Herr Professor Jäger, war der diesjährige US-Wahlkampf selbst für amerikanische Verhältnisse eine beispiellose Schlammschlacht?
Thomas Jäger: Das ist einer der schmutzigsten Wahlkämpfe, den Amerika je erlebt hat. Es gab noch nie einen Wahlkampf, in dem ein Kandidat den anderen hinter Gittern sehen wollte. An sich war das gar kein Wahlkampf mehr, sondern ein verbaler Bürgerkrieg.
In den vergangenen Wochen sah es so aus, als wäre die Wahl zugunsten Hillary Clintons schon gelaufen. Nun legt Donald Trump im Endspurt zu. Ist das Rennen wieder offen?
Thomas Jäger: Das Rennen war die ganze Zeit offen. Hier hat sich Frau Clinton in einer trügerischen Sicherheit gewogen. Die US-Wahl wird in wenigen Bundesstaaten, sogenannten „Swing States“, entschieden. Das sind beispielsweise Florida, Ohio, Pennsylvania oder North Carolina. In diesen Staaten war es schon die ganze Zeit sehr knapp. Und noch sind dort viele Wähler unentschieden, wem sie ihre Stimme geben.
Momentan liegt Trump in Umfragen der meisten „Swing States“ knapp vor Clinton. Heißt das, er könnte am Ende die meisten Wahlmänner einsammeln?
Thomas Jäger: Letztendlich entscheidet die Wahl, wer es besser schafft, seine Anhängerschaft zu mobilisieren – also ob die möglichen Wähler am Dienstag wirklich zur Abstimmung gehen. Und hier hat Clinton möglicherweise ein Problem: Es sieht so aus, dass bei den jungen schwarzen Wählern die Motivation nicht besonders hoch ist, für Clinton zu stimmen. Auf der anderen Seite gibt es den weißen Wählern eine sehr hohe Motivation, Trump zu wählen.
Warum hat Trump trotz seiner vielen Skandale dabei so viel Erfolg?
Thomas Jäger: Etwa drei Viertel der amerikanischen Bevölkerung sind mit dem politischen System unzufrieden. Sie sehen Amerika auf dem Weg in eine unsichere Zukunft. Dieser Frustration hat Trump sehr erfolgreich eine Stimme gegeben. Er bringt viele frühere Nichtwähler, die sich von der Politik abgewendet haben, wieder zur Wahl.
Kann Trump allein wegen dieser Unzufriedenheit die Wahl gewinnen?
Thomas Jäger: Für Trump wird die entscheidende Frage sein, ob er in Florida und Ohio siegen kann. Trumps Strategie ist genau auf die Bevölkerungsschicht der weißen Arbeiterschaft ausgerichtet, die in den „Swing States“ stark ist. Wenn es ihm gelingt, die weißen Wähler hier in erheblich stärkerem Maß zu mobilisieren, als dies frühere Kandidaten vermochten, könnte seine Strategie aufgehen. Obwohl man bislang dachte, dass jeder Bewerber die stark wachsenden Minderheiten wie die Hispanics hinter sich bringen müsste, um Präsident zu werden.
Der Sieger eines Bundesstaates bekommt automatisch alle Wahlmänner-Stimmen. Ist dieses Wahlsystem fair, wenn am Ende immer nur die Bevölkerung einer Handvoll „Swing States“ entscheidet, wer Präsident wird?
Thomas Jäger: Es gibt immer wieder Diskussionen um das Wahlrecht. Aber letztlich hat sich diese Konstruktion als sehr stabil erwiesen. Die Bundesstaaten entsenden nach ihrer Stärke Wahlmänner und werden durch dieses System gut repräsentiert. Sie bewahren dadurch ein Stück weit ihre Eigenständigkeit.
Die meisten Amerikaner wollen weder Trump noch Clinton als Präsident. War es ein Betriebsunfall, dass ausgerechnet die beiden unbeliebtesten Kandidaten ins Rennen geschickt wurden?
Thomas Jäger: Es ist richtig, dass ausgerechnet jene zwei die Kandidaten wurden, die die meisten Amerikaner am unausstehlichsten finden. Sie halten sie für unsympathisch und nicht vertrauenswürdig. Doch das war kein Betriebsunfall. Es lag daran, dass bei den Demokraten kein echter Vorwahlprozess organisiert wurde, sondern eine Art Krönungsmesse für Hillary Clinton. Ernsthafte Gegenkandidaten gab es nicht. Der linkspopulistische Bernie Sanders stieß nur in eine offene Lücke. Bei den Republikanern wurde genau das Gegenteil zum Problem. Man dachte, man habe eines der besten Bewerberfelder. Doch alle ernsthaften Kandidaten nahmen sich gegenseitig die Stimmen weg und öffneten damit Trump das Tor zur Kandidatur.
Aber warum hat sich das Image von Hillary Clinton während der vergangenen Monate so verschlechtert? Beschäftigt ihre E-Mail-Affäre die Amerikaner wirklich?
In der E-Mail Affäre hat sich Frau Clinton so verhalten, dass sie das Misstrauen weiter angeheizt hat. Sie gab immer nur das zu, was ohnehin bekannt war. Und es roch nach „Vertuschung“, als sich ihr Mann während der Untersuchung mit der Justizministerin traf. Das ist genau die Art politischer Kungelei, die vielen an Washington missfällt. Clintons Problem ist, dass der Großteil der Amerikaner sie nicht für glaubwürdig hält: Man traut ihr jede Lüge zu. Dazu kommt, dass die Mehrheit der Amerikaner eine Sehnsucht nach etwas Neuem hat – nach jemandem, der neue Wege geht. Clintons Vorteil ist nur, dass Trump mindestens ebenso misstraut wird.
Spielen in diesem Klima inhaltliche Themen wie die Wirtschaft im Wahlkampf überhaupt noch eine Rolle?
Thomas Jäger: Die Themen spielen im Wahlkampf schon eine Rolle, aber die Fakten spielen keine Rolle. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner setzten ihren Anhängern nur genau das vor, was das Publikum hören will. Es gibt keinerlei inhaltliche Auseinandersetzung über politische Alternativen.
Müssen sich die Deutschen Sorgen machen, wenn Trump die Wahl gewinnt?
Thomas Jäger: Zweifelsfrei würde ein Sieg Trumps eine Phase großer Unsicherheit bedeuten. Das ist weder für die Politik noch für die Wirtschaft gut. Wir wissen nicht, was Trump auf den großen Politikfeldern überhaupt vorhat, noch wer seine engsten Berater sein werden. Allerdings könnte auch ein Präsident Trump nur dann Gesetze unterschreiben, wenn sie vorher die Mehrheit im US-Kongress verabschiedet hat.
Was ist Ihre Prognose?
Thomas Jäger: Die Wahlnacht wird unglaublich spannend. Es ist sowohl möglich, dass Frau Clinton einen sehr großen Sieg einfährt, als auch, dass Donald Trump am Ende relativ knapp gewinnt. Es könnte deshalb eine sehr, sehr lange Wahlnacht werden, bis wir das Ergebnis kennen.