezuela, Haiti und Nicaragua. Übrig bleiben nur noch wenige legale Wege.
Trump sieht in Zuwanderern vor allem Kriminelle
Trump rechtfertigt seinen harten migrationspolitischen Kurs als legitimes Mittel, um das Land vor angeblichen Kriminellen zu schützen. „Wir haben Tausende Terroristen in unserem Land“, behauptete er beim rechtskonservativen Sender Fox News. Außerdem seien „Mörder zu Zehntausenden“ ins Land gekommen. „Es kommen Leute her, deren Gesicht komplett mit Tattoos bedeckt ist“, sagte der Republikaner. „Die werden wohl nicht Leiter der örtlichen Bank sein.“ Bereits im Wahlkampf hatte Trump Migranten aus ärmeren Ländern pauschal als gewalttätige Verbrecher bezeichnet. Studien belegen jedoch das Gegenteil: Vor allem Migranten ohne gültige Papiere verhalten sich tendenziell gesetzestreuer als US-Bürger, da sie aus Angst vor Abschiebung den Kontakt zu Behörden scheuen.
Um seinen Kurs in die Tat umzusetzen, will der neue Präsident die Einreise, auch die reguläre, deutlich erschweren und Migranten, die sich bereits in den USA befinden, abschieben. Dafür hat er einen nationalen Notstand ausgerufen. Er beruft sich dabei auf einen Verfassungsartikel, der die Bundesregierung verpflichtet, die Bundesstaaten vor einer „Invasion“ zu schützen. Verfassungsrechtler sehen diese Auslegung jedoch kritisch, da der Begriff traditionell auf militärische Angriffe bezogen ist. Ihn auf Migration anzuwenden, gilt als höchst umstritten. Demokratisch regierte Bundesstaaten, Städte und Menschenrechtsorganisationen haben bereits begonnen, juristisch dagegen vorzugehen und wollen auch Trumps Erlass kippen, der in den USA geborenen Kindern mancher Migranten die automatische Staatsbürgerschaft verwehren soll. Erfolgsaussichten: ungewiss.
Auch Joe Biden schob im großen Stil Migranten ab
Neu ist der politische Druck im Zusammenhang mit dem Thema Migration nicht. Sein Vorgänger Joe Biden hat im vergangenen Jahr sogar einen Rekord aufgestellt: Rund 270.000 Menschen wurden abgeschoben, mehr als in jedem der vier ersten Amtsjahre Trumps und die höchste Zahl seit zehn Jahren. Den 2014 aufgestellten Rekord von 316.000 Abschiebungen, also fast 900 pro Tag, hält wiederum Barack Obama. Das brachte ihm den Spitznamen „Deporter-in-Chief“ ein.
Mexikos linke Präsidentin Claudia Sheinbaum ruft derweil ihre Landsleute und das Kabinett dazu auf, einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. Sie setzt auf Verhandlungsbereitschaft und Dialog. Mexiko hat Trump durchaus etwas anzubieten. Finanzminister Rogelio Ramirez verwies jüngst auf das große Handelsdefizit Mexikos mit Peking: „China verkauft an uns, kauft aber nicht bei uns ein. Das ist kein gegenseitiger Handel.“ Sein Vorschlag: Mexiko könne künftig mehr im nordamerikanischen Freihandelsraum einkaufen - also mehr in den USA und weniger in China. Das dürfte Trump gefallen, der dann einen „Deal“ vorweisen könnte.
Doch bis es so weit sein könnte, müssen Zuwanderer bangen. Am Mittwoch verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das die Gangart gegenüber Migranten mit ungeklärtem Aufenthaltsrecht verschärft - es dürfte das Erste sein, das Trump in seiner zweiten Amtszeit unterzeichnet. Das Gesetz verpflichtet Bundesbehörden, Betroffene auch für geringfügige Vergehen wie Ladendiebstahl in Einwanderungshaftzentren festzuhalten. Von dort sollen sie direkt und schnellstmöglich abgeschoben werden. Dabei muss die Schuld wegen des konkreten Delikts nicht unbedingt nachgewiesen sein. Ein Verdachtsmoment genügt, um eine Inhaftierung zu rechtfertigen.
Einwanderungszentren sind überlastet
Die Einwanderungshaftzentren sind eigentlich jetzt schon überlastet - und der Platzbedarf wird noch steigen. Auch zusätzliches Personal ist notwendig, kostet aber viel Geld. Offizielle Pläne hat die Regierung bislang nicht bekanntgegeben, doch die Washington Post beruft sich auf ein internes Dokument, demzufolge die Einwanderungsbehörde ICE ihre Kapazitäten massiv erweitern will. Auch militärische Einrichtungen könnten demnach als Haftzentren genutzt werden.
Die Einwanderungsbehörde ICE darf zudem künftig auch an sensiblen Orten wie Kirchen, Schulen und Krankenhäusern Migranten ohne gültige Papiere festnehmen. Das war ihr seit 2011 verboten und wurde unter der Regierung des nun abgetretenen US-Präsidenten Joe Biden weiter eingeschränkt. Medienberichten zufolge hat die Trump-Regierung auch großangelegte Abschiebe-Razzien unter dem Namen „Operation Safeguard“ in mehreren Städten geplant - an welchen Orten genau, ist nicht bekannt. (mit dpa)
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