An Chaos und Drama mangelte es nicht. Erst legte Kevin McCarthy, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, eine atemberaubende Kehrtwende hin, dann löste ein Abgeordneter einen falschen Feueralarm aus und schließlich mussten Protokollbeamten eilig abwesende Senatoren heranschaffen. Doch am Ende, keine drei Stunden vor Ablauf der mitternächtlichen Frist in der Nacht zum Sonntag, war die unausweichlich scheinende Haushaltssperre in den USA abgewendet - jedenfalls bis Mitte November.
Die Spitzen von Republikanern und Demokraten zeigten sich zufrieden. "Ich möchte Teil der konservativen Gruppe sein, die etwas erreichen will", sagte ein strahlender McCarthy mit einem Seitenhieb auf die radikalen Trump-Anhänger in seinen Reihen. "Das amerikanische Volk hat gewonnen, die extremen MAGA-Republikaner haben verloren", erklärte Hakeem Jeffries, der Fraktionschef der Demokraten. Bei einem Shutdown hätten zwei Millionen Soldaten und 1,5 Millionen zivile Bundesbedienstete kein Gehalt mehr bekommen, und zahlreiche staatliche Leistungen wären auf Eis gelegt worden.
Übergangshaushalt beendet US-Haushaltsdebatte vorerst
Ein solcher Stillstand der Regierungsgeschäfte, wie es ihn zuletzt zum Jahreswechsel 2018/2019 gegeben hatte, ist nun fürs erste abgewendet. Möglich wurde das durch eine parteiübergreifende Einigung auf einen 45-tägigen Übergangshaushalt im Repräsentantenhaus. Dort verfügen die Republikaner über eine hauchdünne Mehrheit. Doch McCarthy hatte mehrfach vergeblich versucht, ein Budget mit den Stimmen seiner Fraktion zu verabschieden. Am Freitag hatten 21 ultrarechte Hardliner selbst gegen eine Vorlage gestimmt, die brutale Sozial-Kürzungen von bis zu 30 Prozent vorsah.
Überraschend wandte sich McCarthy in dieser Lage am Samstag den Demokraten zu und brachte einen 70-seitigen Übergangshaushalt ohne Einschnitte ein. Allerdings fehlen in dem Budget die von Präsident Joe Biden versprochenen 24 Milliarden Dollar neue Ukraine-Hilfen. Der New Yorker Demokraten-Abgeordnete Jamaal Bowman war offenbar so perplex, dass er den Feueralarm im Kapitol auslöste - mutmaßlich, um die Abstimmung in die Länge zu ziehen. Ihm droht ein Strafverfahren.
Unterstützung der Ukraine macht Shutdown-Debatte zur Zitterpartie
Nach kurzer Bedenkzeit stimmten die Demokraten dann geschlossen zu. Sie fürchteten den Vorwurf, die amerikanische Bevölkerung für die Ukraine-Unterstützung den Entbehrungen eines Regierungsstillstands auszusetzen. Von den anwesenden 217 Republikanern stimmten 91 mit "Nein". Anschließend musste noch der mehrheitlich demokratische Senat zustimmen, was sich wegen prozeduraler Hürden und der Abwesenheit einiger Politiker zu einer stundenlangen Zitterpartie entwickelte. Zugleich verzichtete die zweite Kammer auf ihren eigenen Gesetzesvorschlag, der sechs Milliarden Dollar Ukraine-Hilfen vorgesehen hätte.
Was der Haushaltskompromiss nun für die von Russland überfallene Ukraine bedeutet, war zunächst unklar. Das weiße Haus zeigte sich optimistisch, dass es zu Nachbesserungen kommen werde. Mehrere Senatoren erklärten, noch am Montag werde ein Zusatzartikel eingebracht, der die Hilfen enthalten soll. Auch Jeffries versicherte, diese Zusagen würden schnell nachgereicht: "Die Republikaner im Repräsentantenhaus haben in den nächsten Tagen die Wahl: Entweder sie stimmen für die Freiheit und das ukrainische Volk, oder sie gehen vor der Pro-Putin-Gruppe in ihrer Fraktion in die Knie", antwortete er auf eine Frage des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).
Kevin McCarthy bleibt ultrarechten Abgeordneten ausgeliefert
Allerdings dürfte sich an dem Grund-Dilemma der Republikaner nichts ändern: Ihr Vormann McCarthy hat keine eigene Mehrheit, weil mehr als ein Dutzend ultrarechte Fraktionsmitglieder eine reine Obstruktionspolitik betreiben, deren einziges Ziel die Profilierung vor der radikalen Basis im Kampf gegen den verhassten Staat ist. Diese Extremistentruppe droht ihm nun mit dem Sturz. Die Macht dazu hat sie, weil McCarthy für seine Wahl in 15 Wahlgängen weitreichende Zugeständnisse machen musste: Ein einzelner Abgeordneter kann jederzeit eine Vertrauensabstimmung über den Speaker erzwingen.
"Wenn jemand diesen Antrag einbringen will, soll er es machen", gab sich McCarthy am Samstag kämpferisch und lobte seine eigene Rolle: "Es muss einen Erwachsenen im Raum geben". Angesichts der Zahl der parteiinternen Abweichler könnte McCarthy ein solches Votum wohl nur überstehen, wenn zumindest einige Demokraten für ihn stimmen. Bisher schien das unwahrscheinlich. Doch in Washington wird nun geunkt, dass die Demokraten die Aussicht auf Unterstützung in den Verhandlungen einsetzen könnten, um erhebliche Zugeständnisse - etwa für die Ukraine - durchzusetzen.