Der wilde rechte Mob hatte die Absperrungen um das Kapitol überrannt und war gewaltsam in das Parlament eingedrungen, in dessen Nähe die Polizei zwei Rohrbomben fand. Verzweifelt riefen Agenten des Secret Service in ihrem vom Weißen Haus mitgehörten Funkverkehr um Hilfe und verabschiedeten sich in Todesangst von ihren Familien. Da endlich wandte sich Donald Trump mit einem Tweet an seine marodierenden Anhänger.
Der amerikanische Präsident hatte jenen 6. Januar 2021, an dem das Wahlergebnis des vorigen Novembers im Kongress offiziell bestätigt werden sollte, mit einer Rede vor dem Südgarten des Weißen Hauses begonnen, in der er die teils bewaffnete Menge aufforderte, zum Kapitol zu gehen und dort „wie der Teufel zu kämpfen“. Anschließend war er widerstrebend zurück in seinen Amtssitz gefahren worden, wo er am Kopfende eines Tisches seines Esszimmers sitzend von 13.25 Uhr bis 16 Uhr auf dem Fernsehen an der Wand die Live-Berichterstattung seines Senders Fox News über die Krawalle verfolgte.
Vergeblich drängten Mitarbeiter Trump, die Gewalt zu verurteilen
Vergeblich hatten ihn enge Mitarbeiter und Vertraute mehrfach gedrängt, die Gewalt zu verurteilen. Um 14.24 Uhr meldete er sich endlich bei Twitter. Doch seine Botschaft fiel verheerend aus. „Mike Pence hat nicht den Mut, das zu tun, was heute gemacht werden soll, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen“, beklagte er sich, dass sein Stellvertreter das Wahlergebnis nicht einfach für nichtig erklärte. Daraufhin wurde der Mob um das Kapitol richtig wütend. „Hängt Mike Pence!“, forderte die Meute.
„Das war das Letzte, was in diesem Moment angebracht war“, beschreibt Sarah Matthews, die in der Pressestelle des Weißen Hauses arbeitete, ihre damalige entsetzte Reaktion: „Er hat diesen Leuten grünes Licht gegeben.“ Das empfand Matt Pottinger, der Vize-Sicherheitsberater des Präsidenten, genauso: „Er hat noch Öl ins Feuer gegossen.“ In diesem Moment entschloss sich Pottinger zum Rücktritt.
Es waren hochdramatische, schicksalhafte Szenen, die der Untersuchungsausschuss des US-Kongresses am Donnerstag aus unzähligen Zeugenaussagen, Audiomitschnitten und sonstigen Dokumenten rekonstruierte. Für jene 187 Minuten, die zwischen dem Ende der morgendlichen Trump-Rede und einem Video-Aufruf des Präsidenten zur Beendigung des Kapitolsturms am Nachmittag verstrichen, gibt es nämlich keinerlei offizielle Protokolle. In seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause ließ das Gremium die Abläufe innerhalb des Weißen Hauses am 6. Januar beängstigend lebendig werden.
Die Sitzung ist das vorläufige Finale einer Reihe von öffentlichen Anhörungen des Gremiums, in denen Trump schwer belastet wurde. Die minutiöse Rekonstruktion, die am Donnerstagabend zur besten Sendezeit von allen großen US-Sendern außer dem rechten Fox News live übertragen wurde, zeigt: Trump saß während der drei Stunden ebenso fasziniert wie weitgehend untätig vor dem Fernseher. Er versuchte weder, seinen in Lebensgefahr schwebenden Stellvertreter Pence zu erreichen, noch rief er bei der Führung von Polizei oder Militär an. Stattdessen bearbeitete er per Handy Senatoren im Kongress, die Zertifizierung der Wahl weiter zu verzögern.
Erst seine Tochter Ivanka konnte Donald Trump umstimmen
Nur auf massives Drängen seiner Tochter Ivanka twitterte er später: „Bleibt friedlich!“ Zu diesem Zeitpunkt war die Gewalt am Kapitol längst außer Kontrolle geraten, Vize Pence befand sich mit seinen Personenschützern auf der Flucht, und selbst Fox News berichtete von einer „sehr gefährlichen Situation“. Es dauerte bis kurz nach 16 Uhr, dass Trump sich endlich zu einer Videobotschaft bereit erklärte. Der Ausschuss zeigte erstmals das Rohmaterial dieser Aufnahme. „Ich rufe Euch auf, das Gebiet des Kapitolhügels JETZT zu verlassen“, stand im Manuskript. Stattdessen fantasierte Trump weiter über den angeblichen Wahlbetrug und sagte seinen Anhängern: „Geht nach Hause. Wir lieben Euch. Ihr seid etwas ganz Besonderes.“
Noch am Morgen danach spann er jene Verschwörungslüge, mit der er den Mob aufgehetzt hatte, weiter. Seine Berater hatten eine weitere Videobotschaft vorbereitet, in der Trump sagen sollte, dass die Wahl nun gelaufen sei. Beim Ablesen vom Teleprompter stoppte der Präsident verärgert: „Ich will nicht sagen, dass die Wahl vorbei ist“, insistierte er.
Ausschussvorsitzender Thompson: "Er hat gelogen. Er schikanierte. Er verriet seinen Eid."
Der 6. Januar sei nicht etwa aus dem Ruder gelaufen, sondern von Trump bewusst inszeniert worden, schlussfolgerte deshalb der Ausschuss-Vorsitzende Bennie Thompson: „Er hat gelogen. Er schikanierte. Er verriet seinen Eid. Er hat versucht, unsere demokratischen Institutionen zu zerstören.“
Im September will die Kommission einen ersten Bericht vorlegen. Angesichts der erschütternden Zeugnisse dürfte der Druck auf Justizminister Merrick Garland wachsen, der politischen Aufarbeitung des Putschversuches eine juristische Anklage des Ex-Präsidenten folgen zu lassen.
Die Botschaft des Ausschusses ist klar. Immer wieder haben dessen Mitglieder und Zeugen in den Anhörungen deutlich gemacht: Die Gefahr für die Demokratie ist nicht gebannt. Es wird wieder Wahlen geben, Trump und seine Anhänger könnten es wieder versuchen – und dann haben sie aus ihren Fehlern von damals gelernt.
Ob die Anhörungen Trump am Ende schaden, lässt sich schwer sagen. Beobachter gehen davon aus, dass sie dazu geführt haben, dass die Unterstützung für Trump unter den Republikanern zumindest geringfügig nachgelassen hat. Eine ähnliche Sprache sprechen auch die Zahlen. Umfragen zufolge sinkt die Zahl der Parteianhänger, die sich wünschen, dass Trump bei der Präsidentenwahl 2024 noch einmal ins Rennen geht. In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Berichte, dass dieser seine Kandidatur möglicherweise vor den Kongresswahlen im Herbst ankündigen könnte.