Vor der US-Wahl am 5. November wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostiziert. Mal wurde ein Vorteil für den einen, mal für die andere gesehen, doch die Unterschiede zwischen Donald Trump und Kamala Harris lagen im Bereich der Fehlertoleranz, die bei Umfragen mitgedacht werden muss – Abweichungen bis etwa 3,5 Prozent gelten als normal, je nach Umfrage und statistischem Modell. Es sollte also extrem knapp werden. Und weil es am Ende auf wenige Stimmen ankommen würde, so die Prognose, könnte es Tage oder gar Wochen dauern, bis der Sieger feststeht.
Dann kam die Wahlnacht. Und statt des erwarteten engen Rennens gewann Trump. Deutlich. Und schnell. Bereits um 11:30 Uhr deutscher Zeit stand er als nächster Präsident der Vereinigten Staaten fest. Weil das Ergebnis eben nicht so knapp ist, wie erwartet. Also lagen die Umfragen falsch?
Popular Vote: Donald Trump wurde zum dritten Mal in Folge unterschätzt
Schauen wir dafür zuerst einmal auf die bundesweiten Umfragen. Hier wird versucht, zu prognostizieren, welcher Kandidat auf das ganze Land gesehen am meisten Stimmen bekommt, also die sogenannte „Popular Vote“ gewinnt. Wegen des amerikanischen Wahlsystems wird diese Person nicht automatisch Präsident – so erhielt Donald Trump beispielsweise 2016 etwa 1,5 Millionen Stimmen weniger als Hillary Clinton, gewann die Wahl aber trotzdem. Was die Popular Vote angeht, sahen Meinungsforscher vor der Wahl 2024 Harris leicht im Vorteil. Die Umfrage-Plattform FiveThirtyEight, die aus den vielen Umfragen einen gewichteten Durchschnittswert bildet, sah die Demokratin etwas mehr als einen Punkt vor Trump.
Und die Realität? Sieht dann doch anders aus. Donald Trump erhält US-weit am meisten Stimmen, so viel ist bereits klar. Am Donnerstagmorgen deutscher Zeit liegt er etwa 3,5 Prozentpunkte vor Harris. Die Umfragen liegen hier also mehr als vier Prozentpunkte daneben. Zwar können sich die Werte durch den hohen Anteil demokratischer Briefwahlstimmen noch ein wenig ändern – beispielsweise in Kalifornien wurden viele Stimmen noch nicht ausgezählt – doch ein Umfragefehler wird bleiben. Damit haben die Meinungsforscher Donald Trump zum dritten Mal in Folge unterschätzt: Bereits 2016 und 2020 erhielt Trump deutlich mehr Stimmen als erwartet.
Warum, dazu gibt es Theorien, aber keine klare Antwort. Die Umfrageinstitute sind bereits zwei Mal auf Ursachenforschung gegangen und haben ihre Methoden angepasst. So wurde etwa noch genauer darauf geachtet, dass Akademiker in den Umfragen nicht überrepräsentiert sind, da diese vorrangig demokratisch wählen. Bei der Wahl 2024 scheint es besonders schwierig gewesen zu sein, die Auswirkung der hohen Wahlbeteiligung einzuschätzen, wie auch schon 2020. Ein anderes Problem ist, dass die Rückmeldequote der Demoskopen offenbar zu Wünschen übrigen lässt: Viele Menschen gehen schlicht nicht ans Telefon, wenn sie für eine Befragung angerufen werden. Letztendlich versuchen die Institute, all das in ihre Prognosen einzuberechnen. Besonders gut geklappt hat das nicht.
In den Swing States waren die Umfragen nahe an der Wirklichkeit
Doch am Ende kommt es nicht auf die Popular Vote an. Viel entscheidender sind die Umfragen in den einzelnen Swing States. Dort, wo die Zahlen von Demokraten und Republikanern eng beieinander liegen, entscheidet sich die Wahl. Denn in fast allen Staaten gilt das The-Winner-Takes-It-All-Prinzip: Wer auch nur eine Stimme mehr hat, bekommt alle Wahlmänner-Stimmen aus diesem Staat. Letztendlich können wenige tausend Wähler einen enormen Effekt haben – das macht eine Prognose besonders schwierig. Weil die Ergebnisse dort so wichtig sind, werden hier aber auch am meisten Umfragen durchgeführt.
Was das bedeutet, ist am Beispiel Pennsylvania zu sehen, mit 19 Wahlmänner-Stimmen der wichtigste Swing State. In den Umfragen waren Trump und Harris hier quasi gleichauf. FiveThirtyEight sah Pennsylvania als absolut ausgeglichen an.
Nun gewann Trump in Pennsylvania. So wie es am Donnerstagmorgen aussieht, holte Trump hier etwas mehr als 50 Prozent der Stimmen, Harris 48,5 Prozent. Daraus zu schließen, die Umfragen seien falsch, greift nicht. Dafür ist das Ergebnis zu knapp, die Werte sind innerhalb der normalen Fehlertoleranz. Kleine Abweichungen haben hier eben einen großen Effekt. Ähnliches gilt auch für die meisten anderen Swing States. FiveThirtyEight ging von sehr engen Ergebnissen aus und lag nur wenige Prozentpunkte von der Realität entfernt. Die größten Abweichungen bei den Swing-State-Umfragen dürften sich am Ende in Nevada und Arizona ergeben, wo noch verhältnismäßig viele Stimmen in der Auszählung fehlen: Hier könnte FiveThirtyEight Trump um mehr als drei Prozentpunkte unterschätzt haben.
Einzelne Umfragen lagen hingegen auch komplett daneben. Das an sich sehr angesehen amerikanische Meinungsforschungsinstituts Selzer & Company meldete etwa kurz vor der Wahl, dass Harris Iowa gewinnen könnte. Trump holte in dem konservativen Staat 13 Prozentpunkte mehr als Harris. Die Umfragen-Durchschnitte von FiveThirtyEight waren in den meisten Swing States hingegen grundsätzlich richtig: Hier war es ein wirklich enges Rennen.
Was aber auffällt: Die Abweichungen sind nicht gleichmäßig verteilt. Am Ende ist es immer Donald Trump, der ein wenig besser abschneidet als erwartet. Das zeigt, dass die Unterschiede zu den Umfragen wohl nicht dem Zufall zuzuschreiben sind, sondern offenbar ein Fehler im System der Erhebung vorliegt.
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