Herr Münkler, Amerika hat gewählt - aber irgendwie ja auch wieder nicht. Das Ergebnis war knapp. Wie haben Sie diese Woche erlebt?
Münkler: Als Bürger und politisch interessierter Mensch verfolge ich die Wahl mit einer großen Gespanntheit – aber auch Parteilichkeit. Denn man muss sagen: Eine weitere Präsidentschaft Donald Trumps hätte das, was man den Westen nennt, endgültig ruiniert. Als Politikwissenschaftler hingegen beobachte ich einen hochinteressanten Fall, der vermutlich irgendwann als Beispiel in die Schul- und Lehrbücher eingehen wird.
Was wird dann da stehen?
Münkler: Diese Wahl zeigt, wie ein Akteur – in diesem Fall Donald Trump – trotz aller negativen Effekte seiner Politik, trotz seiner notorischen Erfolglosigkeit, trotz seiner fortgesetzten Geschichte des Scheiterns es schafft, mit seiner Kommunikationsstrategie eine Anhängerschaft an sich zu binden, die sehr viel größer ist als die Umfrageinstitute das erwartet haben, und sehr viel stabiler, als man das unter rationalen Gesichtspunkten annehmen sollte.
Ist das nicht genau die Falle, in die wir tappen? In den Augen vieler seiner Anhänger hat Trump geliefert: Er hat das Land verändert.
Münkler: Ein großer Teil der Amerikaner, die nicht an der Ost- oder Westküste leben, sondern im Zentrum dieses Landes, sind müde, Gemeinschaftsaufgaben für die Weltpolitik zu übernehmen. Sie wollen nicht mehr in „den Westen“ investieren, ohne dass der Ertrag daraus ihnen – und zwar ausschließlich ihnen – zugutekommt. Warum sollten die USA in Afghanistan Schulen bauen, wenn es auch zuhause miserabel aussieht? Wenn man das auf Deutschland überträgt, dann wären das Menschen, die nicht bereit sind, in die EU zu investieren und die fragen, warum wir eigentlich für Polen oder Italien zahlen sollen. Es handelt sich dabei vor allem um das Klientel der AfD. Wenn wir uns vorstellen, diese Gruppe wäre nur halb so groß wie die Anhängerschaft von Trump, dann wäre die EU am Ende. Das zeigt, wie dramatisch das Gewicht ist, das in den vielen Stimmen bei dieser Wahl für Trump zum Ausdruck kommt. Auch wenn Biden Präsident wird, wird nicht wieder alles gut. Wenn Joe Biden versöhnen will, muss er auf Trumps Anhänger zugehen und versuchen, sie einzufangen. Für uns heißt das: Mit der Rolle der USA als Hüter der bestehenden Weltordnung ist es vorbei.
Damit wird der Welt – bei allen Widersprüchen – ein Vorbild fehlen. Was heißt das?
Münkler: Ich kann mit dem Begriff „Vorbild“ nur wenig anfangen. Aber was wir hatten, war eine kulturelle Machtposition der Vereinigten Staaten. Es gab sehr viele Menschen, die den Wunsch hatten, so zu leben wie die Amerikaner. Man hat in den USA studiert, ist dorthin ausgewandert, hat dort gearbeitet. Doch das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ war schon immer ein in hohem Maße geschöntes Bild. Die große Maschine Hollywood hat das selbst produziert. Das geschah, weil man Vorbilder braucht…
… aber doch auch, weil wir uns danach gesehnt haben…
Münkler: Wir wollten Amerika so sehen! Mit dem Vietnamkrieg und den Rassenunruhen brach dieses Bild auf. Es gab also immer auch Auseinandersetzungen um den Blick auf die USA.
Sind die USA insgesamt anfälliger für Populismus?
Münkler: Die USA waren auf jeden Fall schon immer anfällig für Populismus. Populistische Bewegungen sind so etwas wie ein Begleitelement der amerikanischen Demokratie – sie wurden dort quasi erfunden. Im Gegensatz dazu ist in Europa der Nationalismus deutlich ausgeprägter. Doch dieses Schwanken der Demokratie, das wir gerade beobachten , konnte man auch in Europa immer wieder verfolgen. Nehmen Sie die Selbstzerstörung der Weimarer Demokratie – es ist ja nicht so, dass Hitler durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen ist. Er kam durchaus innerhalb der vorgegebenen Regeln nach oben und hat dann die Demokratie zerstört, als er an der Macht war. Das war immer ein Warnsignal für die Deutschen, die in ihrem Grundgesetz eine starke Sicherung gegen populistische Unvernunft eingebaut haben. Das haben die USA so nicht. Und auch die republikanische Partei hat nicht aufgepasst, als sie einen an die Spitze gelassen hat, der in die Rolle des Volkstribunen hineingeschlüpft ist und jetzt damit beschäftigt ist, die demokratische Ordnung durch einen Staatsstreich von oben auszuhebeln.
Machen Sie sich Sorgen um die amerikanische Demokratie?
Münkler: Ich glaube durchaus, dass man sich Sorgen machen muss. Der demokratische Rechtsstaat ist einem Stresstest ausgesetzt, bei dem von oben versucht wird, das Liberale und das Rechtliche auszuhebeln.
Umgekehrt könnte man argumentieren, dass wir Trumps Dampfplauderei nicht auf den Leim gehen dürfen. Die Demokratie ist ja gerade dabei, sich ihm zu widersetzen.
Münkler: Das ist richtig. Das, was wir vier Jahre lang beobachtet haben, sehen wir in diesen Tagen wie unter einem Brennglas: Die Widerstandsfähigkeit einer auf Gewaltenteilung angelegten Verfassung und einer föderativen Struktur. Es kann eben nicht einfach durchregiert werden. Donald Trump hat mit dem Instrument des Twitterns zwar einen ungeheuren Hebel der Einflussnahme, aber er stößt damit an seine Grenzen. Trotzdem glaube ich: Wenn man eine Verfassungsarchitektur so durchrüttelt, mal an dieser Säule sägt, mal an jener Säule sägt, dann verliert sie mit der Zeit an Stabilität. Es ist nicht so, dass die Demokratie stärker wird, je härter sie gestresst wird. Man wird die Sägespuren und die Zerstörungselemente sehr gut sehen können. Vor allem, weil auch die amerikanische Gesellschaft inzwischen sehr stark gespalten ist. Die politische Ordnung ist ja das eine. Das andere ist die Frage: In welcher Weise werden sich die Ressentiments auswirken? Nicht nur Trumps Schlägertruppe, die „proud boys“, sondern auch seine einfachen Anhänger werden ihm seine Angriffe auf die Demokratie glauben. Sie sind sicher, dass ihr Held vom Establishment verdrängt wurde. Im günstigsten Fall werden sie resignieren, im ungünstigsten Fall könnten sie sich zu einer Bürgerkriegsfraktion entwickeln, die notfalls auch mit Waffengewalt gegen „Verräter“ vorgeht.
Wie kann sich das Land aus dieser Situation befreien?
Münkler: Das ist die 1-Million-Dollar-Frage. Die Hoffnung war, dass sich dies alles irgendwann als Albtraum herausstellt, aus dem wir erwachen werden - und alles ist wieder gut. Dass Joe Biden einen Erdrutschsieg hinlegt und Trump und alles, was ihn ausmacht, für immer verschwinden. Das wird nicht passieren. Auch deshalb ist diese Wahl ein Einschnitt. Es wird keinen schnellen Versöhnungsprozess geben. Joe Biden ist zwar ein Kandidat der Mitte. Doch er wurde von Trump eben auch gebrandmarkt als Sozialist und ist deshalb für die Trump-Fraktion als Versöhner ungeeignet. Für die ist er der Feind. Daher wird die jetzige Krise sehr lange anhalten – und man kann sehr pessimistisch sein, was den Blick in die Zukunft angeht. Denn zur politischen Spaltung kommen in der USA ja noch religiöse Spaltungen und ethnische Spaltungen hinzu. Dadurch wird der Frust derjenigen, die sich als die Herren dieses Landes gefühlt haben, weiter anwachsen. Der Albtraum dieser Wahl könnte zum Auftakt einer Geschichte des Zerfalls werden.
Das sind düstere Aussichten.
Münkler: Ja, aber sie kommen nicht überraschend. Wenn wir in die Geschichte schauen, ist der Untergang von Demokratien immer so beschrieben worden: Zwei Parteien sind unversöhnlich und können sich nicht mehr verständigen. Deshalb kommt irgendwann ein starker Mann oder eine aristokratische Elite, die das Land befriedet . So war das Ende der athenischen Demokratie, so war das Ende der römischen Republik. Die Gründerväter der USA hatten das vor Augen, die „federalist papers“, die Verfassungsentwürfe, sind voll von Hinweisen darauf. Deshalb haben sie eine Grundlage geschaffen, die dies verhindern sollte. Mehr als 200 Jahre hat es geklappt – doch nun gelingt das zunehmend weniger. Wir hatten eben alle die Illusion, dass die Demokratie unsterblich sei. Die USA als Mutter aller Demokratien hatte es doch bewiesen. Münkler: Wir hatten die Vorstellung, dass die großen Konflikte geklärt sind und wir in einem stabilen Zustand leben können, in dem wir uns nur noch um unsere Luxusprobleme kümmern. Das war die Formel vom „Ende der Geschichte“, die in den 1990er-Jahren eine große Rolle spielte. Doch das ist vorbei.
Was heißt das für Deutschland? Müssen wir uns stärker von den USA emanzipieren?
Münkler: Das müsste uns eigentlich schon längst klar geworden sein. Schon Präsident Barack Obama hat eine Verschiebung der amerikanischen Interessen in den pazifischen Raum angekündigt. Doch das hat man eher als theoretische Überlegung hingenommen, es folgten außer allgemeinen Formeln keine Konsequenzen. Doch nun kommen auf die Europäer große Herausforderungen zu, die sie viel Geld kosten werden. Manches von dem, was wir bislang e in den Sozialstaat und in den Wohlstand investiert haben, müssen wir künftig für ganz andere Dinge ausgeben. Es wird nicht leicht, das der Bevölkerung klarzumachen. Zugespitzt könnte man vielleicht sagen: Trump war ein Glücksfall. Er hat die Europäer an ihre Verwundbarkeit und an ihre Abhängigkeit erinnert. Deshalb muss sich auch die EU ändern. Sie braucht eine Führungsgruppe, die eigentlich nur aus Deutschland und Frankreich bestehen kann, und die Bereitschaft, jene Länder, die sich notorisch querstellen, notfalls auch rauszuschmeißen. Europa muss wetterfest werden, sonst ist es vorbei. Dann werdend die Europäer zum Objekt des Geschehens statt zum Subjekt – die großen Entscheidungen werden dann woanders getroffen.
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