Eigentlich hatte sich George Chidi den Dienstag freigehalten. Es war der Tag, an dem der freiberufliche Journalist in Atlanta vor Gericht über seine zufällige Begegnung mit einer Gruppe falscher Wahlleute im Dezember 2020 im Kapitol von Georgia aussagen sollte. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell. "Planänderung. Ich fahre heute zum Gericht. Sie machen mehr Tempo als erwartet", meldete er am Montagmittag bei X (Twitter).
Vor dem Saal, in dem die Bezirks-Staatsanwältin Fani Willis den Geschworenen ihre Anklage gegen Donald Trump vortrug, musste Chidi ein paar Stunden warten. Er postete seine Beobachtungen ("Der Kaffee ist gut") und plauderte mit dem ebenfalls als Zeugen vorgeladenen Ex-Vize-Gouverneur Geoff Duncan über das Wetter. Trump hatte Duncan am Vortag ausdrücklich gedroht: "Er sollte nicht aussagen". Doch Duncan ignorierte die Warnung, und Chidi ließ seine Kino-Tickets für "Oppenheimer" verfallen.
Die Anklage richtet sich gegen Trump und 18 weitere Personen
Der Einsatz lohnte sich: Gegen Mitternacht war die Anklage beschlossen und wurde veröffentlicht. Sie umfasst 98 Seiten und betrifft neben dem Ex-Präsidenten 18 weitere Personen aus seinem Umfeld - darunter seinen ehemaligen Anwalt Rudy Giuliani und seinen früheren Stabschef Mark Meadows. Ihnen allen wird vorgeworfen, sich "wissentlich und vorsätzlich an einer Verschwörung zur rechtswidrigen Änderung des Wahlergebnisses zugunsten von Trump" beteiligt zu haben: Sie hätten sich schlichtweg geweigert, "zu akzeptieren, dass Trump die Wahl verloren hatte".
Trump selbst werden 13 Gesetzesverstöße zur Last gelegt. Er soll unter anderem das Parlament und die Regierung von Georgia über wahrheitswidrig behauptete Unregelmäßigkeiten bei der Wahl belogen, die Ernennung falscher Wahlleute für die Entsendung nach Washington unterstützt, aufrechte Wahlhelfer diffamiert und den republikanischen Innenminister Brad Raffensperger zu einer Straftat gedrängt haben.
Von diesem wohl bekanntesten Vorfall der versuchten Wahlmanipulation existiert eine Tonaufnahme. Am 2. Januar 2021 rief Trump persönlich bei Raffensperger an. Die Stimmenauszählung hatte ergeben, dass er in Georgia 11.779 Stimmen hinter dem demokratischen Gegenkandidaten Joe Biden lag. "Was ich will, ist folgendes", sagte Trump damals: "Ich möchte nur 11.780 Stimmen finden." Raffensperger weigerte sich.
Für Trump eröffnet die Anklage in Georgia bereits das vierte Strafverfahren. In New York muss er sich wegen Falschbuchungen im Zusammenhang mit seiner Schweigegeldzahlung an die Porno-Darstellerin Stormy Daniels verantworten, in Florida wegen der beiseite geschafften geheimen Regierungsdokumente. Die Anklage in Washington, die von Bundes-Sonderermittler Jack Smith betrieben wird, bezieht sich wie die in Georgia auf Trumps Versuch, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 zu verfälschen und ohne demokratische Legitimation im Amt zu bleiben.
Die Klageschrift von Georgia schildert die Vorgänge äußerst präzise
Doch nicht nur ist die Klageschrift in Georgia doppelt so dick wie die von Smith, und aufgrund der regionalen Begrenzung wesentlich präziser in der Schilderung einzelner Vorfälle. Vor allem bezieht sie sich erstmals auf den sogenannten Rico Act, ein Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der es erlaubt, Verbrechen verschiedener Verschwörer zusammenzufassen. Trump und seine 18 Unterstützer werden behandelt wie ein Mafia-Boss und seine kriminelle Bande. Ihnen wird abgestimmte Erpressung und Verschwörung vorgeworfen. Darauf steht eine Mindeststrafe von fünf Jahren Haft.
Anders als in New York, Miami und Washington, wo Trump mit einer schwarzen Wagenkolonne wie ein Staatsmann bei Gericht anreiste, drinnen von den Medien abgeschirmt war, und sich anschließend bei Siegesfeiern in Restaurants oder Pressekonferenzen auf dem Flughafen als verfolgte Unschuld präsentieren konnte, sind die Verfahren in Georgia grundsätzlich öffentlich. Die Geschworenen haben dem Ex-Präsidenten bis 25. August Zeit gegeben, sich bei dem Gericht in Atlanta einzufinden. Die Anklageeröffnung wird mit Publikum erfolgen und wohl im Fernsehen übertragen. Auch ein "Mug Shot", ein Fahndungsfoto, soll gemacht werden.
Trump wütet auf seiner Plattform Truth Social über die "Hexenjagd"
Wenig überraschend wütete Trump auf seiner Plattform Truth Social über die "Hexenjagd" und kündigte für Montag eine Pressekonferenz an, bei der er einen "unwiderlegbaren Bericht" über die angeblichen Wahlmanipulationen in Georgia präsentieren will.
Gleichzeitig versucht er, das neue Verfahren zur Spendenwerbung zu nutzen. Kurz nach der Veröffentlichung der Anklageschrift versandte er einen Bettelbrief und behauptete, die Demokraten versuchten mit juristischen Mitteln, den gefährlichsten Herausforderer von Joe Biden bei den Präsidentschaftswahlen auszuschalten. "Das ist Verrat am Vertrauen des amerikanischen Volkes", so heißt es in dem Brief.