Ist das wirklich alles in den vergangenen drei Wochen passiert? Der katastrophale Aussetzer des US-Präsidenten in der Fernsehdebatte. Der strafrechtliche Freibrief des Supreme Courts für eine zweite Amtszeit seines Herausforderers. Die Panik bei den Demokraten. Das versuchte Attentat auf Donald Trump. Die Covid-Infektion von Joe Biden. Es fühlt sich an, als habe man ohne Pause alle Staffeln der Politserie „West Wing“ hintereinander verschlungen. Nur ist es das wirkliche Leben.
Am Donnerstagabend nun steht Trump mit seiner Familie auf der Bühne des Fiserv Forums in Milwaukee. Ein viertägiger Parteitag, der einer Krönungsmesse glich, liegt hinter ihm. Nach den üblichen blauen, roten und weißen Luftballons regnen goldene Gummikugeln von der Decke der Konzert- und Sportarena mit mehr als 10.000 Zuschauern. Der 78-Jährige mag den Protz – und den Kitsch: Ein Opernsänger schmettert zu den perfekten Fernsehbildern Puccinis Arie „Nessun Dorma“.
Trump-Fans verbergen ihre Ohren hinter Mullbinden
Wenn man den Umfragen glaubt, dann könnte Trump schon in einem halben Jahr wieder im Weißen Haus sitzen, das er im Januar 2021 nach dem blutigen Kapitolsturm seiner Anhänger in den Augen vieler Amerikaner schwer kompromittiert verließ. Sein Nachfolger Biden, der den Abend wegen einer Covid-Infektion isoliert in seinem Ferienhaus in Rehoboth Beach verbringt, muss befürchten, noch vor dem Parteitag seiner Demokraten im nächsten Monat von der eigenen Partei als Kandidat weggeputscht zu werden.
Während Trump redet, tragen viele Delegierte im Saal Kappen, Hemden, Blusen, gar Kleider mit seinem Namen. In einem Anfall von Personenkult verbergen Dutzende Frauen und Männer ihr rechtes Ohr hinter einer Mullbinde – so wie es Trump tut, seit seine Ohrmuschel am Samstag von einer Kugel gestreift wurde. Biden aber leidet einsam. Seine Partei ist geschockt von der drohenden Wahlniederlage und ihrer allzu langen Verdrängung des Altersproblems. Senats-Mehrheitsführer Chuck Schumer, Parlaments-Fraktionschef Hakeem Jeffries und Nancy Pelosi, die ehemalige Chefin des Repräsentantenhauses, haben ihn eindringlich vor einem Desaster bei der Wahl im November gewarnt. Nur der „Allmächtige“ könne ihn zur Aufgabe der Kandidatur bringen, hatte der 81-Jährige in der vergangenen Woche noch abgeblockt. Inzwischen spekulieren Beobachter über sein baldiges politisches Ende.
Die Republikaner äußerlich geschlossen wie lange nicht, die Demokraten zerrissen und mit sich selbst beschäftigt: Das sind ideale Voraussetzungen für das Treffen der Trump-Partei in dieser Woche. Und dann ist da noch der gewaltige Solidarisierungsschub nach dem gescheiterten Attentat. „Ich will Euch einmal erzählen, wie es passierte. Aber dann nie wieder“, setzt Trump am Donnerstagabend an: „Es ist einfach zu schmerzhaft.“ In der riesigen Pateitagshalle ist es mucksmäuschenstill. Einige Delegierte haben Tränen in den Augen. Im Grunde berichtet der 78-Jährige dann das, was man längst im Fernsehen gesehen hat. Nur wird es ein bisschen ausgeschmückt: „Überall war Blut“, sagt er, „aber ich fühlte mich sehr sicher, weil ich Gott auf meiner Seite hatte.“
Das ist die eine Wirkung der Schussverletzung. Sie zeigt Trump, der sich schon immer als Objekt einer politischen Verfolgung inszeniert, als echtes Opfer mutmaßlich politischer Gewalt. Doch so wie die Strafverfahren gegen den Ex-Präsidenten nacheinander durch ein juristisches Sperrfeuer der aus Spendengeldern finanzierten Trump-Anwälte in sich zusammenfallen, hat auch die Kugel ihr Ziel verfehlt. Das macht Trump in den Augen seiner evangelikalen Anhänger endgültig zum auserwählten politischen Erlöser. In kaum einer Rede fehlt der Hinweis auf die schützende Hand Gottes, der noch Größeres mit dem Politiker vorhabe.
Unsere Gegner spüren Schwäche. Und Joe Biden strahlt Schwäche aus.
Donald Trump Jr., Sohn von Donald Trump
Noch massiver schlachtet das Trump-Lager die unmittelbare Reaktion ihres Helden aus, der nach dem Vorfall seine Faust in die Luft reckte und mit finsterer Miene „Fight! Fight! Fight!“ hauchte - „Kämpft!“. Eilig gedruckte T-Shirts mit der Szene werden den Händlern am Rande der Convention förmlich von den Tischen gerissen. Überlebensgroß wird das Bild am letzten Abend gezeigt. „Mein Vater ist ein knallharter Typ“, schwärmt Donald Trump Jr. bei einem Auftritt am Rande des Parteitags. Genauso unerschrocken trete er auch den Feinden Amerikas gegenüber: „Unsere Gegner spüren Schwäche. Und Joe Biden strahlt Schwäche aus.“
Die letzte Stunde vor seiner Rede, in der er die Wahl zum Präsidentschaftskandidaten offiziell annimmt, inszeniert Trump zur besten Fernsehsendezeit wie eine Mega-Macho-Show: Erst reißt sich der Wrestling-Star Hulk Hogan auf der Bühne theatralisch das Hemd vom Leib, und ein Trump-Shirt kommt zum Vorschein. „Donald Trump ist der härteste Kerl von allen“, erklärt Hogan. Der Angesprochene verfolgt die Show von der VIP-Loge mit sichtbar großem Vergnügen. Dann darf der Hip-Hopper Kid Rock eine krachende Darbietung geben, während der er immer wieder „Fight! Fight! Fight!“ brüllt.
Schließlich steht die Vorstellung des Kandidaten an. Normalerweise macht das seine Ehefrau. Bei Trump hatten in der Vergangenheit seine Frau Melania und seine Tochter Ivanka gesprochen. Beide wollen aber inzwischen mit Politik nichts mehr zu tun haben. Nur wie eine stumme Sphinx kommt die lange abgetauchte Melania auf die Bühne. Statt ihrer schickt Trump Dana White ans Pult, den männlichen Chef einer Organisation namens Ultimate Fighting Championship. Diese veranstaltet Events, bei denen der Gegner niedergekämpft wird, bis er sich nicht mehr bewegt. Der Ex-Präsident sei „der härteste Kämpfer“, schwärmt nun White.
So richtig will diese Inszenierung nicht zu der Erzählung passen, derzufolge Trump durch die Nahtoderfahrung ein anderer, nachdenklicherer Mensch geworden sei. „Ich glaube, es hat ihn verändert“, hatte eine Stunde zuvor der ultrarechte frühere Fox-News-Moderator Tucker Carlson an dieser Legende gestrickt: „Nachdem er angeschossen war, hat er die naheliegendste Gelegenheit vorbeiziehen lassen, die Nation aufzuwiegeln.“ Er bewerbe sich, „um Präsident aller Amerikaner zu werden, nicht nur der Hälfte“, sagt Trump denn auch gleich zu Beginn seiner Rede. Sein rechtes Ohr ist von der Mullbinde bedeckt. Tonlos liest er die Passage vor. „Wir sind eine Nation unter Gott“, ruft er das Land zur Einigkeit auf. Doch lange hält die neue Milde nicht. Schon wenige Minuten später attackiert er „die verrückte Nancy Pelosi“ und die „Demokraten, die unser Land zerstören“. Er verbreitet die Lüge von dem Wahlsieg, den man ihm gestohlen habe und behauptet, Joe Biden habe einen größeren politischen Schaden angerichtet als „die zehn schlechtesten Präsidenten der USA zusammen“.
„Unity“, Einheit, das wird schnell klar, bedeutet für Donald Trump nichts anderes als „Unterwerfung“. Ernsthaft fordert der verurteilte Vergewaltiger und Betrüger, die demokratische Partei solle „sofort die Instrumentalisierung der Justiz stoppen“ und ihre „Hexenjagd“ einstellen. Unter „Versöhnung“ in der eigenen Partei versteht er das Angebot, seinen Gegnern zu verzeihen. Gnädig hat er seiner einstigen Kontrahentin Nikki Haley einen Redeplatz eingeräumt, den diese nutzen darf, um ihre Anhänger zur Unterstützung von Trump aufzurufen.
Kritische Töne zum Kandidaten hört man an vier langen Tagen von keinem einzigen Redner in der Arena. Bekannte Kritiker wie der ehemalige Vizepräsident Mike Pence und die geschasste Ex-Fraktionsvize Liz Cheney sind erst gar nicht erschienen, Senats-Minderheitsführer Mitch McConnell, der Trumps Rolle beim Kapitolputsch kritisiert hatte, wird ausgebuht. Der ganze Parteitag ist eine Jubelfeier für den Partei-Patriarchen, befeuert durch eine kollektive Siegeszuversicht.
Vertreter der „alten“ Republikaner warnen vor einem Diktator Trump
Es ist dann ausgerechnet Trump selbst, der am letzten Abend die euphorische Stimmung ein kleines bisschen trübt. Seine rekordverdächtige anderthalb Stunden lange Rede bietet außer der Passage zum Attentat nichts anderes als ein mäanderndes Sammelsurium seiner bekannten Kundgebungs-Hits, die dieses Mal in monotonem Ton vorgetragen werden. Im Parkett der Halle, wo die 2400 Delegierten sitzen, schauen viele verstohlen auf ihre Handys oder Uhren. Eine Viertelstunde, bevor der Kandidat endlich zum Finale kommt, bricht an der Ostküste der USA der Freitag an.
Die Demokraten mögen daraus ein Stück Hoffnung schöpfen, bevor am nächsten Morgen ihr interner Machtkampf weiter tobt. Für Konservative in den USA ändert der blasse Vortrag aber nichts an der grundlegenden Erkenntnis: Ihre Partei ist zu einer Sekte geworden, die Trump kritiklos überallhin folgt. Nicht zufällig heißt das Wahlprogramm nun „Make America Great Again“ – das ist Trumps persönlicher Slogan seit 2016. Die letzten traditionellen Republikaner, die offen für Rechtsstaatlichkeit, Freihandel und Internationalismus einstehen, haben am Mittwochabend unter dem Motto „Principles First“ - auf Deutsch: Prinzipien an erster Stelle - in eine Brauerei außerhalb des Parteitags-Sperrbezirks geladen. Rund 100 Unterstützer sind gekommen. Der holzgetäfelte, dunkle Veranstaltungsraum, der einer deutschen Bierhalle nachempfunden sein soll, erinnert an eine Katakombe.
„Wir müssen diesen Diktator bekämpfen!“, fordert Joe Walsh, der bei den republikanischen Präsidentschaftswahlen 2020 erfolglos gegen Trump angetreten war, die Zuhörer in einem wilden Vortrag auf. „Joe Biden könnte von Covid geplagt in Unterwäsche in einer Ecke hocken – ich würde trotzdem für ihn stimmen“, versichert Michael Steele, der von 2009 bis 2011 Vorsitzender der republikanischen Partei war. Der konservative Radio-Talkshow-Gastgeber Charlie Sykes aber präsentiert eine deprimierende Analyse der eigenen Partei: „Die republikanische Partei ist im Arsch“, formuliert er drastisch: „Vor uns liegt ein jahrzehntelanger Kampf zwischen Liberalismus und Illiberalismus. Man kann die Gefahren für dieses Land gar nicht überschätzen.“
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