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USA: Drama im Kapitol ist Symbol der tiefen Spaltung in den USA

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Drama im Kapitol ist Symbol der tiefen Spaltung in den USA

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    Verstörende Bilder, die bis heute nachwirken. Ein gewaltbereiter Mob greift Sicherheitskräfte vor dem Kapitol in Washington an, um in das Gebäude zu gelangen.
    Verstörende Bilder, die bis heute nachwirken. Ein gewaltbereiter Mob greift Sicherheitskräfte vor dem Kapitol in Washington an, um in das Gebäude zu gelangen. Foto: John Minchillo, dpa

    Der dramatische Weckruf kam gleich in der ersten Woche des neuen Jahres: Gewaltsam drang am 6. Januar ein wilder Mob von mehreren hundert Protestlern in das Washingtoner Kapitol ein, schändete das Allerheiligste der stolzen amerikanischen Demokratie und machte mit Baseballschlägern und Elektroschockern Jagd auf die Kongressmitglieder und den Vizepräsidenten, die das Wahlergebnis zertifizieren wollten. Drastischer hätte kein Hollywood-Regisseur illustrieren können, wohin vier Jahre der Polarisierung und Hetze unter Donald Trump die USA geführt haben.

    Bidens Versprechen: Politik muss kein "wütendes Feuer" sein

    Die Spuren des Umsturzversuches, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen und 138 Polizeibeamte verletzt wurden, waren erst notdürftig beseitigt, als sich Joe Biden zwei Wochen später zur Amtseinführung von der Freitreppe des Parlaments an die Bevölkerung wandte. „Politik muss kein wütendes Feuer sein, das alles auf seinem Weg zerstört“, mahnte der 78-Jährige: „Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss einen totalen Krieg auslösen.“ Er versprach: „Ich werde der Präsident aller Amerikaner sein.“

    Ein Ende des täglichen Twitter-Bombardements aus dem Weißen Haus, eine Senkung des gesellschaftlichen Fiebers und die Verkleinerung der politischen Gräben – das war es, was sich viele Amerikaner für 2021 erhofften. Mit Biden hatten sie bewusst einen Mann des Ausgleichs und der Versöhnung mit jahrzehntelanger Erfahrung als Senator und Vizepräsident gewählt. Beachtliche 55 Prozent zeigten sich mit seinem Start zufrieden.

    Doch am Ende dieses bewegten Jahres ist von Aufbruchstimmung wenig übrig geblieben. Nur noch 42 Prozent der Befragten beurteilen bei Umfragen ihren Präsidenten positiv. Fast zwei Drittel finden, dass ihr Land auf dem falschen Kurs steuert. Gäbe es in diesem Dezember eine Direktwahl mit den Kandidaten Biden und Trump auf dem Zettel, dann läge der aktuelle Präsident der USA nur noch ganz knapp vor seinem höchst umstrittenen Vorgänger .

    Will er zurück ins Weiße Haus? Der frühere US-Präsident Donald Trump hat noch immer viele Anhänger im Land, die ihm auch seine Rolle beim Sturm auf das Kapital nicht übelnehmen.
    Will er zurück ins Weiße Haus? Der frühere US-Präsident Donald Trump hat noch immer viele Anhänger im Land, die ihm auch seine Rolle beim Sturm auf das Kapital nicht übelnehmen. Foto: Evan Vucci, AP, dpa

    Es sind vor allem fünf Entwicklungen, die die vergangenen zwölf Monate in Amerika geprägt haben: Da ist zunächst die Corona-Pandemie, deren Bekämpfung sich als deutlich schwieriger erwies als erwartet. Dann die wirtschaftliche Erholung, die inzwischen weitgehend von Lieferengpässen, einer heftigen Inflation und hohen Benzinpreisen überschattet wird. Der chaotische Afghanistan-Abzug beschädigte Bidens Image als solider Polit-Profi nachhaltig, während die anhaltende Kampagne zur Diskreditierung der Wahlen seine Autorität und das Vertrauen in die Demokratie untergräbt. In den vergangenen Wochen hat dann der vor dem Supreme Court ausgetragene Streit über die Abtreibung das Land weiter erhitzt.

    Während die Republikaner alle diese Themen geschickt in ihren rechten Kulturkampf einbinden, wirken die Demokraten oft defensiv. Beim endlosen Ringen um die billionenschweren Investitionspakete des Präsidenten nervten sie zudem die Öffentlichkeit mit ihren Flügelkämpfen. Die gewaltigen Finanzspritzen in die marode Infrastruktur und das unterentwickelte Sozialsystem der USA sollten eigentlich zum Markenzeichen einer pragmatischen, überparteilichen Politik von Biden werden. Nach zähen Verhandlungen konnte der Präsident Ende Juni tatsächlich eine Einigung mit einer Gruppe moderater republikanischer Senatoren über ein Ausgabenpaket für Straßen, Schienen und Stromnetze verkünden. „Wir arbeiten über Parteigrenzen zusammen“, strahlte Biden, als er mit den Ex-Kollegen vor die Kameras trat: „Das erinnert mich an die Tage, als wir viel hinbekommen haben im Kongress.“

    Bidens hauchdünne politische Mehrheit dürfte 2022 kippen

    Die Erinnerung sollte bald verblassen. Zwar billigte eine breite Mehrheit im Senat das Infrastrukturgesetz. Doch im Repräsentantenhaus trauten sich gerade noch 13 von 213 Republikanern mit „Ja“ zu stimmen. Sie werden nun von ihrer Partei gemobbt und gemaßregelt.

    Beim Sozial- und Klimapaket haben die Republikaner komplett auf Blockade geschaltet. Sie verhindern auch eine Einwanderungsreform, eine Anhebung des nationalen Mindestlohns und das dringend erforderliche Bundesgesetz zum Schutz der Wahlen. Derweil ist Biden ganz damit beschäftigt, die hauchdünne Mehrheit seiner eigenen Partei zusammenzuhalten, die bei den Kongresswahlen im kommenden Jahr endgültig kippen dürfte.

    Die Republikaner bereiten sich schon auf die nächste Präsidentschaftswahl vor

    Im Rückblick erscheint der Nationalfeiertag am 4. Juli als ein Wendepunkt des Jahres. Es war ein warmer Sommerabend in Washington, und Joe Biden hatte mehr als tausend Gäste zu einem fröhlichen Fest mit Barbecue und Luftballons in den Garten des Weißen Hauses geladen. Die Corona-Neuinfektionszahlen waren auf einen Tages-Tiefstwert von 10.000 gefallen, die Wirtschaft lief, die Umfragen waren gut, das überparteiliche Infrastrukturpaket in der Mache. „Wenn wir uns um eine gemeinsame Sache scharen, wenn wir uns nicht als Republikaner und Demokraten sehen, sondern als Amerikaner, dann gibt es einfach keine Grenzen für das, was wir erreichen können“, frohlockte der Präsident.

    US-Präsident Joe Biden hat mit sinkenden Sympathiewerten zu kämpfen. Corona und die hohe Inflation trüben die Stimmung.
    US-Präsident Joe Biden hat mit sinkenden Sympathiewerten zu kämpfen. Corona und die hohe Inflation trüben die Stimmung. Foto: Carolyn Kaster, AP, dpa

    Ein schöner Gedanke. Ein knappes halbes Jahr später aber sind die USA davon denkbar weit entfernt: Die Infektionszahlen liegen wieder bei 100.000 pro Tag, die Inflation hat den Rekordwert von 6,2 Prozent erreicht und Bidens Zustimmungsrate ist auf 42 Prozent gesunken. Statt auf Zusammenarbeit setzen die Republikaner auf Konfrontation. Erschreckende 70 Prozent ihrer Wähler glauben immer noch, dass nicht Biden, sondern Trump die Wahl gewonnen hat. Ihre Politiker bereiten in den umkämpften Bundesstaaten durch eine Erschwerung des Zugangs zur Wahlurne und Manipulationen der Stimmbezirke alles vor, um ihre Mehrheit bei der nächsten Präsidentschaftswahl zu garantieren. Derweil verbreiten republikanische Abgeordnete in der Corona-Pandemie immer abstrusere Verschwörungslegenden und ihre Gouverneure torpedieren aus zynischem Kalkül jegliche Masken- und Impfvorschriften der Washingtoner Regierung.

    Interesse am Dialog mit Andersdenkenden ist in den USA auf Tiefstand

    Weder die unmittelbaren Gefahren für die Gesundheit durch das Virus noch die existenzielle Bedrohung der Demokratie durch den bewaffneten rechten Mob haben die Amerikaner in diesem Jahr zusammengeführt. Im Gegenteil: Nach einer Umfrage des renommierten Pew-Instituts halten inzwischen nur noch 39 Prozent von ihnen Diskussionen mit politisch Andersdenkenden für interessant. Die große Mehrheit der US-Bürger (59 Prozent) findet solche Gespräche bloß „stressig und frustrierend“.

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