Wo soll das enden? Sechs Szenarien zur Wahl in den USA
Nehmen wir an, Donald Trump verliert. Würde er freiwillig das Weiße Haus verlassen? Selbst das Undenkbare scheint denkbar in dieser verrückten Wahl.
Die Zeiten sind verrückt. So verrückt sogar, dass sich die Welt besorgt fragt, ob man einen Mann wie Donald Trump überhaupt abwählen kann. In den USA geht die Sorge um, der Präsident werde versuchen, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Anzeichen dafür gibt es eine Menge. Sechs Szenarien:
1. Das Ergebnis ist in der Wahlnacht knapp und es kommt auf die Briefwahlstimmen an.
Dieses Szenario fürchten die Demokraten am meisten. Denn Donald Trump hat seit Monaten alles dafür getan, um die Briefwahl zu diskreditieren. Er tut das, weil traditionell mehr Anhänger der Demokraten per Post abstimmen als Wähler der Republikaner. Wegen der Angst vor dem Coronavirus will laut Umfragen mehr als die Hälfte der Wähler nicht ins Wahllokal gehen, sondern per Brief wählen. Sollte es am Wahlabend knapp werden, muss Trump davon ausgehen, dass die Briefwahlstimmen, die in einigen Bundesstaaten erst nach Schließung der Wahllokale ausgezählt werden dürfen, das Blatt zugunsten von Joe Biden wenden werden. Schon vorsorglich hat der Präsident vor dem „größten Betrug der Geschichte“ gewarnt. Wahlzettel würden auch an Tote oder Haustiere geschickt, behauptete er. Dass er mit dieser dreisten Methode durchkommt, glaubt Sudha David-Wilp nicht. Sie arbeitet für den German Marshall Fund. Die Stiftung fördert die Beziehungen zwischen den USA und Europa. „Sogar sein eigener Geheimdienst, das FBI, hat ja klar gesagt, dass es keinerlei Beweise für einen groß angelegten Betrug bei der Briefwahl gibt“, sagt David-Wilp. Um noch mehr Zweifel zu sähen, hat Trump der US-Post den Geldhahn zugedreht. So besteht die Gefahr, dass Stimmzettel nicht fristgerecht ankommen. Gut möglich, dass es bei einem knappen Ausgang Wochen oder gar Monate dauern wird, bis klar ist, wer gewonnen hat. In Deutschland unvorstellbar, für die USA aber nicht so ungewöhnlich.
2. Das oberste Gericht muss über Sieg und Niederlage entscheiden.
Erinnerungen werden wach an das Duell zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000. Im Bundesstaat Florida war zunächst Gore zum Sieger erklärt worden, dann Bush. Die Nachzählung der Stimmen stoppte schließlich das oberste Gericht, der Supreme Court. Bush wurde Präsident, doch die Zweifel blieben. Auch wegen dieser Erfahrung war das Entsetzen so groß, dass Trump kurz vor dem Ende seiner Amtszeit die Machtverhältnisse am Supreme Court zu seinen Gunsten verändert hat. Nach dem Tod der liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg und der Last-Minute-Ernennung der konservativen Amy Coney Barrett steht die Mehrheit der aktuellen Richter klar aufseiten der Republikaner. Sie könnten Trumps Macht retten. Ganz so sicher ist sich die Expertin David-Wilp da aber nicht. „Ich hoffe, dass die Richter sich überparteilich und fair verhalten. Es geht schließlich auch um ihren eigenen Ruf, und sie sind auf Lebenszeit ernannt – Trump könnte sie also nicht einfach wieder absetzen.“
3. Trump erklärt sich selbst zum Sieger, bevor alle Stimmen ausgezählt sind.
Traditionell verkünden die Fernsehsender in der Nacht, wer die Wahl gewonnen hat. Wenn der Verlierer dann seine Niederlage eingesteht und dem Sieger gratuliert, ist die Sache gelaufen. Doch es ist gut möglich, dass Trump versucht, Tatsachen zu schaffen und sich kurzerhand selbst als Sieger ausruft. Oder umgekehrt: Wenn beispielsweise der von ihm verhasste Sender CNN Biden zum neuen Präsidenten erklären würde, könnte Trump das als Fake News vom Tisch wischen. Bei einem unklaren Ergebnis ist es auch nicht ausgeschlossen, dass der erzkonservative Sender Fox News „seinen“ Mann vorne sieht. David-Wilp schließt das nicht aus, geht allerdings davon aus, dass die Sender eher zurückhaltend agieren werden, wenn das Ergebnis wackelig ist. „Trump selbst kann in der Wahlnacht sagen, was er will, aber entscheidend werden am Ende die Wahlmänner aus den einzelnen Bundesstaaten“, sagt die Expertin. Bis diese sich im Dezember treffen, könnten es allerdings lange Wochen für die USA werden. „Meine größte Sorge ist, dass es zu sozialen Unruhen und Gewalt kommt, weil die eine oder andere Seite das Ergebnis nicht akzeptiert“, sagt David-Wilp.
4. Trump weigert sich, das Weiße Haus zu verlassen.
Der 74-Jährige hat seine Anhänger eingeschworen: „Allein durch Manipulation können wir diese Wahl verlieren.“ Was also, wenn Trump Wahlbetrug unterstellt und sich im Falle einer Niederlage weigert, seinen Platz zu räumen? Zwischen der Abstimmung und der tatsächlichen Amtsübergabe liegen elf Wochen. Viel Zeit, um das Wahlergebnis zurechtzubiegen. Was unglaublich klingt, halten die Demokraten durchaus für möglich. Der Präsident sitzt am längeren Hebel. „Joe Biden kann eine Pressekonferenz einberufen, Trump die 82. Luftlandedivision“, sagte Rosa Brooks kürzlich. Die frühere Verteidigungsministerin hat eine Gruppe geleitet, die sich mit möglichen Szenarien beschäftigt hat, wie sich Trump ans Weiße Haus ketten könnte. Tatsächlich hatte sich der Präsident immer wieder um eine klare Antwort auf die Frage herumgedrückt, ob er eine Niederlage akzeptieren würde. Könnte er die amerikanische Demokratie ins Wanken bringen? „Unsere Demokratie erlebt mit diesem ungewöhnlichen Präsidenten definitiv einen Stresstest, aber man darf auch nicht vergessen, dass die Regierung nicht nur aus dem Präsidenten besteht“, sagt David-Wilp und spielt auf das System von „Checks and Balances“, also die Gewaltenteilung, an. Als Oberbefehlshaber könnte Trump theoretisch sogar Soldaten einsetzen, um Proteste niederzuschlagen. Während der Demonstrationen gegen Rassismus im Sommer hatte er diese Möglichkeit öffentlich in Betracht gezogen. David-Wilp baut allerdings auf die Unabhängigkeit des Militärs. „Mehrere Generäle haben klargestellt, dass sie sich nicht in einen innenpolitischen Streit einmischen.“ Umgekehrt wäre es im (kaum auszudenkenden) Fall, dass der abgewählte Präsident sich weigert, das Weiße Haus zu verlassen, wohl Sache des Secret Service, ihn da auch gegen seinen Willen herauszuholen. David-Wilp hält es allerdings für wahrscheinlicher, dass in diesem Fall die Republikaner selbst dafür sorgen werden, dass ihr Mann freiwillig abtritt: „Schließlich will die Partei ja auch noch eine Zukunft nach Trump haben. Es wäre nicht in ihrem Interesse, einen Verlierer um jeden Preis zu unterstützen.“
5. Biden gewinnt die Wahl in einem Erdrutschsieg.
In den Umfragen liegt Joe Biden klar vorne – auch in entscheidenden „Swing States“, die in der Vergangenheit zwischen Republikanern und Demokraten hin und her wechselten. Nun könnte man sagen, dass auch Hillary Clinton vor vier Jahren wie die sichere Siegerin aussah – und am Ende doch verlor. Doch die US-Meinungsforscher haben aus ihrer Blamage gelernt und ihre Umfragemethoden angepasst. Die Favoritenrolle von Joe Biden gilt deshalb als stabil. Es scheint inzwischen sogar möglich, dass die Demokraten in einem Erdrutschsieg auch die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus erobern. Dann werden Trump auch keine Tricks oder Lügen helfen, um sich im Amt zu halten. Und selbst wenn er als Präsident wiedergewählt würde, in den beiden Kammern aber die Demokraten die Mehrheit erzielen, wären Trumps Möglichkeiten in einer zweiten Amtszeit massiv eingeschränkt.
6. Trump erkennt seine Niederlage an und missbraucht seine letzten Tage im Amt für eigene Interessen.
Der polarisierende Präsident kann nach seiner Abwahl nicht nur weiter Stimmung machen, sondern auch Fakten schaffen, zum Beispiel loyale Leute in Positionen bringen. Er hat auch das Recht, noch Straftäter zu begnadigen. Ein Kandidat dafür wäre Trumps früherer Wahlkampfmanager Paul Manafort, der unter anderem wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis sitzt. „Es ist auch möglich, das Trump und seine Leute Akten und wichtige Dokumente vernichten“, sagt David-Wilp. Sie ist fest davon überzeugt, dass der Präsident bis zum letzten Tag im Weißen Haus alles tun wird, um seinen Anhängern zu gefallen – und die Marke Trump zu stärken.
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