Ausgerechnet Fox News. Ausgerechnet der rechte Sender, der Donald Trump 2020 den Wahlabend kolossal verdorben hatte, als er kurz vor Mitternacht den Sieg seines Kontrahenten Joe Biden im republikanischen Arizona vorhersagte. Ausgerechnet dieser Sender ist es nun, der vier Jahre später als erster den aufziehenden Triumph des Ex-Präsidenten meldet. Es ist 1.20 Uhr am frühen amerikanischen Mittwochmorgen, als Fox News den entscheidenden Bundesstaat Pennsylvania für Kamala Harris verloren gibt.
Damit ist klar: Die „Blue Wall“, die einstige Schutzmauer der Demokraten, ist krachend zusammengebrochen. Die möglichen Siegesoptionen im sogenannten „Sun Belt“ im Süden sind schon vorher zerbröselt. Auch wenn es bis zur offiziellen Ausrufung des Wahlsiegers noch gut vier Stunden sind, ist damit im Grunde klar: Der nächste Präsident der USA heißt wie Joe Bidens Vorgänger –Donald Trump. Schlimmer noch: Dieser Abend fühlt sich so an, als würden die vier Jahre dazwischen einfach ausradiert.
Gut eine Stunde nach dem Erfolg in Pennsylvania tritt Donald Trump im Convention Center von Palm Beach ans Rednerpult. Der 78-Jährige sieht erstaunlich frisch aus angesichts seines Kundgebungsmarathons der letzten Tage, bei dem er körperlich und mental massiv abzubauen schien. Er lächelt huldvoll, während sich seine Getreuen hinter ihm aufbauen. „Wir haben die größte politische Bewegung aller Zeiten“, ruft er dann in den Saal: „Wir werden unser Land heilen.“ Natürlich rühmt er sich des „gewaltigsten politischen Sieges, den unser Land je erlebt hat“ und kündigt ein „goldenes Zeitalter für Amerika“ an. Doch selbst in diesem Moment bleibt er der Mann, der das Land spaltet wie kein zweiter. Die Medien nennt er das „Feindeslager“.
Objektiv ist Trump nach dem beispiellosen, wilden Wahlkampf der vergangenen Wochen, der von zwei Attentatsversuchen und dem plötzlichen Rückzug seines demokratischen Opponenten überschattet wurde, ein unglaubliches Comeback gelungen: Der Mann, der einen Putsch anzettelte, jahrelang über das Ergebnis der letzten Wahl log, wegen Betruges und sexueller Nötigung verurteilt wurde und von den wichtigsten Vertrauten seiner ersten Regierung inzwischen als gefährlicher „Faschist“ bezeichnet wird, widerlegt mit seinem Erdrutschsieg in mutmaßlich sämtlichen wichtigen sieben Swing States nicht nur alle Prognosen der Demoskopen.
Trump holt auch die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen
Trump holt auch – anders als 2016 – das „Popular Vote“, die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen, was ihm auch einen moralischen Regierungsauftrag erteilt. Und er wird dank einer klaren Mehrheit zumindest im Senat und eines auf seinen Kurs gebrachten Obersten Gerichtshofs eine fast unbeschränkte Machtfülle genießen.
Die liberale Gesellschaft der USA müsse sich darauf einstellen, künftig „in einem anderen Amerika zu leben“, kommentiert der Publizist David Frum, der einst Reden für Ex-Präsident George W. Bush schrieb und nun zum sklerotischen Flügel der traditionell-konservativen Republikaner gehört, am Mittwochmorgen im Magazin The Atlantic: Ein Land, „in dem Millionen von Mitbürgern für einen Präsidenten stimmen, der wissentlich Hass und Spaltung befördert, der schamlos lügt und der das Wahlergebnis von 2020 kippen wollte“. Die Journalistin Susan Glaser formuliert im New Yorker ebenso scharf wie treffend: „Das ist eine desaströse Offenbarung darüber, was die Vereinigten Staaten wirklich sind – im Gegensatz zu dem Land, das sich viele erhofft hatten.“
Mit einem solchen epischen Erfolg scheint nicht einmal der Großsprecher Trump selbst gerechnet zu haben. Noch ehe die Wahllokale schließen, postet er am Dienstag auf seiner Propagandaplattform „Truth Social“ mehrere Nachrichten, in denen er angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenerfassung beklagt. „Es gibt viele Berichte über massiven Betrug in Philadelphia. Die Strafverfolgung ist unterwegs“, fabuliert er. Zu diesem Zeitpunkt glaubt er offenbar, dass das Rennen sehr knapp wird und bereitet deshalb vorsichtshalber einen „Plan B“ für die spätere Delegitimierung des Ergebnisses vor. Es gehört zur bitteren Ironie, das sich der örtliche Wahlleiter sofort mutig vor die Kameras stellt und beteuert, dafür gebe es keinerlei Anzeichen – und damit im Rückblick unfreiwillig Trump vor einer Anfechtung seines eigenen Sieges bewahrt.
Auf der anderen Seite glaubt man im Lager von Kamala Harris zu diesem Zeitpunkt ziemlich fest an einen Erfolg der demokratischen Kandidatin. Eine Umfrage aus Iowa, die Harris in dem konservativen Agrar-Staat vorne sah, volle Veranstaltungshallen und bizarre rassistische und sexistische Ausfälle Trumps bei dessen jüngsten Auftritten haben die Zuversicht gestärkt. „Wir sind optimistisch“, ruft Harris am späten Montagabend bei ihrer Abschlusskundgebung in Philadelphia ihren jubelnden Anhängern zu: „Die Dynamik ist auf unserer Seite.“ Auf dem Campus ihrer einstigen Hochschule, der traditionell Schwarzen Howard University in Washington, lässt die Vize-Präsidentin Bühne und Zuschauerränge mit blau-weiß-roten Luftballons für eine nächtliche Siegesfeier errichten.
Anders als in Deutschland gibt es keine Hochrechnungen nach Ende der Wahl
Tatsächlich warten dort am Dienstagabend Tausende Anhänger zunehmend enttäuscht auf die Frau, die die erste weibliche und nicht-weiße Präsidentin der USA hätte werden können. Doch die 60-Jährige kommt nicht. Zunächst nämlich haben zwei Männer im Fernsehen das Sagen, und deren knochentrocken vorgetragene Erkenntnisse klingen zunehmend alarmierend: John King und Steve Kornacki. Die beiden Datenexperten sind die Stars jedes amerikanischen Wahlabends. Anders als in Deutschland gibt es in den USA nämlich weder eine nationale Prognose noch eine Hochrechnung nach Schließung der Urnen. Wahlen sind Angelegenheit der Bundesstaaten, überall gelten andere Regeln für die Auszählung von Brief- und Frühwahlen, hinzu kommen drei Zeitzonen, die Ergebnisse aus dem Westen erst mit gewaltigem Verzug zutage fördern.
Die einzige Möglichkeit, vor dem Abschluss der manchmal tagelangen Auszählung eine Peilung zu bekommen, besteht deshalb darin, frühzeitig eintrudelnde Ergebnisse aus einzelnen Wahlbezirken mit den Resultaten früherer Abstimmungen zu vergleichen und daraus einen Trend zu errechnen. In diesem Metier sind King und Kornacki wahre Meister. Der 61-jährige King, ein distinguierter Gentleman mit weißem Haar, steht beim Sender CNN vor der „Magic Wall“ mit der Karte der USA. Der 16 Jahre jüngere Kornacki springt mit aufgekrempelten Hemdsärmeln leicht nach vorne gebeugt, als sei er einfach zu groß für die Anzeigetafel, dynamisch beim Wettbewerber MSNBC herum.
Die beiden tippen auf einzelne Wahlkreise, kennen die demografische Textur des Landes, zaubern auf Knopfdruck alle möglichen Vergleichsergebnisse hervor und ordnen die ersten, verwirrenden Zahlen kompetent ein. Wer ihnen an diesem Abend zuschaut, der bekommt relativ früh ein Störgefühl in der Magengrube. Um 20 Uhr amerikanischer Zeit kommt der erste große Schwung von Ergebnissen wichtiger Bundesstaaten herein. Im Wahlleutegremium, wo der Sieger auf 270 Stimmen kommen muss, steht es 90 zu 27. Das hat zu der frühen Stunde noch nichts zu bedeuten. „Die Karte füllt sich wie erwartet“, sagt King. Das heißt aber auch: Es gibt keine Last-Minute-Ausschläge nach oben für Harris, die viele erwartet hatten.
Das bislang republikanische North Carolina etwa galt als Überraschungskandidat, den Harris vielleicht drehen könnte. Jetzt sagt King: „Das ist ein langer Weg.“ Um kurz vor 21 Uhr hat er eine Nachwahlbefragung aus dem demokratischen Wisconsin: Dort haben sechs von zehn Wählern erklärt, dass sie mit der Politik von Joe Biden unzufrieden sind. Keine gute Voraussetzung für seine Stellvertreterin Harris. Derweil gräbt sich Kornacki in die Detailergebnisse einiger Appalachen-Gemeinden in North Carolina an, wo Trump noch zugelegt hat. In Fulton County in Georgia hat Harris bei den Früh- und Briefstimmen den gleichen Stimmenanteil wie Joe Biden beim Endergebnis 2020. Aber Republikaner gehen traditionell mehrheitlich am Wahltag wählen – und diese Stimmen fehlen noch. Das alles hört sich nicht gut an.
2016 war Hillary Clinton abgestürzt – für Kamala Harris zeichnet sich nun das gleiche ab
Irgendwann nach 22 Uhr wird klar, dass Harris nur noch eine Chance hat, das Rennen zu machen: Sie muss den Bundesstaat Pennsylvania wiedergewinnen. Aber im Lakawanna County rund um Joe Bidens Heimatstadt Scranton bleibt sie deutlich hinter dem Ergebnis des Noch-Präsidenten zurück. „Die Karte sieht aus wie 2016, nicht wie 2020“, urteilt King: 2016 war die Demokratin Hillary Clinton furchtbar abgestürzt. Genau das zeichnet sich nun wieder ab. Um 0.45 Uhr lässt Kamala Harris ihren Anhängern an der Howard University mitteilen, dass sie in dieser Nacht nicht mehr auftreten werde.
Über die Gründe des Debakels wird in den kommenden Tagen viel beraten und heftig gestritten werden. Einige Indikatoren zeichnen sich ab: Offenbar sind Frust und Wut der Bevölkerung über die Inflation größer als erwartet. Die Distanzierung der Kandidatin von Biden, der zu einer politischen Altlast geworden ist, war zu zaghaft. Viele Latino-Wähler wendeten sich ab. Trump konnte mit seinem derben Macho-Gehabe viele Männer begeistern. Die Abtreibungskampagne von Harris befeuerte zwar Volksbegehren in konservativen Bundesstaaten, half aber offenbar nicht wirklich den Demokraten.
Als am Mittwochmorgen die Sonne aufgeht, befindet sich das liberale Amerika im Schockzustand. Man beginnt, die verheerende Dimension von Trumps Triumph an einem Detail zu erahnen: Eigentlich soll in drei Wochen, am 26. November, das Strafmaß gegen den 78-Jährigen im Schweigegeldprozess verkündet werden. Dazu wird es wohl nicht mehr kommen. Trump ist nun sein eigener Richter. Den Putsch-Prozess wird er niederschlagen. Mit der neuen Mehrheit im Senat kann er überall im Land willfährige Richter ernennen, Demokraten-Politiker verfolgen lassen und den Supreme Court für Jahrzehnte auf seinen ultrarechten Kurs bringen. Perfekter hätte sein Rachefeldzug gegen den Rechtsstaat gar nicht gipfeln können.
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