Nur mühsam konnte Joe Biden seine Erregung beherrschen, als er am Donnerstagabend im diplomatischen Empfangsraum des Weißen Hauses kurzfristig vor die Kameras trat. Eigentlich gab es eine gute Nachricht: Die Affäre um die zeitweise in privaten Räumen gelagerten geheimen Regierungsunterlagen aus seiner Zeit als Vizepräsident wird kein juristisches Nachspiel haben. „Ich bin erfreut zu lesen, dass gegen mich keine Anklage erhoben wird“, sagte der amerikanische Präsident.
Innerlich freilich kochte der 81-Jährige über den Bericht des Sonderermittlers Robert Hur, der ihn als „wohlmeinenden älteren Mann mit schlechtem Gedächtnis“ charakterisiert und behauptet, Biden habe sich bei der Befragung nicht an die Dauer seiner Amtszeit und das Todesjahr seines Sohnes Beau erinnern können. „Wie zum Teufel kann er es wagen, das hier vorzubringen?“, brach es aus dem Präsidenten heraus, der in jungen Jahren seine erste Frau und eine Tochter bei einem Verkehrsunfall verlor und bis heute extrem unter dem Krebstod seines Lieblingssohnes leidet: „Das geht ihn gar nichts an!“ Mit stockender Stimme fügte er hinzu: „Ich brauche niemanden, der mich daran erinnert, wann er gestorben ist.“
Joe Biden war derart aufgebracht, dass seine Siegesbotschaft völlig unterging
Ein Damm war gebrochen, ein menschlich sehr verständlicher Trigger ausgelöst. Doch in dem folgenden lautstarken Hin und Her mit den Reportern zeigte sich Biden derart verletzt und angefasst, dass seine eigentliche Siegesbotschaft völlig unterging. Schlimmer noch: Ausgerechnet in der heiklen Frage seines hohen Alters vor einer möglichen zweiten Amtszeit, die in den USA seit Monaten ein Megathema ist, lieferte er seinen Kritikern unfreiwillig vernichtendes Anschauungsmaterial.
„Meine Erinnerung funktioniert gut“, hatte Biden zu Beginn der wilden Fragerunde einem Reporter des rechten Senders Fox News noch trotzig entgegengehalten und auf seine politischen Leistungen der vergangenen drei Jahre hingewiesen: „Wie konnte das nur passieren?“, setzte er sarkastisch hinzu: „Ich fürchte, das habe ich vergessen.“
Ein weiterer Fehler des Präsidenten macht es noch schlimmer
Das Lachen dürfte seinen Beratern schnell im Halse stecken geblieben sein, als der Präsident dann zunächst eine Journalistin scharf anging, immer weiter in die Defensive geriet und schließlich den verunglückten Auftritt nicht rasch beendete, sondern für eine Frage zum Nahostkrieg ans Mikrofon zurückkehrte. Inhaltlich präzise schilderte er dann zunächst die Lage in Gaza, sprach über den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ägyptischen Staatschef Abdel Fatah al-Sisi – doch bezeichnete er diesen als „Präsident von Mexiko“.
Das politische Desaster, das am Mittag mit der Veröffentlichung des 388-seitigen Berichts zur Dokumentenaffäre begonnen hatte, war perfekt: Biden hatte den Amerikanern demonstrieren wollen, dass er nicht der senile Tattergreis ist, als den ihn seine Gegner karikieren – und das Gegenteil erreicht. Ohnehin droht der Report im Wahlkampf verheerende Folgen zu haben. Er hält nämlich fest, dass Biden „absichtlich geheime Materialien“ in seinem Haus und seiner Garage aufbewahrte – mutmaßlich, um sie für seine Memoiren auszuwerten. Juristisch, so der Ermittler, solle das trotzdem keine Folgen haben – unter anderem deshalb, weil Bidens Erinnerung während der Befragung „signifikant eingeschränkt“ gewesen sei.
Ex-Präsident Donald Trump zeigte Regierungsdokumente stolz herum
Tatsächlich fand das fünfstündige Interview am 8. und 9. Oktober des vorigen Jahres statt, also unmittelbar nach dem Hamas-Überfall auf Israel, als Biden zuvor pausenlos mit anderen Regierungschefs konferiert hatte und entsprechend erschöpft gewesen sein dürfte. Doch das ändert nichts an der politischen Wirkung der Affäre, auch mit Blick auf das Verfahren gegen Ex-Präsident Donald Trump, der geheime Regierungsdokumente in seinem Anwesen Mar-a-Lago lagerte. Im Gegensatz zu Trump, der die Papiere stolz herumzeigte und sie trotz mehrmaliger Aufforderung dem Nationalarchiv nicht zur Verfügung stellen wollte, handelte Biden mutmaßlich eher aus Schusseligkeit und kooperierte bereitwillig mit den Behörden. Trotzdem dürfte die Parallelität dem Trump-Prozess viel Wind aus den Segeln nehmen.
Politisch noch problematischer ist für Biden die Belebung der Altersdebatte. Zuletzt hatte der 81-Jährige bereits die Namen der deutschen Kanzler Helmut Kohl und Angela Merkel sowie der französischen Präsidenten François Mitterrand und Emmanuel Macron vertauscht. Die Republikaner schlachten jeden Versprecher in TV-Spots und Online-Posts, um Zweifel an der geistigen Zurechnungsfähigkeit des Präsidenten zu säen. „Die Pressekonferenz des Präsidenten bestätigt, was der Bericht des Sonderermittlers dargelegt hat“, ätzte Mike Johnson, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses: „Er ist für das Präsidentenamt untauglich.“