Mehrfach gehen die Worte von Kamala Harris im Lärm unter. Um die 59-Jährige herum johlen Tausende Zuschauer, klatschen, jubeln. Immer wieder starten ihre Anhänger Sprechchöre. Die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin strahlt. Noch mehr strahlt der Mann schräg hinter ihr: Tim Walz.
Den Gouverneur von Minnesota kannten bis vor kurzem nur wenige außerhalb seines Bundesstaates. Doch an diesem Abend ist er der große Star. Harris stellt den 60-Jährigen in einem Sportstadion in Philadelphia als ihren neuen Vizepräsidentschaftskandidaten vor. Walz hört mit breitem Grinsen zu, fasst sich immer wieder mit der Hand ans Herz, faltet die Hände zu einer Dankesgeste, deutet mehrere Verbeugungen an.
Innerhalb von drei Monaten müssen die Demokraten Walz nun im Land und in der Partei bekanntmachen. Das ist keine leichte Aufgabe. Und mit dem neuen Vize stellen sie auch ihren Wahlkampf neu auf. Etwas mehr Leichtigkeit als Kontrastprogramm zu düsteren Horrorszenarien des Kontrahenten Donald Trump - so zumindest lautet der Plan. Ob das aufgeht, ist offen.
Auf die hemdsärmelige Art
Dazu gehört, Trump etwas mehr mit Witz statt Panik zu begegnen. Das ist nun Walz' Job. Harris hat ihn engagiert für Botschaften, die geradeaus sind, mit hemdsärmeligem Einschlag aus dem Mittleren Westen. Bei seinem Debüt in Philadelphia sagt Walz über Trump, in dessen Amtszeit sei die Kriminalitätsrate in den USA nach oben gegangen, «und da sind nicht mal die Straftaten mitgerechnet, die er selbst begangen hat». Die Menge johlt.
Und Walz müht sich mehrfach, die Demokraten als das neue Team Gute Laune darzustellen. Harris habe «die Freude zurückgebracht», ruft er in den Saal. Zwar war die Partei in den vergangenen Jahren wenig begeistert von der Vizepräsidentin. Doch in der Not ist Harris zur neuen Hoffnungsträgerin geworden.
Bis zum Ausstieg von Joe Biden aus dem Präsidentschaftsrennen hing düstere Stimmung über den Demokraten – wechselnd zwischen Hoffnungslosigkeit, Resignation und purer Verzweiflung. Nun ist Biden weg, Harris da – und die Basis verspürt Aufbruchstimmung.
Neue «Energie» und «Enthusiasmus»
«Bis zu Bidens Ausstieg war die Stimmung wirklich unten», sagt Ken Grimes, der aus einem Vorort von Philadelphia zu der Kundgebung gekommen ist. «Jetzt ist das anders. Alle sind begeistert.» Die bloße Aussicht, dass das Präsidentschaftsrennen nicht mehr ganz verloren scheint, hat die Partei innerhalb weniger Wochen in größte Verzückung versetzt. Dabei ist völlig unklar, ob sich Harris am Ende tatsächlich gegen Trump durchsetzen kann. Dass das Rennen gegen einen verurteilten Straftäter, der seit Jahren von Skandalen umwoben ist, überhaupt derart knapp ist, müsste den Demokraten zu denken geben.
Doch das schieben die Menschen bei der Kundgebung weit weg. Sie sind erst mal froh, dass sie die jüngste Biden-Krise hinter sich gelassen haben, und schwärmen von neuer «Energie» und «Enthusiasmus» in der Partei – Männer, Frauen, Junge, Alte, Schwarze, Weiße gleichermaßen. Plötzlich sei das Rennen wieder offen, sagen sie, und es gebe eine Chance, dass am Ende nicht Trump ins Weiße Haus einziehe, sondern Harris – als erste Frau in der Geschichte des Landes, und als erste schwarze Frau noch dazu.
Harris ist in beiderlei Hinsicht schon Pionierin im Vizepräsidentenamt. Bei schwarzen Wählern, bei Frauen und bei Jungen kann sie mehr punkten als Trump. Aber die Ex-Staatsanwältin aus dem Westküstenstaat Kalifornien tut sich schwerer bei männlichen weißen Wählern aus der Arbeiterschicht. Und da soll Walz helfen – auch wenn einige Zuschauer in Philadelphia einräumen, dass sie bis vor kurzem nicht mal wussten, dass es ihn gab.
Balance für Harris
Der Demokrat wuchs auf dem Land auf, in einem kleinen Ort im Bundesstaat Nebraska, war beim Militär, diente bei der Nationalgarde, wurde später Lehrer und Football-Trainer, bevor er in die Politik wechselte, erst als Abgeordneter im Repräsentantenhaus, seit 2019 ist er Gouverneur in Minnesota. Walz hat einen weit weniger glamourösen Lebenslauf als andere, die für den Vizeposten im Gespräch waren. Er kommt nicht aus einem der Swing States, der am meisten umkämpften und potenziell wahlentscheidenden Bundesstaaten, und ist bislang auf nationaler Bühne kaum bekannt. Er bringt aber einiges mit, was Harris dringend braucht.
Walz ist weißer Mann aus dem Mittleren Westen, der in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs, bodenständig, pragmatisch, einer, der gerne jagen geht, eigene Waffen hat. Gleichzeitig ist er einer mit liberalen Ansichten, der sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt, für strengere Waffengesetze oder für kostenlose Mahlzeiten für Schüler. Er hat vor allem Rückhalt im linken Flügel der Partei. Trump wettert, es handele sich um das «linksradikalste Duo in der amerikanischen Geschichte». Tatsächlich könnte allerdings auch manchen in der demokratischen Basis die Kombination aus Harris und Walz zu liberal sein.
In den kommenden Tagen machen die beiden eine Blitz-Wahlkampftour durch alle Swing States. Der Stopp in Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania ist dafür der Auftakt. Trump schickt seinen Vize J.D. Vance parallel zum Demokraten-Duo an all jene Orte.
Walz versus Vance
Walz ist in etwa das für Harris, was Trump mit Vance im Sinn hatte: ein Partner, der in einfachen Verhältnissen auf dem Land aufwuchs – als Draht zur Arbeiterschaft und zu jenen, die nur gerade so über die Runden kommen. Doch Vance wurde anders als Walz später nicht Lehrer und Football-Trainer, sondern Finanzinvestor mit einem Jura-Abschluss der amerikanischen Eliteuniversität Yale.
Das setzt auch Walz gegen ihn ein und spottet in Philadelphia: «Wie alle normalen Menschen, mit denen ich im Landesinneren aufgewachsen bin, hat J.D. in Yale studiert, seine Karriere von Milliardären finanzieren lassen und dann einen Bestseller geschrieben, in dem er über die Menschen in seiner Heimat herzieht.» Wieder Johlen im Saal.
Die neue Taktik gegen Trump
Walz hat die neue Strategie geprägt, Trump und Vance nicht allzu ernstzunehmen. Trump ergeht sich bei seinen Wahlkampfauftritten stets in Horrorszenarien vom Untergang des Landes unter der Führung «linksextremer» Demokraten. Die wollten die USA zerstören, tatenlos einer Invasion verbrecherischer Migranten zusehen und das Land in einen Dritten Weltkrieg führen.
Lange setzten die Demokraten unter Biden im Gegenzug ebenso auf düstere Warnungen, Trump sei eine existenzielle Bedrohung für die Demokratie und den Frieden auf der Welt. Doch mit Walz gab es einen Umschwung.
Der unscheinbare Mann aus Minnesota änderte in den vergangenen Wochen nach und nach die Art und Weise, wie die ganze Partei über Trump spricht. Walz ist der Erfinder des Stempels «weird» für den Ex-Präsidenten – auf Deutsch in etwa: schräg, seltsam. Walz begann damit in einem Interview, und nach und nach nahmen alle prominenten Köpfe in der Partei die Losung auf. Auch in Philadelphia platziert Walz seinen Wahlkampfrenner und sagt über Trump und Vance: «Diese Typen sind unheimlich, und ja, sie sind verdammt seltsam.»
Inzwischen ist es ein Schlachtruf geworden, der auch dort durch die Halle schallt: «He is a weirdo», brüllt die Menge dort über Trump (auf Deutsch etwa: «Er ist ein Spinner.»). Nicht für voll genommen zu werden – das dürfte Trump besonders missfallen. Und es ist eine Attacke, die schwer zu kontern ist. Mit Walz dürfte es ab sofort noch mehr davon geben.
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