Donald Trump hatte das New Yorker Strafgericht noch nicht verlassen, als er auf seiner Propagandaplattform "Truth Social" eine neue Kampagne startete. "Breaking News", meldete er in eigener Sache: "Ich bin ein politischer Gefangener." Er brauche jetzt dringend zehn Millionen "Patrioten", die für ihn spenden. Der Aufruf blieb offenbar nicht ungehört. Kurz darauf brach die republikanische Spendenseite zusammen.
Drinnen im Gerichtssaal 1530 war es am Donnerstagnachmittag nicht ganz so gut für den Ex-Präsidenten gelaufen. Richter Juan Merchan wollte die Anwesenden am Ende des zweiten Tages der Geschworenenberatung gerade nach Hause schicken, als er überraschend eine Nachricht erhielt. "Es gibt ein Urteil", verkündete er um 16.20 Uhr. Nach Berichten von Augenzeugen schwand die gute Laune auf den Gesichtern der Trump-Verteidiger: Eine lange Beratung der Jury hätte auf Uneinigkeit hingedeutet und die Möglichkeit eines Scheiterns des Prozesses erhöht. Ein schnelles Urteil galt als böses Omen.
Das sollte sich eine halbe Stunde später bestätigen. Der frühere Präsident war in dem Prozess um die Schweigegeldzahlung an die Pornodarstellerin Stormy Daniels in 34 Punkten angeklagt, was damit zusammenhängt, dass jeder Scheck, mit dem er seinem damaligen Anwalt Michael Cohen jene legendären 130.000 Dollar stückweise zurückzahlte, einzeln gezählt wird. 34-mal also mussten die zwölf Geschworenen entscheiden und sich einig sein. Tatsächlich lautete die Antwort jedes Mal: "schuldig".
Donald Trump ist der erste US-Präsident der Geschichte, der verurteilt worden ist
Im Verhandlungssaal, in dem weder Fernsehkameras noch Handys erlaubt sind, sei es für einen Moment merkwürdig ruhig gewesen, berichteten Anwesende anschließend. Auch mancher Moderator eines großen Fernsehsenders schien erst einmal zu schlucken: Zum ersten Mal in der 250-jährigen Geschichte der USA ist ein ehemaliger Präsident als Straftäter verurteilt worden.
Fast acht Jahre liegen die Ereignisse, um die es in dem Prozess ging, bereits zurück. Vor mehr als einem Jahr wurde die Anklage eröffnet. Trump hatte in der heißen Phase des Wahlkampfes 2016 über seinen "Fixer" Cohen 130.000 Dollar an Stormy Daniels zahlen lassen, damit diese ihre frühere Affäre mit dem Milliardär nicht öffentlich machte. Das ist nicht verboten. Die Anklage unter Leitung des New Yorker Bezirksstaatsanwalts Alvin Bragg hatte Trump aber vorgeworfen, die Zahlung in seinen Geschäftsunterlagen bewusst falsch als "Anwaltskosten" verbucht zu haben, um damit die Transparenzvorschriften zur Wahlkampffinanzierung zu umgehen.
Urteil gegen Donald Trump: Die Geschworenen entscheiden einstimmig
Das ist juristisch ziemlich schwere und noch dazu unerprobte Kost. Die zwölf Geschworenen, die nach dem Zufallsprinzip aus der Bevölkerung von Manhattan ausgewählt worden waren, hatten in den 20 Prozesstagen zwei Dutzend Zeugenaussagen und am Ende ein mehr als vierstündiges Plädoyer der Anklage verarbeiten müssen. Zwischenzeitlich glaubten professionelle Auguren, einen Juror als Wackelkandidaten ausgemacht zu haben, der öfter freundlichen Augenkontakt mit dem Mann auf der Anklagebank aufnahm. Manch einer tippte deshalb, dass der an Einstimmigkeit gebundene Prozess scheitern würde. Doch am 30. Mai 2024 um 17.10 Uhr Ortszeit bestand kein Zweifel mehr: Das Urteil war verkündet.
Entsprechend aufgeräumt wirkte Alvin Bragg anderthalb Stunden später bei einer eilig angesetzten Pressekonferenz. Der erste schwarze Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, ein eingetragener Demokrat, vermied jedes Triumphgehabe. Doch dürfte er sich an die verbreitete Skepsis über seine juristische Theorie erinnert haben und an die Tatsache, dass ausgerechnet der eher marginal wirkende Schweigegeldfall als Erster verhandelt wurde, während der schwergewichtige Putsch-Prozess nicht in die Gänge kommt, als er seinem "phänomenalen Team" dankte. Er habe, betonte der 50-Jährige, "nur meinen Job" gemacht: "Ich bin den Fakten und dem Gesetz gefolgt – ohne Angst und Gefälligkeiten."
Das war unmissverständlich an die Adresse von Trump gerichtet, der während der Verhandlungspausen regelmäßig gegen den "korrupten" Staatsanwalt, den "parteiischen" Richter und den "Tyrannen" Joe Biden gewettert hatte, die angeblich eine politische Verfolgung inszenierten. Auch nach der Urteilsverkündung trat der Ex-Präsident vor die Kameras. Er rasselte seine übliche Suada herunter und erklärte: "Das wirkliche Urteil wird im November gefällt." Doch ein bisschen wirkte der frisch Verurteilte, der eine blaue Krawatte zum dunkelblauen Anzug trug, wie auf Autopilot. Sein Anwalt hat bereits Berufung angekündigt.
Was bedeutet das Urteil gegen Trump für die US-Wahl?
Kurz nach der Urteilsverkündung brauste Trump mit einer Kolonne in einem schwarzen SUV den FDR Drive am East River entlang gen Norden zu seinem Wolkenkratzer an der Fifth Avenue. Er könne auf dieser berühmten Einkaufsstraße im Herzen Manhattans einen Menschen erschießen, ohne dass ihm das schaden würde, hatte der Immobilienmogul einst geprahlt. Nun hatte ihn zumindest die Justiz zum ersten Mal zur Verantwortung gezogen. Welche politische Auswirkungen das haben wird, steht derweil auf einem anderen Blatt.
Zunächst mal kann sich Trump weiter frei bewegen. Er kann trotz Vorstrafe auch für das Präsidentenamt kandidieren, was er im November tun will, und in seinem neuen Heimatstaat Florida auch aktiv wählen. Mitte Juli soll der 77-Jährige bei den Conventions der Republikaner in Milwaukee offiziell als Herausforderer von Joe Biden gekrönt werden. Wenige Tage zuvor, am 11. Juli, will Richter Merchan das Strafmaß verkünden.
Theoretisch drohen Trump dann bis zu vier Jahre Haft. Es gibt schon Planspiele, wie die Personenschützer vom Secret Service in einem solchen Fall im Gefängnis untergebracht werden könnten. Es wäre ein eigentlich unfassbarer Vorgang. Viele Beobachter glauben, dass Richter Merchan aus politischen und logistischen Gründen von einer Haftstrafe absehen könnte. Aber sicher ist das nicht.
Das bereits angekündigte Berufungsverfahren gegen das Urteil kann Monate oder sogar länger als ein Jahr dauern. So lange bleibt die Strafe üblicherweise ausgesetzt. Selbst wenn sich Richter Merchan also für eine drakonische Sanktion entscheidet, wird diese sicher nicht vor der Wahl fallen.
Die große Frage ist nun, wie sich die Verurteilung auf den amerikanischen Wahlkampf auswirken wird. "Trump wird noch tiefer in zwanghafte Wut und Selbstmitleid versinken", glaubt David Axelrod, der einst als Berater und Spindoktor für Präsident Barack Obama arbeitete. Die Prognose ist angesichts der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur des Republikaners nicht allzu gewagt. Am Donnerstagabend steigerte er sich bei "Truth" in immer wütendere Ausfälle hinein. Teilweise ist das aber auch bewusst geplant, um die eigenen Anhänger anzustacheln und aufzuwühlen.
"Von Trump: Die Hölle ist aufgebrochen", hieß es beispielsweise in einer SMS, die Trumps Kampagne kurz nach dem Urteil verschickte. Darin beklagt sich der Ex-Präsident erneut, ein politischer Gefangener zu sein, und wiegelt seine Fans auf: "Unsere unmittelbare Reaktion muss so massiv sein, dass sie in die Geschichte eingeht. Wir müssen dafür sorgen, dass Joe Biden bereut, uns verfolgt zu haben." Das klingt beunruhigend wie ein Tweet vom Dezember 2020, in dem Trump zum Protest vor dem Kapitol aufrief: "Seid da. Es wird wild!" Ein paar Wochen später kam es zum Kapitol-Sturm.
Demokraten und Republikaner schauen sehr unterschiedlich auf den Prozess
Die Versuchung für die Demokraten, darauf einzugehen und das kriminelle Verhalten von Trump ins Zentrum ihrer Kampagne zu stellen, dürfte verständlicherweise groß sein. Ex-Obama-Berater Axelrod hält diese Strategie gleichwohl für falsch. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass das öffentliche Interesse an dem Prozess deutlich geringer war als erwartet. Nach dem Urteil scharten sich führende Republikaner demonstrativ um ihren Partei-Paten. Mike Johnson, als Sprecher des Repräsentantenhauses immerhin die Nummer drei des amerikanischen Staates, postete bei X (ehemals Twitter) ernsthaft: "Das Urteil in New York ist eine absolute Farce, die unser Rechtssystem zum Gespött macht."
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich überzeugte Republikaner nach der Verurteilung nun von Trump abwenden, ist gering. Im Gegenteil könnten sie den Rechtspopulisten nun noch engagierter unterstützen, der ihnen einredet, er werde an ihrer Stelle von finsteren Kräften verfolgt. Nachdenklich könnten höchstens Wechselwähler werden, die mutmaßlich aber genug von dem ganzen Trump-Theater haben.
"Die richtige Strategie für Biden wäre, sich stärker den alltäglichen Sorgen der Menschen zuzuwenden", riet daher Axelrod bei X: "Die Menschen wollen einen Präsidenten, der davon besessen ist, ihre Probleme zu lösen, nicht seine eigenen."
Am Donnerstagabend schien es, als wolle Joe Biden tatsächlich dieser Linie folgen. "Wir respektieren die Herrschaft des Gesetzes", ließ er einen Sprecher des Weißen Hauses knapp erklären: "Ansonsten haben wir keinen weiteren Kommentar."