Der Gouverneur sprach mit ernster Miene. "Wenn Menschen um ihr Leben und ihre Lebensgrundlage kämpfen, wenn sie alles verloren haben, dann muss man die Politik beiseiteschieben", mahnte Ron DeSantis, nachdem Hurrikan "Ian" über den Bundesstaat Florida gezogen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatte. Selbstverständlich forderte der Republikaner umfassende Katastrophenhilfen aus Washington: "Wir müssen alle zusammenarbeiten, ohne Rücksicht auf Parteigrenzen."
Das waren ungewohnte Töne von einem Mann, der seine Anhänger sonst schon einmal zum Schlachtruf "Let's go, Brandon!" anstachelt - ein bei den amerikanischen Rechten beliebter Code für "Fuck you, Biden!" - und als Kongressabgeordneter vor neun Jahren nach dem katastrophalen Hurrikan "Sandy" dringend benötigte Bundesgelder für die überflutete Millionenmetropole New York verweigerte.
Den Staatsmann gab Ron DeSantis nur für kurze Zeit
Die Pose des Staatsmanns, der in der Stunde der Not das Allgemeinwohl über ideologische Differenzen stellt, hielt denn auch nicht lange. Kaum waren die Wassermassen aus den Straßen von Fort Myers abgelaufen und vier Plünderer in den Ruinen der Stadt von der Polizei gefasst worden, skandalisierte DeSantis bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz, dass drei der mutmaßlichen Täter Migranten seien: "Das sind Fremde, die illegal in diesem Land sind und nicht hier sein sollen", wetterte er: "Die nutzen ein nationales Desaster zum Plündern."
Das klang schon eher nach jenem Rechtspopulisten, den viele Amerikaner entweder mit wachsender Sorge oder Hoffnung als potenziellen Herausforderer von Amtsinhaber Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl 2024 sehen. Lange galt Donald Trump als gesetzter Bewerber der Republikaner, sofern der 76-Jährige denn noch einmal antritt. Doch angesichts der juristischen Probleme des Ex-Präsidenten und steigender Umfragewerte des eine Generation jüngeren Gouverneurs wird immer öfter über eine mögliche Kampfkandidatur von DeSantis spekuliert. Der 44-Jährige schließt solche Ambitionen ausdrücklich nicht aus. Dass er bei den Midterms, den Zwischenwahlen in vier Wochen, als Regierungschef von Florida wiedergewählt wird, gilt als sicher. Doch seine Kampagne scheint viel mehr zu sein - ein Probelauf für das Rennen ums Weiße Haus.
Im August stand der Mann, der selten lächelt, am Podium des Ballsaals eines Hotels in Pittsburgh, immerhin 1500 Kilometer nördlich von seinem Heimatstaat. "Wir werden uns niemals der 'woken' Agenda unterwerfen", verkündete er und sagte der linken Bewegung für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus den Kampf an: "Florida ist der Staat, wo 'woke" sterben wird." Das Publikum applaudierte donnernd. Offiziell war der Hardliner aus dem "Sunshine State" zur Unterstützung seiner rechten Parteifreunde nach Pennsylvania gekommen. Doch dieser und weitere Auftritte in den noch weiter entfernten Staaten Arizona und Ohio legen nahe, dass DeSantis längst nationale Ambitionen pflegt. Mit rund 150 Millionen Dollar ist seine Wahlkampfkasse prall gefüllt.
DeSantis und Trump sind sich in vielen Dingen ähnlich
Auf den ersten Blick scheint sich DeSantis von Donald Trump ideologisch kaum zu unterscheiden. Wie der Ex-Präsident, den er 2018 um einen unterstützenden Tweet für seine Gouverneurskandidatur anbettelte, propagiert seine jüngere Kopie die "America-First"-Ideologie und wettert gegen Einwanderung, die Biden-Regierung, die Tech-Konzerne an der Westküste, die Medien und linke Identitätspolitik. Der Grundton seiner demagogischen Reden ist stets aggressiv. Es fehlen der gelegentliche Witz und die anekdotischen Ausschweifungen der Trump-Vorträge, aber auch dessen dauernde Selbstbespiegelung und rückwärtsgewandte Beschäftigung mit der verlorenen Wahl 2020.
Der Mann, der an den Eliteuniversitäten Yale und Harvard studierte und im Irakkrieg im Einsatz war, gilt als deutlich disziplinierter und geschickter als der von seinem Narzissmus getriebene Ex-Präsident. Einstige Kommilitonen beschreiben ihn als "kalkuliert und kaltblütig". Sein Wappentier im Wahlkampf ist ein Alligator mit weit aufgerissenem Maul. Gezielt hat er in den vergangenen Monaten seine Gegner provoziert, um Entrüstung zu erzeugen und sich als Stammgast beim rechten TV-Sender Fox News dann als Kreuzzügler in einem Kulturkampf inszenieren zu können. DeSantis, da sind sich viele US-Kommentatoren einig, ist ein "Trump mit Hirn" - und deswegen im Zweifelsfall noch gefährlicher als das Original.
Es greife zu kurz, den Gouverneur mit bestimmten Überzeugungen zu verbinden, hat das Magazin der New York Times vor wenigen Wochen in einer kenntnisreichen Titelgeschichte analysiert: "Ihm geht es vielmehr darum, den Eindruck der politischen Furchtlosigkeit zur Vernichtung von Gegnern mit administrativer Präzision zu erzeugen." Die Inhalte sind dabei eher Mittel zum Zweck. Mit verbissenem Kalkül treibt DeSantis Konflikte auf die Spitze, um seine ultrakonservative, christlich-nationalistische Klientel zu mobilisieren.
Dem Disney-Konzern strich Gouverneur DeSantis die Steuervorteile
Eine erste Gelegenheit zur nationalen Profilierung bot im Frühjahr 2020 die Corona-Pandemie. DeSantis kämpfte bald gegen Lockdowns und verbot in seinem Bundesstaat Masken- und Impfmandate. Er verklärte Florida zur "Zitadelle der Freiheit", herrschte vor laufenden Kameras Schüler an, die einen Mund-Nasenschutz trugen, und rief kaum verhohlen zu Gewalt gegen Trumps damaligen Corona-Experten Anthony Fauci auf: "Jemand sollte diese kleine Elfe packen und in den Potomac schleudern." Zwar schnellte die Covid-Todesrate in Florida fast auf das doppelte Niveau von Kalifornien. Doch politisch hat der verantwortungslose Umgang mit der Pandemie dem Gouverneur nicht geschadet.
Den nächsten Kulturkampf entfachte DeSantis mit einem Paragrafenwerk, das bald als "Sag-nicht-schwul-Gesetz" landesweit für Aufregung sorgte und es Lehrern und Lehrerinnen verbietet, im Unterricht der Grundschule über sexuelle Orientierungen und Identitäten zu reden. Als der Disney-Konzern, mit seinen Vergnügungsparks immerhin einer der wichtigsten Arbeitgeber in Florida, unter dem Druck der LGBTQ-Gemeinde gegen diese Zensur protestierte, strich DeSantis dem Unternehmen kurzerhand die bisherigen Steuervorteile.
In einer besonders zynischen Aktion ließ DeSantis schließlich Mitte September im texanischen San Antonio 48 Migranten, die auf der Flucht vor Gewalt und Armut größtenteils aus Venezuela in die USA gekommen waren und hier Asyl beantragten, mit falschen Versprechungen in zwei Charter-Flugzeuge locken. Die Maschinen flogen zu der bei wohlhabenden Demokraten beliebten Urlaubsinsel Martha's Vineyard südlich von Boston, die auf die Ankunft der Geflüchteten völlig unvorbereitet war. Bezahlt wurde die PR-Aktion mit 615.000 Dollar, die der Gouverneur einem Haushaltstopf seines Bundesstaats für die Rückführung von illegalen Migranten in ihre Heimatländer entnahm.
In Florida liegt DeSantis in Umfragen schon vor seinem Übervater Trump
Inzwischen ermitteln die Behörden, weil DeSantis die Hilfesuchenden in Texas quasi kidnappte. Der Gouverneur stellt das als einen Akt der Gefahrenabwehr dar. "Die meisten von ihnen wollten nach Florida kommen", behauptet er ohne irgendwelche Belege.
Das liberale Amerika ist empört. Doch von seinem Haussender Fox News wird DeSantis gefeiert. Bei Umfragen in Florida liegt er inzwischen vor seinem Übervater Trump. US-weit rangiert er mit deutlichem Vorsprung vor allen anderen denkbaren Konkurrenten auf dem zweiten Platz hinter Trump im Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Das Verhältnis der beiden Rechtspopulisten, die sechs Autostunden voneinander entfernt in Florida residieren, ist angesichts der Rivalität erkaltet. Der einstige Präsident soll seinen möglichen Herausforderer als "fett", "falsch" und "weinerlich" bezeichnet haben. Umgekehrt sagt DeSantis öffentlich kein freundliches Wort über Trump.
Im Gouverneurswahlkampf 2018 war das noch ganz anders gewesen. Da schaltete DeSantis einen TV-Spot, in dem er seinem neugeborenen Sohn Mason aus Trumps Buch "The Art of the Deal" wie aus der Bibel vorlas und seine damals zweijährige Tochter Madison aufforderte, aus Bauklötzchen eine Grenzmauer zu errichten. Ausdrücklich betonte seine Frau Casey, eine ehemalige TV-Nachrichtensprecherin, dass ihr Mann von Präsident Trump unterstützt werde.
Doch wer das bizarre Filmchen heute noch einmal genau anschaut, dem stößt ganz am Ende ein eigenartiger Satz auf: "Die Leute sagen: Ron ist ganz Trump", preist Casey DeSantis ihren Mann als "wunderbaren Vater" an und setzt dann vieldeutig hinzu: "Aber er ist so viel mehr." Wer will, kann darin eine Drohung hören.