Als Tonye-D’mitria Vickers der Fernsehreporterin erklären soll, warum er heute Donald Trump gewählt hat, kann er nicht mehr an sich halten. „Ich bin schwarz! Ich bin schwul! Ich bin Demokrat! Und ich wähle Donald John Trump!“, ruft der Afroamerikaner in ihr Mikrofon. Der Mann weiß nicht, wohin mit seinen Gefühlen. Die Stimmung im New Yorker Stadtteil Manhattan ist da ohnehin schon ziemlich aufgeladen. Die Polizei hat die Gehwege rund um den Trump Tower, den Wolkenkratzer des Wahlsiegers, vorsorglich gesperrt. Dort stehen sie nun, die Anhänger des neuen amerikanischen Präsidenten. Leute wie der 19-jährige Daniel Palacios, der Finanzwesen studiert. Einer, der später „Oh, mein Gott!“ rufen wird, als Trump im Fernsehen ans Rednerpult tritt. Oder eben Tonye-D’mitria Vickers, der nicht weiß, wie ihm geschieht.
Vielleicht sind Vickers und Palacios gute Beispiele dafür, was da in dieser Nacht geschehen ist. Ein homosexueller Schwarzer, der sonst immer die Demokraten wählt. Der andere ein Student. Mitten in der Hillary-Clinton-Hochburg New York. Es sind eben nicht ausschließlich weiße Männer mit geringer Schulbildung aus dem Herzen Amerikas, aus Bundesstaaten wie Wyoming, South Dakota oder Nebraska, die Trump ins Weiße Haus wählen.
Weder Umfrage-Experten noch Journalisten noch viele Republikaner selbst haben das kommen sehen. Der politische Amateur mit dem rüpelhaften Auftreten gewinnt auch dort, wo seit Jahrzehnten demokratisch gewählt wird. Immer mehr Bundesstaaten leuchten in dieser Nacht auf den Übersichtskarten der Statistiker in Rot auf, der Farbe der Republikaner. Gegen drei Uhr Washingtoner Ortszeit hat Trump schließlich einige Wahlleute mehr auf seiner Seite als die 270, die er für den Sieg benötigt. Clinton ist weit abgeschlagen.
Für die 69-Jährige ist es die größte Demütigung ihrer Karriere. Die Frau, die als First Lady, Senatorin und Außenministerin mehr Erfahrung gesammelt hat als jeder Kandidat vor ihr, verliert nicht nur gegen einen Macho, sondern auch noch gegen einen, dem viele den dilettantischsten Wahlkampf der modernen Geschichte bescheinigt haben. Zur Wahlparty hat sie in Manhattan eigens das riesige Javits Convention Center gemietet. Stundenlang harren ihre Anhänger dort aus. In dieser Nacht warten sie vergeblich. „Geht nach Hause“, ruft Clintons Kampagnenchef John Podesta gegen zwei Uhr, zu einer Zeit, als noch Stimmen ausgezählt werden. Clinton habe großartige Arbeit geleistet, „morgen sehen wir weiter“.
„Das ist ein Albtraum“, stammelt Jeannette Barbasch, als sie die Party verlässt. „Wir sind völlig verzweifelt. Wir hätten nie gedacht, dass so etwas passieren könnte.“ Nur: Sehr erfolgreich war Clintons Arbeit eben nicht. Ihr Sieg, so war es geplant, hätte seit Stunden feststehen sollen. Das Gegenteil ist der Fall.
US-Wahl 2016: Florida leitet Sieg für Donald Trump ein
Den Stein ins Rollen bringt Florida. Nachdem dort der Wahlausgang lange auf Messers Schneide stand, kann Trump schließlich das Rennen in dem Bundesstaat mit 29 Wahlmännern für sich entscheiden. Mit Ohio und North Carolina fallen zwei weitere Hochburgen der Wechselwähler (Swing States) an den Milliardär. Und: Er gewinnt auch dort, wo seit Jahrzehnten demokratisch gewählt wird. Der letzte Funke Hoffnung bei Clinton und ihren Anhängern erlischt, als Trumps Sieg in Pennsylvania offiziell wird.
Erst Stunden später, da ist es schon fast Mittwochmittag in Washington, traut sich Hillary Clinton vor die Kameras; an der Seite ihres Mannes Bill, sichtbar bemüht, die Fassung zu wahren und tapfer zu lächeln. Ja, dieser Moment schmerze, sagt sie. „Und das wird es für lange Zeit.“ Doch es gehe nicht um sie, sondern um das Land. Amerika sei tiefer gespalten, als sie selbst angenommen habe. „Donald Trump wird unser nächster Präsident sein“, sagt sie. Das müsse akzeptiert werden. Nun sei es geboten, zusammenzustehen. Ihr Mann hat Mühe, seine Tränen zurückzuhalten.
Es war ja eine verrückte Konstellation: Viele Trump-Unterstützer haben schon vor der Wahl eingeräumt, dass ihrem Kandidaten wesentliche Qualifikationen für das Amt fehlen. Er war der unbeliebteste Bewerber der Umfragegeschichte. Doch seinen Wählern war anderes wichtiger: Sie wollten grundlegend aufräumen. Mit der jahrzehntelangen Blockade in Washington, dem Filz und der Selbstbereicherung, die sie bei den Eliten (und damit auch bei Clinton) vermuten. Und mit der Aussichtslosigkeit in manchen Wirtschaftsregionen.
Donald Trump gibt sich nach Wahl versöhnlich
Nun also ist Donald Trump der 45. Präsident der US-Geschichte. Der 70-Jährige – so alt war vor ihm kein Präsident, der neu ins Weiße Haus einzog – zeigt sich in der Nacht in dunklem Anzug und leuchtend roter Seidenkrawatte seinen Anhängern und via Fernsehen der ganzen Nation. Im Hintergrund ist ein Meer von US-Fahnen zu sehen. In den vergangenen Wochen hat er sich diszipliniert an Manuskripte und Teleprompter gehalten; bloß keine neuen ausfälligen Bemerkungen. Mitarbeiter sollen sogar seine Kurznachrichten bei Twitter kontrolliert haben. Mit Erfolg: Die Debatte drehte sich fast ausschließlich um Clintons neuerliche E-Mail-Probleme, Trump schuf kaum Ablenkung durch eigene Konflikte.
Auch im New Yorker Hilton-Hotel schlägt er nun einen konzilianten Ton an. Erst dankt er Clinton für ihren Gratulationsanruf und erkennt ihren Kampf, aber auch ihre Lebensleistung an. „Wir schulden ihr großen Dank für ihren Dienst an unserem Land. Ich meine das sehr aufrichtig.“ Von Korruptionsvorwürfen und manipulierten Wahlen ist nicht mehr die Rede, auch der obligatorisch gewordene Ruf des republikanischen Publikums „Lock her up!“ (Sperrt sie ein!) bleibt aus.
Jetzt ist die Zeit, die Wunden der Teilung zu verbinden“, sagt Trump. „Allen Republikanern, Demokraten und Unabhängigen in dieser Nation rufe ich zu: Es ist Zeit für uns, als ein vereintes Volk zusammenzukommen.“ Wie das funktionieren soll, darüber will Amtsvorgänger Barack Obama schon heute mit ihm reden. Bei dem Treffen wird es auch um die Formalitäten der Amtsübergabe gehen, heißt es.
Er werde ein Präsident für alle Amerikaner sein, gelobt Trump und bittet diejenigen, die ihn nicht gewählt haben, um Hilfe bei der gegenseitigen Annäherung. Sein Wahlkampf sei keine traditionelle Kampagne gewesen, sondern eine Bewegung: „Es ist eine Bewegung aus Amerikanern aller Rassen, Religionen, Hintergründe und Weltanschauungen.“
Trump macht kein Hehl daraus, wo er die USA wirtschaftlich und politisch sieht: „Amerika wird sich nicht länger mit weniger zufriedengeben als dem Besten“, sagt er. Er verspricht eine konkurrenzlose Infrastruktur, Millionen neuer Jobs, doppelt so hohe Wachstumsraten wie heute und die Chance für jeden einzelnen Amerikaner, sein volles Potenzial zu entfalten. Er habe einen großartigen Wirtschaftsplan, sagt er. „Nichts, was wir uns für unsere Zukunft erträumen, ist außer Reichweite.“ Außenpolitisch deutet er Offenheit an. „Wir werden mit allen anderen Nationen auskommen, die mit uns auskommen wollen“, sagt er. „Ich möchte der Weltgemeinschaft mitteilen, dass wir Amerikas Interessen zwar immer bevorzugt bedienen, aber mit jedem fair umgehen werden.“ Zum geplanten Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (TTIP) sagt er nichts. Viele Kommentatoren beerdigen es noch in der Nacht.
Es ist eine kurze Ansprache. Vielen Amerikanern hilft sie in ihrer Ratlosigkeit kaum weiter. Zu groß ist der Gegensatz zu jenem Trump, den sie im Vorwahlkampf kennengelernt, belacht und gefürchtet haben. Ein Kandidat ohne detaillierte politische Vorschläge, mit einem Wahlkampf voller Lügen, Ungenauigkeiten und Widersprüche.
Anhänger der Republikaner feiern Donald Trump
Seine Anhänger kümmert das in diesen Stunden nicht. „Ich bin so oft in meinem Leben enttäuscht worden“, sagt ein bärtiger Mann in Lederjacke bei der Wahlparty der Republikaner auf der Upper East Side in New York. „Aber hier habe ich ein richtig gutes Gefühl.“ Ein anderer sagt: „Tief in mir habe ich damit gerechnet, dass das passiert.“ Trump sei der richtige Mann für den Job im Oval Office. Die Menschen hätten das ewige „business as usual“ einfach satt, meint wiederum Brett Joseph, als Trump den Sieg in der Tasche hat.
Als sich die letzten Barbesucher auf den Heimweg machen, um noch etwas Schlaf aus der Nacht zu quetschen, steht Gary Ross mit leuchtenden Augen am Tresen. „Es ist unglaublich“, sagt der Anwalt. Vielleicht sei genau dieser Kandidat das, was die Gründungsväter der USA sich gewünscht hätten: ein Außenseiter mit großer Vision statt einem Karrierepolitiker. (mit dpa, afp)