Vor Ort am Wahltag: Es bleibt seltsam ruhig in New York
Am Tag der US-Wahl ist New York City wie ausgestorben. Die Polizei ist auf Ausschreitungen vorbereitet, doch es bleibt seltsam ruhig in der "Geisterstadt".
2015 ist Donald Trump mit einer Rolltreppe zur Präsidentschaftskandidatur gefahren. Im Trump Tower in New Yorks Luxusmeile, der Fifth Avenue, schwebte er hinab in die Lobby. Lächelnd und winkend. Daumen hoch. Wie ein Filmstar. Damals nannte er New York noch eine „wundervolle Stadt“. Dann stimmten fast 80 Prozent der Städter für seine Konkurrentin Hillary Clinton. Und heuer für Joe Biden. NYC und Donald Trump können sich längst nicht mehr leiden.
Nicht einmal vor dem Trump Tower ist viel los
Vier Jahre nach seinem Amtsantritt nannte er seine Heimatstadt in den TV-Duellen gegen Biden eine „Geisterstadt“. Eine, die die Liberalen – der demokratische Bürgermeister und der demokratische Gouverneur – an die Wand gefahren hätten.
Geisterstadt. Genau danach fühlt sich New York an diesem 3. November an. Die Straßen sind so gut wie leer. Der Times Square ebenfalls. Die Stimmung ist angespannt. Selten war die Angst vor Gewalt in der Wahlnacht so groß wie diesmal.
Nicht einmal vor dem Trump Tower, wo vorsorglich Polizeitrucks, Beamte und Absperrgitter warten, ist viel los. Eine Schar an Journalisten und etwa zehn Trump-Fans stehen an der Straßenkreuzung. Und es passiert: Nichts. Als um kurz nach 21 Uhr Joe Biden als Sieger in New York feststeht, ruft ein älterer Herr immer wieder: „Gott segne Trump!“ Die Fotografen stürzen sich auf ihn. Endlich ist was los. Sein Rufen verhallt in den leeren Straßenschluchten. Eine schwierige Berichterstattung sei das heute, sagt eine Journalistin. Sie weiß nicht, wen sie interviewen soll. Es kommen kaum Passanten oder Wähler vorbei.
Vor den Wahlbüros war der Andrang nur in der Früh groß. Danach habe es keine langen Schlangen mehr gegeben, berichtet eine Wahlhelferin. Diese Wahl sei emotionaler und aufregender. Manche seien jubelnd aus dem Wahlbüro gekommen. Laura Phillips jubelt nicht. Die 25-Jährige ist hier, um zu fragen, wo ihr Wahlzettel abgeblieben ist. Sie hatte ihn vor einer Woche per Post geschickt, angekommen ist er noch nicht. „Ich hoffe, er ist nicht verloren gegangen“, sagt die junge Frau. „Hätte ich ihn doch bloß persönlich abgegeben.“ Vor vier Jahren wählte sie Hillary Clinton, jetzt Joe Biden. „Damals war ich aufgeregt. Dieses Jahr habe ich einfach nur Angst“, sagt sie.
Angst vor Ausschreitungen: An allen 1200 Wahllokalen stehen Polizisten
„Hoffen wir, dass Trump gewinnt“, sagt der Manager eines jüdischen Restaurants ein paar Straßen weiter am Broadway. Er nennt sich David. Tische und Stühle hat er bereits vom Gehweg geholt.
Er fürchtet sich vor Ausschreitungen wie im Sommer, als bei Protesten gegen Polizeigewalt Schaufenster eingeschlagen und geplündert wurde. Randalierer hatten auch bei ihm gewütet. „Das sind Tiere“, ärgert er sich. „Die sollte man wegsperren.“
Diesmal ist das New York City Police Department (NYPD) vorbereitet. An allen 1200 Wahllokalen stehen Polizisten. Weitere tausende Beamte halten sich auf Abruf bereit oder drehen ihre Runden durch die Stadt. Wie die zwei Polizisten im Bryant Park in der Nähe des Times Squares. In der Mittagssonne beobachten sie Schlittschuhläufer, Tischtennisspieler und ein Model, dass in einem Sommerkleid für Fotos posiert. Auf dem Rücken der blauen Polizeiuniform steht „NYPD counterterrorism“. Es sind Beamte der Anti-Terror-Einheit. Dass es in der Wahlnacht zu Ausschreitungen kommt, glauben sie aber nicht. Wenn dann in den kommenden Tagen und Wochen, wenn die Ergebnisse endgültig bekanntgegeben würden, sagt einer der beiden. „Dann müssen wir uns Sorgen machen.“ Heute haben sie nicht viel zu tun in der Stadt, die zuletzt 1924 für einen republikanischen Präsidenten stimmte.
Östlich von Manhattan, im Stadtteil Queens, wohnen ein paar New Yorker, die Trump gut finden. Manche heimlich. Denn auch Queens besteht größtenteils aus Demokraten. „Ich bin mir sicher, dass es hier noch mehr Menschen gibt, die die Republikaner wählen. Aber sie zeigen das nicht. Sie haben Angst, Trump-Fahnen an ihr Haus oder Auto zu hängen, denn die Demokraten würden sie zerstören“, sagt eine Anwohnerin, 30 Jahre alt, Ingenieurin, eingewandert aus Polen und Trump-Fan. In der Republikaner-Hochburg Staten Island und in Teilen Brooklyns verstecken sich die Unterstützer nicht. Eine Woche vor der Wahl fuhr eine Autokolonne mit Trump 2020-Fahnen durch die Stadt. Gegendemonstranten bewarfen die Fahrzeuge mit Steinen und Eiern. Am Wahltag, an dem viele aus Angst vor Ausschreitungen zuhause blieben oder die Stadt verließen, passierte dagegen: Nichts.
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