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USA: Hüne im Hoodie: John Fetterman ist US-Präsident Bidens Hoffnung

John Fetterman ist so etwas wie ein Politk-Rockstar. Er trägt Kapuzenpulli und Jeans, grölt auf der Bühne. Auf seinen Unterarm hat er sich die Sterbedaten der neun Mordopfer während seiner Amtszeit als Bürgermeister tätowieren lassen.
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Hüne im Hoodie: John Fetterman ist US-Präsident Bidens Hoffnung

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    Der örtliche Abgeordnete hat gesprochen. Der Bürgermeister auch. Und die Ehefrau des Kandidaten. Nun müsste der Hauptredner an der Reihe sein. Doch wenn man es nicht besser wüsste, könnte man den 2,06 Meter großen Kerl, der auf die Bühne der Messehalle eilt, glatt für einen Roadie beim letzten Soundcheck vor einem Heavy-Metal-Konzert halten.

    „Wooooo sind wir?“, ruft der Kahlkopf mit Kinnbart ins Mikrofon. „York!“, grölt die Menge zurück. „Meine Heimatstadt!“, strahlt der Hüne. Über seiner Jeans trägt er einen schlabbrigen Kapuzenpulli, dessen hochgeschobene Ärmel zwei große Tattoos auf den Unterarmen freilegen. „Meine Alten sind hier: Hallo Mom und Dad!“, fährt der 53-Jährige fort: „Sie leben noch in dem Haus, in dem ich aufwuchs.“

    Der Guardian nannte ihn einst den "coolsten Bürgermeister von Amerika"

    Spätestens jetzt dürfte jedem klar sein: Der Mann, dessen Namen in riesigen Lettern auf dem schwarzen Tour-Bus hinter dem Podium prangt, ist kein gewöhnlicher Senats-Kandidat. John Fetterman, den der britische Guardian einst den „coolsten Bürgermeister von Amerika“ nannte, hat eher das Auftreten eines Polit-Rockers.

    Und das, obwohl der derzeitige Vize-Gouverneur von Pennsylvania im Mai von einem Schlaganfall buchstäblich aus der Bahn geworfen worden war. Vor ein paar Wochen ist er wieder durchgestartet und gilt als Hoffnungsträger der Demokraten im schwierigen Rostgürtel der USA.

    Der Sieg in Pennsylvania wäre auch ein bundesweites Signal

    Das Senatsrennen in Pennsylvania ist einer der wichtigsten Schauplätze der Zwischenwahlen am 8. November. Hier haben die Demokraten nämlich die seltene Chance, einen bislang republikanischen Sitz hinzuzugewinnen und damit ihre hauchdünne Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer zu festigen. Ein Sieg in dem Bundesstaat im Nordosten der USA wäre auch ein landesweites Signal. „Die Wahl hier wird zeigen, wie die Stimmung im Land vor der Präsidentschaftskampagne 2024 ist“, glaubt der Politikwissenschaftler Christopher Borick, der am Muhlenberg College in Allentown eine Autostunde nördlich von Philadelphia lehrt.

    Es geht um verdammt viel in Pennsylvania: die Mehrheit im Senat. Die Zurückweisung eines halbseidenen republikanischen Kandidaten, der von Donald Trump installiert wurde. Und um den Nachweis, dass die Partei von Präsident Joe Biden bei der traditionellen Arbeiterschaft verlorenen Boden gutmachen kann.

    Wenn man vom südlichen Nachbarstaat Maryland kommt und durch die hügelige Landschaft zum Örtchen York mit seiner großen Papierfabrik fährt, bekommt man einen Eindruck von der Herausforderung: Auf vielen Grundstücken flattern vergilbte Trump-Flaggen. Außerhalb von Philadelphia und Pittsburgh dominieren hier die Republikaner. Mit einer knappen Mehrheit von 44.000 Stimmen hat sich Trump 2016 gegen Hillary Clinton den Bundesstaat gesichert, der so viel Einwohner wie Bayern hat. 2020 siegte Biden mit 81.000 Stimmen Vorsprung.

    Der Trucker ist überzeugt: "Fetterman kann eine Menge für uns tun."

    Wer im Rahmen der Midterms 2022 die Senatswahl in Pennsylvania gewinnen will, muss Wähler wie Morris Schrum von sich überzeugen – einen Trucker mit Dreitagebart, kariertem Flanellhemd und Händen wie Pranken. Der 42-Jährige ist mit seiner Frau Diane zur Kundgebung in York gekommen. Parteipolitisch ist der als „Unabhängiger“ registrierte Wähler nicht gebunden. Doch von dem Mann auf der Bühne zeigt er sich begeistert. „Fetterman ist total bodenständig. Der kann eine Menge für uns tun.“

    Der Kandidat will den Mindestlohn anheben, die Waffengesetze verschärfen und für eine Abschaffung der Filibuster-Regel kämpfen, die einfache Mehrheitsentscheidungen im Senat unmöglich macht. Morris ist wichtig, dass Fetterman für eine Legalisierung von Marihuana eintritt. Und der republikanische Kandidat? Diane Schrum kann kaum an sich halten: „Der ist gar nicht von hier. Er lügt. Er ist ein Witz!“

    Das klingt ein bisschen einfach. Aber ganz falsch ist es nicht. Der von Trump unterstützte US-Türke Mehmet Oz ist vielen Amerikanern vor allem durch die 13 Staffeln seiner „Dr. Oz Show“ bekannt, in denen er Medizintipps gab, die Experten oft anzweifelten, ihm aber viel Geld einbrachten. Der gelernte Kardiologe warnte vor Handys, die angeblich Brustkrebs auslösen, verkaufte Kaffee-Wunderpillen und fragwürdige Diät-Mittelchen und pries Hydroxychloroquin als Corona-Therapeutikum an, womit er den damaligen Präsidenten Trump nachhaltig beeindruckte.

    Trucker Morris Schrum und seine Frau Diane sind Fetterman-Fans.
    Trucker Morris Schrum und seine Frau Diane sind Fetterman-Fans. Foto: Karl Doemens

    Mit seinem auf bis zu 500 Millionen Dollar geschätzten Vermögen wäre Oz im Falle seiner Wahl einer der reichsten Senatoren. Laut Medienberichten wohnt er gar nicht in Pennsylvania, sondern im Nachbarstaat New Jersey. Als er ein Fernsehteam mit zum Einkaufen nahm, um die Teuerung von Lebensmitteln zu skandalisieren, verwechselte er den Namen des Supermarkts und erklärte vor der Gemüsetheke hochgestochen, seine Frau wolle „Crudités“ zubereiten, also Dips mit Rohkost-Streifen, die normale Amerikaner schlicht „veggies“ nennen.

    „Oz hat ein Problem“, urteilt Professor Borick: „Die Leute mögen ihn nicht. Sie trauen ihm nicht. Sie halten ihn für einen Scharlatan.“ Tatsächlich lag Fetterman im Sommer in Umfragen acht Prozentpunkte vor dem Republikaner. Inzwischen ist sein Vorsprung auf drei Punkte geschrumpft. Ältere Beobachter erinnern sich an 2016, als die lange favorisierte demokratische Kandidatin auf den letzten Metern von einem Republikaner geschlagen wurde.

    Die Gründe für die Umfrageflaute sind nicht einfach zu benennen. Grundsätzlich machen die hartnäckige Inflation und die hohen Benzinpreise den Demokraten zu schaffen. Experte Borick glaubt zudem, dass der Hoodie-Politiker Fetterman eine „ziemlich einzigartige politische Marke“ geschaffen habe, die neben Chancen auch Risiken berge. Einerseits öffne er für die Demokraten Türen ins klassische Arbeitermilieu. Andererseits könnte sein linkes Profil auch zur Belastung werden.

    Die Sterbedaten der Mordopfer hat er sich tätowieren lassen

    Diese potenzielle Verwundbarkeit versucht die Oz-Kampagne mit einem regelrechten Bombardement von Fernsehspots auszunutzen, in denen Fetterman als nachgiebig gegenüber der Kriminalität oder stiller Verbündeter des Verbrechens dargestellt wird. Aufhänger sind mal sein Eintreten für die Legalisierung von Cannabis und mal die Begnadigungen von lebenslänglich Verurteilten mit guter Führung nach 25 Jahren Haft, die Fetterman als Vize-Gouverneur unterstützte. Rechte Spendenfonds von außerhalb des Bundesstaats haben Oz allein im September mehr als 20 Millionen Dollar für seine Kampagne überwiesen. „Die Negativ-Anzeigen sind allgegenwärtig“, beobachtet Borick: „Und Oz wird mit ihnen weiter auf Fetterman einhämmern.“

    Tatsächlich stützt Fettermans Lebenslauf die Unterstellungen nicht. In seinen 13 Jahren als Bürgermeister kämpfte er für die Revitalisierung der heruntergekommenen, überwiegend schwarzen Stahlstadt Braddock und – anfangs mit Erfolg – die Eindämmung der Kriminalität. Die Sterbedaten der neun Mordopfer während seiner Amtszeit ließ er sich als permanente Mahnung auf den rechten Arm tätowieren. Trotzdem scheint ihm die Oz-Kampagne teils zu schaden. „Die Unterstützung für Fetterman nimmt ab, je älter die Leute werden“, hat Borick herausgefunden.

    In der heißen Phase des Wahlkampfes kommt nun noch ein weiteres Thema hinzu, das den Demokraten Punkte kosten könnte: Fettermans Schlaganfall vor fünf Monaten. Zwar hat er sich äußerlich weitgehend erholt. Doch macht ihm das Hören und Aussprechen bestimmter Wörter Probleme. Länger fiel das kaum auf, weil er seine Kampagne weitgehend im Netz vorantrieb. Doch je massiver er nun in die Öffentlichkeit drängt, desto weniger lassen sich die Schwächen verbergen.

    Fetterman nimmt den eigenen Schlaganfall als Aufhänger für das politische Thema Gesundheitsversorgung

    In York redet Fetterman vor mehr als 800 begeisterten Anhängern eine Viertelstunde lang ohne größere Versprecher. „Ich bin sicher: Sie alle wissen, dass ich einen Schlaganfall hatte. Wer von Ihnen hatte auch schon mal ein ernstes medizinisches Problem?“ Viele Hände gehen nach oben. „Eine gute Gesundheitsversorgung hat mir das Leben gerettet“, wendet er das persönliche Schicksal ins Politische: „Sie verdienen dieselben Chancen. Deshalb werde ich dafür kämpfen, dass die Krankenversicherung ausgeweitet wird.“

    Die eigene Erfahrung verleiht dem Wahlkampf wichtige Glaubwürdigkeit und Authentizität. Doch John Fetterman ahnt wohl, dass zugleich Zweifel an seiner vollen Arbeitsfähigkeit und Belastbarkeit bleiben. Im Januar, wenn die neue Sitzungsperiode beginnt, „wird es mir viel besser gehen“, ruft er kämpferisch in den Saal: „Aber Doktor Oz wird immer noch ein Schwindler sein.“ Da jubelt die Menge.

    Cathy Hess (links) und ihre Freundin Amanda Mitties halten den Schlaganfall des Kandidaten für kein Problem.
    Cathy Hess (links) und ihre Freundin Amanda Mitties halten den Schlaganfall des Kandidaten für kein Problem. Foto: Karl Doemens

    Auch Amanda Mitties und Cathy Hess im Publikum sind überzeugt. Die beiden Freundinnen wollen Fetterman in knapp drei Wochen ihre Stimme geben. „Er versteht uns und unsere Probleme“, glaubt Mitties. Ganz anders als der Fernseharzt Oz: „Wir brauchen keinen weiteren Millionär im Kongress in Washington“, erklärt Hess. Und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Demokraten? „Das wird sich geben“, wiegelt die Frau ab, deren T-Shirt mit einem Zitat des Bürgerrechtlers Martin Luther King zum Kampf gegen die Ungerechtigkeit in der Welt aufruft: „Das macht mir gar keine Sorgen.“

    Rund 150 Kilometer weiter nordöstlich ist sich Uni-Professor Borick nicht ganz so sicher: „Die Krankheit macht ein Rennen voller Dramen noch komplizierter.“ Für viele Menschen werde Fetterman dadurch menschlicher. „Aber es könnte sein, dass sich am Ende doch ein paar Wähler verunsichert fragen, ob er den Job wirklich ausfüllen kann.“ Eine Wette auf den Wahlausgang will der Experte nicht abschließen. Auf jeden Fall, sagt er voraus, werde die Abstimmung in Pennsylvania „sehr, sehr knapp“ ausgehen.

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