Der historische Moment spielt sich irgendwo im Nirgendwo ab. Eine Frau in Sportklamotten telefoniert. "Wir haben es geschafft, Joe! Du wirst der nächste Präsident der Vereinigten Staaten", sagt Kamala Harris, die offenbar gerade beim Joggen ist, als ihr Leben ein anderes wird. Denn, mindestens genauso epochal wie der Sieg von Joe Biden über Donald Trump ist ihre Wahl zur ersten Vizepräsidentin in der Geschichte der Vereinigten Staaten. In das herzliche Lachen der 56-Jährigen mischt sich ein ungläubiger Unterton. So als könnte sie es selbst noch nicht ganz fassen, was hier gerade passiert.
Kamala Harris ist die erste Vizepräsidentin der USA
Das Leben von Kamala Harris, deren Eltern aus Jamaika und Indien stammen, schreibt eine Geschichte wie die Amerikaner sie lieben. Die Geschichte einer Frau, die an ihren Traum glaubt und alle Hürden überwindet. "Jedes kleine Mädchen, das heute Nacht zuschaut, sieht, dass dies ein Land der Möglichkeiten ist", sagt sie ein paar Stunden nach dem Telefonat mit Joe Biden in ihrer Siegesrede. Sie selbst, das Mädchen aus Kalifornien, hat es vorgemacht, wurde mit 30 Jahren die erste schwarze Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, später die erste Justizministerin in ihrem Bundesstaat und Senatorin.
Und nun also die erste Vizepräsidentin der USA. "Auch wenn ich die erste Frau in diesem Amt sein mag, werde ich nicht die letzte sein", sagt Harris. Und sie lässt keinen Zweifel daran, dass dies keine ganz normale Wahl war, wie sie eben alle vier Jahre stattfindet. "Als unsere Demokratie selbst auf dem Wahlzettel stand, die Seele Amerikas auf dem Spiel stand und die Welt zuschaute, habt ihr einen neuen Tag für Amerika eingeläutet", ruft sie ihren Anhängern zu.
Im Wahlkampf zwischen zwei alten Männern war sie mit einer Mischung aus Charme und Entschlossenheit für viele Amerikaner zur Hoffnungsträgerin geworden. Joe Biden ist der Mann für den Moment, Kamala Harris die Frau für die Zukunft. Legendär wurde eine Szene in ihrem Fernsehduell mit Vizepräsident Mike Pence, der ihr immer wieder ins Wort fiel. "Mister Vizepräsident, ich spreche gerade", sagte Harris gelassen und lächelte ihren unversöhnlichen Kontrahenten entwaffnend an.
Mitten im Wahlkampf veröffentlichte Kamala Harris ein Buch
Man konnte sich ganz gut vorstellen, wie diese Frau einen Familienzoff am Küchentisch in Luft auflöst. Seit 2014 ist sie mit dem New Yorker Rechtsanwalt Douglas Emhoff verheiratet. Er brachte eine Tochter und einen Sohn mit ihn die Ehe, die ihre Stiefmutter offenbar schnell ins Herz geschlossen haben. Berufliche Erfolge seien schön, sagte Harris einmal, aber noch schöner sei es, wenn die beiden sie "Momala" nennen – eine Kombination aus Mama und ihrem Vornamen.
Mitten im Wahlkampf veröffentlichte die Politikerin ein Buch. Es war nicht eine von jenen autobiografischen Lobhudeleien in eigener Sache, in denen jemand noch schnell beweisen will, wie gut er für dieses oder jenes Amt geeignet ist. Es war ein Kinderbuch und trug den Titel: "Superhelden gibt es überall." Harris erzählt darin, was wahre Helden ausmacht und von wem sie das in ihrem eigenen Leben gelernt hat.
Joe Biden ist ein Mann des Übergangs
Es ist eine Art Liebeserklärung an Familie, Freunde und Lehrer. Genau diese Empathie war Washington in vier Jahren Trump abhandengekommen. Der Noch-Präsident hatte seine Rivalin im Wahlkampf als "Monster" und "völlig unsympathisch" bezeichnet, doch die neue Vizepräsidentin sinnt nicht auf Rache. Ihre Siegesrede ist keine Abrechnung. Harris will an Bidens Seite das völlig zerrissene Land versöhnen.
Wenn Joe Biden im Januar als Präsident vereidigt wird, hat er gerade seinen 78. Geburtstag hinter sich. Er ist ein Mann des Übergangs, der die tiefen Graben in der amerikanischen Gesellschaft zumindest teilweise zuschütten könnte. Für einen neuen Anfang steht aber vor allem die Frau in der zweiten Reihe. In vier Jahren könnte Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin, sogar zur ersten Präsidentin der US-Geschichte werden.
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