Vier Jahre lang war er seinem Herrn ein treuer Diener. Als Vizepräsident trug Mike Pence geradezu unterwürfig alle erratischen Entscheidungen seines Chefs mit, verschaffte ihm die Unterstützung der religiösen Rechten und schwieg loyal zu all seinen Skandalen. Doch dann fiel der biedere Stellvertreter abrupt in Ungnade, weil er sich weigerte, das Wahlergebnis zu verfälschen. "Hängt Mike Pence", grölte der Pöbel. "Er verdient es", befand sein Chef.
Nun will Pence selbst Präsident werden. Doch seinen Gegenspieler Donald Trump, der ihm an jenem 6. Januar 2021 jeglichen Schutz gegen den gewalttätigen Mob auf seinen Fersen im Kapitol verweigerte, erwähnt er mit keinem Wort. "Veränderte Zeiten rufen nach anderer Führung", sagt er in seinem am Mittwoch veröffentlichten knapp dreiminütigen Bewerbungs-Video für die republikanische Präsidentschaftskandidatur nur. Dann zitiert der 64-Jährige den amerikanischen Gründervater Abraham Lincoln, der an "die besseren Engel unserer Natur" appellierte.
Mike Pence verschaffte Donald Trump lange Rückendeckung
Auf neun Männer und eine Frau ist inzwischen das republikanische Bewerberfeld für das Weiße Haus angewachsen. Doch Pence ist der konservativste und widersprüchlichste Anwärter. In seinem ziemlich konventionellen Werbefilm preist er die "besseren Tage" die Amerika in seiner Amtszeit erlebt habe, ohne Trump ein einziges Mal im Bild zu zeigen. Umso düsterer zeichnet er Joe Biden als vermeintliche Marionette der "radikalen Linken". Er betont seinen evangelikalen Glauben, der so radikal ist, dass Pence im Büro öfter mit Mitarbeitern betet und mit keiner anderen Frau als seiner Ehefrau Karen (die er "Mutter" nennt) zum Essen geht.
Und doch hat er einem prinzipienlosen Narzissten politische Deckung verschafft, der die Bibel nicht einmal richtig herum ins Bild halten konnte. Und er tritt als traditioneller Republikaner für Haushaltsdisziplin, freien Handel und ein starkes Militär ein, obwohl die Trump-Regierung alle drei ehemals ehernen Prinzipien der Partei über Bord warf.
Pence braucht dringend schöne Bilder
"Gott ist noch nicht fertig mit Amerika", begründete Pence bei einem Auftritt im Bundesstaat Iowa am Wochenende seine bevorstehende Kandidatur: "Ich weiß, was meine Berufung ist." Vor laufenden Kameras legte der Politiker auf seiner Vor-Wahlkampftour das gediegene blaue Sakko mit den Goldknöpfen ab, tauschte es gegen eine Lederweste und stieg auf eine Harley-Davidson.
Pence braucht dringend schöne Bilder, denn auf Erden scheint niemand auf seine Bewerbung zu warten. Der Mann ist bemerkenswert unbeliebt. Auf gerade einmal vier Prozent Unterstützung kommt er in nationalen Umfragen. Die Trump-Republikaner hassen ihn als angeblichen "Verräter", weil er in seiner rein zeremoniellen Rolle bei der Bestätigung der Stimmen die Ernennung von Joe Biden zum Präsidenten nicht verhinderte. Den Demokraten gilt er als religiöser Eiferer und Trump-Ermöglicher. Und selbst unabhängigen Wählern sind seine reaktionären gesellschaftspolitischen Positionen zu extrem.
Die Geschichte spricht gegen Mike Pence
In den kommenden Monaten muss Pence zudem einen eigentlich unmöglichen Spagat vollbringen: Er muss als Referenz für seine Kandidatur die Politik der Trump-Regierung anführen, sich gleichzeitig von deren übermächtigen Repräsentanten distanzieren, ohne dabei aber dessen Anhänger zu verprellen. Sein Respekt vor dem Gesetz hätte Pence in früheren Zeiten wahrscheinlich Punkte bei überzeugten Republikanern eingebracht. Doch nach vier Jahren und dem Möchtegern-Autokraten Trump, der sich an keine Regeln hielt, gilt diese konservative Tugend in der Partei allenfalls als Zeichen von Schwäche.
Kein Mal in der amerikanischen Geschichte hat ein früherer Vizepräsident seinen ehemaligen Chef herausgefordert. Bislang spricht wenig dafür, dass dieser Versuch nun zum ersten Mal in mehr als 200 Jahren erfolgreich sein wird.