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US-Wahl 2024: Vizepräsidenten-Duell Vance gegen Waltz: Zwischen Empathie und Trumpismus

US-Wahl 2024

Vizepräsidenten-Duell Vance gegen Waltz: Zwischen Empathie und Trumpismus

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    Der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance (links) und den demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz während einer von CBS News veranstalteten Vizepräsidentschaftsdebatte.
    Der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance (links) und den demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz während einer von CBS News veranstalteten Vizepräsidentschaftsdebatte. Foto: Uncredited, AP/dpa

    Der Mann, den gerade mal jeder dritte Amerikaner sympathisch findet, hatte sich eine leuchtend pinkfarbene Krawatte umgebunden und sein freundlichstes Lächeln aufgesetzt. „Ich wurde in einer Arbeiterfamilie großgezogen“, sagte J.D. Vance als allererstes: „Meine Mutter kämpfte mit Drogensucht.“ Eigentlich war er da nach seiner Position zu einem möglichen Militärschlag Israels gegen den Iran gefragt worden. Doch das ignorierte der 40-Jährige geflissentlich. Er hatte an diesem Abend Wichtigeres vor: Er wollte seinen politischen Gegner ohne einen Schuss versenken.

    Die Vize-Kandidaten Vance und Walz blieben beim TV-Duell überraschend friedlich

    Wer die erste TV-Debatte zwischen Kamala Harris und Donald Trump vor drei Wochen am Fernsehen verfolgt hat, der traute bei der Begegnung der designierten Vizepräsidenten in der Nacht zum Mittwoch seinen Augen kaum. Hatten sich die beiden Anwärter auf das Oval Office gegenseitig hitzig angegriffen, so standen Vance und sein Kontrahent Tim Walz beim Sender CBS mehr als 100 Minuten lang friedlich nebeneinander und schienen ein zivilisiertes Gespräch zu führen. Ein ums andere Mal versicherten sie sich, dass sie im Grunde einer Meinung seien. Am Ende wurden scherzend die Hände geschüttelt.

    Der republikanische Kandidat J.D. Vance (links) gebar sich im TV-Duell als moderater Frauenversteher - und Demokrat Tim Walz wirkte lange nervös und angespannt.
    Der republikanische Kandidat J.D. Vance (links) gebar sich im TV-Duell als moderater Frauenversteher - und Demokrat Tim Walz wirkte lange nervös und angespannt. Foto: Matt Rourke, AP/dpa

    Tatsächlich liegen die Positionen nicht nur in der Steuerpolitik, im Ukraine-Krieg, bei der Abtreibung und in der Sozialpolitik unvereinbar auseinander. Doch der ebenso brillante wie skrupellose Yale-Absolvent Vance, der vor drei Jahren vom Trump-Kritiker zu dessen eifrigstem Jünger mutiert war, vollführte an diesem Abend eine erneute, atemberaubende Wandlung: Er präsentierte sich als empathischer, geradezu moderater Kandidat, den Vorstadtfrauen wohl als Schwiegersohn akzeptieren könnten.

    J.D. Vance mutiert vom Aufheizer zum Schwiegermütter-Traum

    Nicht lange ist es her, dass Vance kinderlose Frauen als „Katzen-Frauen“ diffamierte, den Mob mit einer Lügengeschichte gegen legale Einwanderer aus Haiti aufhetzte und sich für ein nationales Abtreibungsverbot aussprach. Nun plötzlich bedauerte er, viel zu viele Frauen sähen aus ökonomischen Gründen kaum eine andere Wahl, als ihre ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Die Republikaner, erklärte er bußfertig, müssten „viel besser werden, das Vertrauen der Amerikaner in dieser Sache wiederzugewinnen“. Auf einmal zeigte er auch größtes Verständnis für die Belastungen junger berufstätiger Frauen, die gleichzeitig Kinder großziehen: „Wir üben viel zu großen Druck aus“, sagte er ernsthaft.

    Wie unter einem Teflon-Anzug ließ Vance alle kritischen Fragen abtropfen. Seine Hetze gegen die Haitianer, die angeblich die Hunde und Katzen der Einwohner von Springfield essen? Es stimme doch, dass Schulen und Krankenhäuser in dem Ort überlastet seien. Seine frühere Charakterisierung von Trump als „amerikanischer Hitler“? „Da habe ich mich geirrt, weil ich Medienstories über Trump geglaubt habe.“ Und seine extreme Haltung zur Abtreibung? Das Land sei divers, das sollten die Wähler in jedem Bundesstaat für sich entscheiden.

    Drei Mal erwähnte Vance, dass er „drei wunderbare Kinder“ habe. Mehrfach flocht der Senator rührende Erzählungen über seine Mutter ein. Politik müsse „mit gesundem Menschenverstand“ gemacht werden, betonte er und umarmte eloquent immer wieder seinen Kontrahenten Walz, den er kumpelhaft „Tim“ nannte. Wie in der Novelle „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ schien der einstige Bestsellerautor seine Persönlichkeit zu wechseln.

    Der eher unerfahrene Tim Walz hatte lange Probleme, mit Vance mitzuhalten

    Entsprechend schwer hatte es der auf nationaler Bühne unerfahrene Walz, überzeugend gegenzuhalten. Der Gouverneur von Minnesota war sichtbar nervös und angespannt. Seine Antworten klangen anfangs holprig. Immer wieder machte er sich Notizen, so als wolle er bloß kein zuvor eingeübtes Argument vergessen, und trug seine Position entsprechend angespannt vor. Als bodenständiger Familienvater und cooler Ex-Football-Coach aus dem Mittleren Westen hat Walz in den vergangenen Wochen gepunktet. Plötzlich wirkte er wenig authentisch und provinziell.

    Eine quälende Stunde verging, bis es Walz zum ersten Mal gelang, den Vortrag von Vance effektiv aufzubrechen. Der Republikaner hatte sich ernsthaft zu der Behauptung verstiegen, Trump habe während seiner Präsidentschaft die Krankenversicherung Obamacare „gerettet“ und wolle sie nun mit mehr Wahlfreiheit noch besser machen. „Ich war dabei“, hielt der Harris-Stellvertreter dagegen und korrigierte wahrheitsgemäß: Trump habe Obamacare abschaffen wollen und sei im Kongress nur an der Gegenstimme des verstorbenen republikanischen Senators John McCain gescheitert. Auch die Schimäre eines Marktplatzes, auf dem sich jeder Bürger frei den für ihn passenden Gesundheitsschutz einkaufen könne, entlarvte Walz treffsicher: „Den über Siebzigjährigen wünsche ich viel Glück dabei!“

    Am Ende wäre es Vance fast gelungen, den unerhörten Kapitolsturm unter einer Gegenerzählung zu begraben. Da wurde er von den Moderatorinnen gefragt, ob er wie Ex-Vizepräsident Mike Pence das Wahlergebnis auch gegen Trumps Widerstand zertifizieren würde. „Man muss friedlich öffentlich diskutieren“, hielt der 40-Jährige dagegen. Kamala Harris wolle ungenehme Meinungen unterdrücken. Diese „Zensur“ sei viel gefährlicher als ein Protest vor dem Kongress.

    Erst zum Schluss blitzt bei Vance der gefährliche Trumpismus durch

    „Hier sind wir Meilen voneinander entfernt“, konterte Walz, der endlich zur Wettkampf-Form auflief. Er stellte Vance eine direkte Frage: „Hat Trump die Wahl verloren?“ Der Republikaner wollte nicht antworten: „Ich bin fixiert auf die Zukunft“, erwiderte er ausweichend. Für einen Moment zumindest blitzte der gefährliche Trumpismus unter der rhetorischen Zuckerwatte des Demagogen durch. Doch dann war die Sendung auch vorbei.

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    1 Kommentar
    Wolfgang Schwank

    Oh, oh, oh, was Herrn Doemens so zurückhaltend umschreibt, war wohl ein überdeutlicher Punktsieg bei dieser Show für J.D. Vance. Andersrum hätten wir Halleluja-Gesänge auf das Harris-Lager gelesen. Bleibt nur zu hoffen, dass all dies kein Omen für den 5. November ist.

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